Schüchtern betrachtet

Michael Spindelegger als Popstar: Seltsame Inszenierung der ÖVP

Reportage. Die seltsame Wahlkampf-Inszenierung von Michael Spindelegger als Popstar

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Kaum zu glauben: Es ist sein erster Wahlkampf. Der 54-jährige Michael Spindelegger hat sich in drei Jahrzehnten strebsamer Politkarriere kein einziges Mal selbst dem Volk stellen müssen. Und der Mann ist sichtlich schüchtern, das Gegenteil eines Obama, den er in seiner Kampagne jetzt verkörpern soll.

"Yes We Can“-Dampfnudelbeat
An einem schönen Samstag Abend im verlöschenden Sommer wird dieses künstliche Konzept in der Politischen Akademie der ÖVP erstmals vorgeführt: säuselnde Supermarktmusik, die mit der Lautstärke des Applauses automatisch ansteigt und, wenn "unser Highlight“ Spindelegger markig wird, als satter, fetziger Technosound in den Ohren schier explodiert. Ein Freiwilligen-Bataillon, in dessen "Herzen das Feuer brennt“; Filme mit Babys, Filme mit Tieren und ein von Inhalten vollkommen gesäuberter "Yes We Can“-Dampfnudelbeat, der alle Reden bis zur totalen Lächerlichkeit durchzieht und auf österreichisch "Aufgehts Kampagne“ heißt.

Doch an diesem Abend geht gar nichts auf. Die Sonne ist bereits hinter den Bäumen verschwunden, als der Kandidat in seinem Achtzylinder-Audi bei der Politischen Akademie der ÖVP vorfährt, das Handy am Ohr und Unglück im Gesicht. Die Freiwilligen in signalgelben T-Shirts bilden ein Spalier, die "Mutigen“, Aufrechten“ und "Tatkräftigen“. Mit solchen Aufschriften gehen sie dieser Tage durch die Welt.

Das Aufgehts-Team begleitet den Aufgehts-Kandidaten auf Aufgehts-Wanderungen, bei Aufgehts-Pressekonferenzen und Aufgehts-Reden.

Für das Gute, gegen das Schlechte
"Wir, liebe Freunde, sind die Besseren. Wir sind besser als die anderen. Wir haben die guten Konzepte. Wenn die anderen von höheren Steuern reden, sagen wir: Rauf mit dem Wirtschaftswachstum! Denn das ist gute Politik! Nicht weiter abwärts soll es gehen, meine Freunde, nein. Ich sage es euch, und ihr sagt es den Leuten draußen auf der Straße: Aufwärts soll es gehen, voran soll es gehen, das ist unsere Losung für unser wunderbares Österreich!“, sagt Spindelegger. Für das Gute, gegen das Schlechte. So platt würde nicht einmal Persil sein Waschmittel anpreisen, ohne jede Produktinformation. Dazu jubelt, lacht und kreischt ein hundertköpfiges, meist jugendliches Unterstützerteam. Das wäre alles weniger peinlich, wenn die Begeisterung echt und der Kandidat ein anderer wäre, zum Beispiel Justin Bieber. Was man dem Teenie-Schwarm gerade noch durchgehen lässt, wirkt bei dem graumelierten ÖVP-Bürgermeistersohn aus Hinterbrühl, der im schwarzen Begräbnisanzug und fein gekämmter Spießerfrisur auftritt, befremdlich.

Spindelegger hat eine angenehme Stimme, doch seine Sätze kommen abgehackt und unsicher-kraftlos daher, und asynchron fährt er dazu mit den Händen durch die Luft. Seine Lippen verschwinden fast vollständig bei dem Versuch, zwischen all den eingetrichterten Phrasen auch noch zu lächeln. Da hilft auch kein Lipgloss. Man sieht: Spindelegger geniert sich.

Karikatur-Wahlkampf
Das spricht eigentlich für ihn. Er paßt zu diesem Karikatur-Wahlkampf-Event wie die Faust aufs Auge. Er kommt aus einer anderen Zeit. Ein zurückhaltender Mensch, soweit man weiß, anständig. Er kann auch anders, wie er kürzlich bei einer Podiumsdiskussion mit den "Oberösterreichischen Nachrichten“ in Linz bewiesen hat, wo er differenziert argumentierend und mit einer Andeutung von Humor das Publikum für sich einnahm. Doch so droht er eine tragische Figur zu werden - wenn er verliert.

Zwei Wochen später. Derselbe Ort. In der Dämmerung. Diesmal ist es das Sommerfest der ÖVP. "Bring deine Familie mit“, steht auf der Einladung. Clowns und Feuerschlucker sind angesagt. Auch der alte Mastermind und Strippenzieher Erwin Pröll, der seinen Spitzenkandidaten eben noch hat spüren lassen, wer der Herr im Hause ist, und sich mit der Konkurrenz, Kanzler Werner Faymann, beim Heurigen öffentlichkeitswirksam in Szene setzte. Heute werde er für Spindelegger das Wort ergreifen, eine Einpeitscher-Rede halten, so raunt man.

Schon hört man sein dröhnendes Männerlachen im Pulk der Gäste, die in der Parkanlage wandeln. Die Normalität dieser Menschen ist auffallend - als hätte eine PR-Agentur sie für einen Nutella-Spot gecastet. Andererseits ist es das größte Kapital der Partei, echtes, heutiges Bürgertum: Funktionäre und Sympathisanten, Beamte und Freiberufler. Viele hat man hier schon lange nicht mehr gesehen; 40-jährige Familienväter, die ihre strebsamen Kinder aufs Gymnasium schicken wollen. Es sind sozusagen viele hunderte Spindeleggers unterwegs - aber weiß das der Kandidat? Wird er nicht erdrückt von den falschen Tönen des Medienwahlkampfs?

"I am from Austria“
Erwin Pröll redet dann doch nicht. Er zieht nur Kamerateams, Fotografen und Journalisten auf sich und vom farblosen Spindelegger ab. Dieser wird mit dem unvermeidlichen Fendrich-Song "I am from Austria“ auf die Bühne getrieben. Dort steht er stocksteif und hält seine Rede. Auch das Publikum erstarrt, so hölzern trägt er die Euphorie-Floskeln vor. Jeder spürt: Das "Hurra-wir-sind-besser“-Mantra ist ihm total unangenehm. Erst als Spindelegger in die Menge ruft: "Angeblich sind wir für die Millionäre. Seht ihr hier Millionäre? Ich sehe keine!“, lacht das Publikum aus vollem Herzen, und das Eis ist gebrochen. Der Kandidat bewegt sich schlagartig etwas lockerer. Nach der Rede geht er zu seinem Buben, Matthias, 13 Jahre alt, der aussieht wie Harry Potter, eine Woche lang im Wahlkampf dabeisein darf und immerzu den Hals reckt, um alles zu hören und zu sehen. Der Papa streicht ihm glücklich über den Kopf. Endlich weg aus dem Scheinwerferlicht.

Nur Kurz hat offenbar Freude am Wahlkampf
In der Parkanlage haben sich Grüppchen gebildet. Man redet kaum über Politik. Nur Sebastian Kurz hat offenbar Freude am Wahlkampf. Die aktuellen Umfragen, in denen die SPÖ vorn liege, die Debatten um Zwölf-Stunden-Tag, Frauenpensionsalter und hartherzige Flüchtlingspolitik seien künstliche Blasen, die Menschen draußen dächten ganz anders. "Glauben Sie, hier juckt es irgendjemanden, dass die abgelehnten Asylwerber aus dem Servitenkloster nach Pakistan abgeschoben wurden?“, sagt Kurz und weist mit großer Geste auf die flanierenden Gäste, die sich in der Dunkelheit verlieren. Der 27-jährige Jungstar leuchtet auch hier als frisches, junges Gesicht, jedenfalls mehr als Spindelegger. Wirkt die Anwesenheit Erwin Prölls wie ein langer, unüberwindlicher Schatten, der auf Spindelegger liegt, so erweist sich das Licht, das der junge Hoffungsträger Kurz ausstrahlt, als ebenso schädlich für die Kandidatur Spindeleggers. Das ist die Krux dieser Partei: Den neuen Obama, den sie vorgibt zu haben, hat sie schon, aber er heißt Kurz und steht nicht zur Kanzlerwahl. Und stünde er zur Wahl, wäre auch er mit Funktionärshäme beschwert.

"Beste Rampensau der Republik“
Werbeprofi Frank Stauss von der Berliner Agentur Butter berät Spindelegger seit Anfang 2012 - obwohl er eigentlich Typen wie den ehemaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder bewundert, der für ihn die "beste Rampensau der Republik“ war, "bis zur Halskrause voll mit Testosteron“. Auch dass der Werber glücklich mit einem Mann verheiratet ist und Spindelegger einen homophoben Zug nicht verhehlen kann ("Ob es gut ist, wenn sich heterosexuelle und homosexuelle Paare am Standesamt über den Weg laufen?“), hat die Zusammenarbeit nicht getrübt. Nach stundenlangen Gesprächen in Hinterbrühl hat Stauss seinen Klienten fast schon lieb gewonnen.

Der überzeugte Sozi Stauss, der bisher ausschließlich von SPD-Politikern gebucht worden ist, sieht Reformwillen derzeit nur auf konservativer Seite. Das muss er wohl auch. Debatten um den "abgesandelten“ Wirtschaftsstandort (ÖVP-Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl) kommen ihm durchaus gelegen.

Nach seinem Konzept soll die ÖVP mit Wirtschaftskompetenz und Reformeifer punkten. In der Realität stößt das an Grenzen. Auf dem Traunseedampfer Gisela, dem ältesten Schaufelraddampfer der Welt, einem tobenden Ungeheuer, das alles übertönt, auch Spindel-eggers Worte, haben sich ÖVP-Honoratioren und Wirtschaftstreibende zusammengefunden. Die Kräfte der Wirtschaft sollen mitteilen, wo der Schuh drückt. Da meldet sich einer, der sagt, er wünsche sich, dass sämtliche Wirtschaftsförderungen abgeschafft und statt dessen die anderen Belastungen - Lohnnebenkosten, Steuern - drastisch verringert würden. Das sei gerechter als das derzeitige System, Freunderlwirtschaft ausgeschlossen. Betretenes Schweigen. Einspruch eines Funktionärs. Spindelegger redet vage von einer Ideenliste.

In den "Wording“-Unterlagen von Stauss findet sich auch ein Satz, den mittlerweile wohl jeder interessierte Österreicher kennt, den Spindelegger bei jeder Gelegenheit zum Besten gibt: "Die ÖVP ist die Partei für alle, die morgens frühzeitig aufstehen, zur Arbeit gehen und am Ende des Tages auch etwas davon haben wollen.“

Diese Haltung, die freilich alles Jung-Kreativ-Chaotische, alle neuen Arbeitsformen ausschließt, ist Spindelegger ins Blut übergegangen. Er ist die Anständigkeit und die Pflicht, die säuberliche und säuerliche. Pünktlichst beginnt jede seiner Veranstaltungen, egal, ob es sich um den Ministerrat oder einen Auftritt beim ÖVP-Eisstand am Wiener Graben handelt, der vor allem Touristen entzückt. Eine japanische Reisegruppe brach kürzlich in spitze Schreie aus, als sie erfuhr, dass der vermeintliche Eisverkäufer im Anzug der österreichische Außenminister war.

Neuerdings hat Spindelegger seinen Satz vom Fleiß in aller Herrgottsfrühe auf die Gartenarbeit ausgedehnt. Das war notwendig geworden, weil er von vielen Leuten auf seine unverschämte Sommerbräune angesprochen wird. Er sei nicht in der Karibik gewesen, erzählt er dann ganz verlegen. Er habe das vom Rasenmähen in seinem Garten am Mondsee. Die gesunde Farbe ist sicher auch dem Wahlkampf zuzurechnen, der ihn schon auf mehrere Almen und in zahlreiche Funktionärsversammlungen getrieben hat. Er trifft dort freilich immer nur seinesgleichen. Und wenn einmal eine Fußgängerzone auf dem Plan steht oder ein Bauernmarkt, die Salzburger Schranne oder der Wiener Naschmarkt, dann bewegt sich Spindelegger immer eingekeilt von Parteifreunden, die auf ihn einreden, was es einigermaßen schwer macht, mit dem "Volk“ in Kontakt zu treten - vor allem, wenn man ein eher schüchterner Mensch ist, bei dem ein Smalltalk ohnehin schon nach zwei Sätzen verebbt.

Spindelegger macht sich bei solchen Wahlkampfeinsätzen selbst Mut. Mit den Worten "Na, wie hammas heute“, "Auf geht‘s!“, "Gemma!“ gibt er sich einen Ruck.

Die Leute auf der Straße mögen ihn. Aber ob sie ihm den Kanzler zutrauen? "Wenn einer schon sagt, er wird’s, dann wird er’s nicht“, sagt eine Salzburger Marktgängerin.