Muamer Bećirović über Erhard Busek: „Die Kleingeistigkeit in Österreich hat ihn geärgert“

Nachruf auf Erhard Busek (1941 – 2022), von seinem jungen Freund und Anhänger, Muamer Bećirović.

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Erhard und ich wurden durch einen Streit gute Freunde. Das war im Jahr 2016. Ich war 20 Jahre alt und hatte nur 30 Minuten Zeit für ein Interview. Es sollte im Online-Magazin kopfumkrone.at erscheinen, das ich mit Freunden gegründet hatte. Ich provozierte gleich drauflos. „Wieso kritisieren Sie ständig die Volkspartei? Sie hatten Ihre Zeit. Warum lassen Sie die amtierenden Politiker nicht in Ruhe arbeiten?“ Überrascht von der Frage bäumte er sich vor mir auf und sagte: „Ich bin, im wahrsten Sinne des Wortes, Staatsbürger und habe das Recht, meine Meinung zu äußern!“ Unsere Interview-Zeit war um, er musste los. Doch er sagte, ich müsse wiederkommen. Die Diskussion sei noch nicht zu Ende.

Ich kam wieder. Nicht nur einmal. Denn wir wurden gute Freunde. Generations-Buddys, sozusagen. Wir schrieben gemeinsam Texte, luden zu politischen Veranstaltungen, schrieben miteinander das Buch „Heimat“.

Erhard war optimistischer als ich. Er glaubte, Österreich hätte noch die Kraft, eine neue Politiker-Generation hervorzubringen. Deshalb freute er sich über jeden Kontakt mit den Jungen aus der Volkspartei und versuchte, sie für den Dienst am Allgemeinwohl zu ermutigen. Erhard erinnerte mich dabei weniger an einen ÖVP-Politiker, sondern mehr an Wiener Intellektuelle des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie die Schriftsteller Stefan Zweig oder Egon Friedell. Erhards Moralkodex: Macht und Reichtum geben Freiheit und zugleich große Verantwortung. Das eine hat Erhard nie ohne das andere gesehen. Er machte sich keine Illusionen über die Natur der Menschen, sich selbst immer der Nächste zu sein. Aber er betonte auch, dass jeder Mensch eines Tages in einem Grab liege. Man müsse für Prinzipien stehen, leben und arbeiten, die größer seien als man selbst. Was er verabscheute, waren gierige und opportunistische Menschen.

Er respektierte den früheren ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz dafür, die Macht unbedingt zu wollen und sie auch zu erlangen. „Aber wozu will er sie denn?“, fragte er mir gegenüber. „Was ist der Sinn? Solange im Bundeskanzleramt zu sitzen, bis man rausgewählt wird?“ Das war Busek zu wenig. „Die Volkspartei hat jetzt große Macht, aber sie weiß nichts damit anzufangen“, konstatierte er am Höhepunkt der Ära Kurz. Und vielleicht hatte der Absturz der Kurz-ÖVP mit diesem Mangel an politischem Anspruch zu tun.

Den Türkisen, aber auch den meisten anderen Protagonisten aus der politischen Elite, sprach Busek die geistige Größe ab, das Land zu führen. Ihn störten die „Kinder und schlichten Gemüter“ in den Ministerkabinetten, Parteien, hohen Ämtern. Sein Ideal war die Meritokratie, die Herrschaftsform der besten Köpfe. Umso größer war sein Ärger über die „Kleingeistigkeit“ Österreichs.

Erhard betonte die Notwendigkeit des politischen Ausgleichs, aber nicht um jeden Preis. Am Ende müssten Reformen stehen. Den Reformstau in Österreich hielt er für erdrückend. Beim Jahrhundertthema Migration setzte Erhard auf Weltoffenheit mit Maß und Ziel. Exzellenz war für ihn zentral. Heimische Universitäten müssten den Anspruch haben, zu den besten der Welt zu gehören, die Ansicht vertrat er nicht nur als Wissenschaftsminister. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik hätte er sich eine liberalere Handschrift gewünscht.

Mit Erhard konnte man sich schlicht über alles fundiert austauschen – vor allem über Europa. Die Methode, alle Probleme historisch, von der Wurzel an zu verstehen, zu analysieren und zu beheben, war sein Credo. Er sagte mir, er hätte als junger Mensch gerne Geschichte studiert, sah darin aber zu wenig berufliche Perspektive.

Erhard hielt sich an seine Prinzipien, dem Staat zu dienen, ein Leben lang fest, oft einsam, von der Partei nie wirklich respektiert, aber immer gehobenen Hauptes. Ich hoffe, wir werden bald wieder Politiker in der Volkspartei sehen, die seiner Denkschule folgen.

Busek und Bećirović:

Erhard Busek starb am 13. März 2022. Er wurde 80 Jahre alt. Er war „bunter Vogel“ in Wien, Wissenschaftsminister, ÖVP-Bundesparteiobmann und von 1991 bis 1995 Vizekanzler . Er leitete das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, war Sonderkoordinator für den Stabilitätspakt für Südosteuropa und Präsident des Europäischen Forums Alpbach.
Muamer Bećirović, 26 Jahre alt, war von 2014 bis 2020 Vorsitzender der Jungen ÖVP im 15. Wiener Bezirk, trat aber bald enttäuscht aus der ÖVP aus. In Busek fand er ein neues politisches Vorbild. Sie gaben gemeinsam politische Texte und ein Buch heraus. Heute arbeitet Bećirović als Redakteur beim Wirtschaftsmagazin Forbes.