1962-2022

Adieu, Sven!

Am Mittwoch verstarb der langjährige Chefredakteur des profil, Sven Gächter. Er hat dieses Magazin geprägt und die Menschen, die dafür arbeiten, inspiriert. An dieser Stelle erinnern sich Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Freundinnen, an einen großen Journalisten.

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Lieber Sven!

Wir kannten uns seit 24 Jahren, seit dem Juli 1998. Ich hatte dir nie einen Brief geschrieben, wahrscheinlich auch keine persönlichen Mails. Eine Unzahl von SMS mit vielen Emojis waren es aber schon. Vor gar nicht langer Zeit wünschtest du mir – via WhatsApp prächtig alliterierend – „beste power für die bevorstehende parforce-produktion“. Du hast auch ohne jedes Wehklagen von einem „infusionsmarathon“ erzählt. Von mir gingen drei Mal ein angespannter Bizeps und drei Herzen zurück. Selten hast du das Private ohne den beruflichen Kontext stehen lassen, auch in der Kurzform fehlte niemals deine unerreicht präzise Sprachkreation.

Ich schreibe dir diese Zeilen, weil ich mir mit einem klassischen Nachruf schwertun würde. Was du als Journalist geleistet hast, steht ja für sich, ist in Zeiten der elektronischen Archivierung auf ewig für deine und meine Nachwelt einsehbar. Wer sind wir denn, um eine würdigende Metaebene einzuziehen für dich, der ein Meister der Metaebene war, der wie kaum ein anderer über fast alles von der Popkultur über den Fußball bis zur Weltpolitik reflektieren konnte! Wer bin ich denn, der deine Brillanz würdigen sollte, der du doch immer ein Maß der Dinge für die Redaktion, für Österreich, für den deutschen Sprachraum warst, wenn es um die Kunst der Wortmalerei ging; der du wie kein anderer Zusammenhänge erfassen, abstrahieren und dann in Wunderwerke von Sätzen kleiden konntest! Du warst groß, auch die Großen unter uns waren im Sprachmaß immer ein wenig kleiner als du. Nur du selbst hättest die Fähigkeiten und daher das Recht, über deinen eigenen Beitrag zum Journalismus bei profil und weit darüber hinaus zu befinden.

Ich schreibe dir diese Zeilen statt eines Nachrufs aber vor allem, weil ich nicht fähig bin, meine Gefühle für dich auf ein paar sterile Vokabeln herunterzubrechen. Mit wenigen Menschen in meinem Leben habe ich so viel Zeit verbracht wie mit dir, wahrscheinlich mit niemandem abseits meiner Familie. Das war natürlich durch unseren Beruf bedingt, aber dass daraus auch Nähe entstehen konnte, ist eigentlich ein Wunder. Wir waren ja durchgehend – über Jahrzehnte – im Produktionsstress für dieses Magazin. Zwischen uns beiden gab es ein hierarchisches Gefälle und dann noch mal zu den Kolleginnen und Kollegen. Du kamst aus einer anderen Welt: Schweiz, Kulturjournalismus, Popmusik. Und gib zu: So ganz leicht haben wir uns beide ganz generell mit Nähe nie getan. Aber sie war dennoch entstanden.

Das seichte Gefühl mit umso höheren Wellen war nicht das deine, schon gar nicht waren es das Rüpelhafte und die Zoten. Umgekehrt musste man auch dich emotional zart anfassen. Dein Wunsch, sich mit Details des alltäglich Privaten auseinanderzusetzen, hielt sich in Grenzen. Dein Respekt vor der Selbstbestimmung der Privatsphäre jedes Einzelnen blieb immer unverbrüchlich. Umso mehr, vielleicht auch deshalb, hattest du das feine Gespür für unsere, für meine Sorgen. Deine Augen sahen, was uns nach unten zog, deine Ohren hörten meine gelegentlich belegte Stimme. In diesen Augenblicken wurde deine eigene stete Plagerei sofort hintangestellt. Redaktioneller Tageskram spielte dann keine Rolle mehr. Du hast deine Empathie niemandem aufgedrängt. Aber sie war als nicht enden wollende emotionale Hilfsbereitschaft immer erkennbar und für jede und jeden abrufbar, die dich brauchten.

Lieber Sven, du warst unser aller Freund. Und viel mehr: Du hast über Jahrzehnte für einen Grundton der Liebe in der profil-Redaktion gesorgt. Ich will diesen deinen Ton irgendwann außerhalb dieser Welt wieder hören.

Dein Freund Christian

Christian Rainer, Herausgeber und Chefredakteur

An lauten Egoshootern herrscht im Journalismus kein Mangel, im Gegenteil. Sven gehörte zur raren Spezies der Leisen, Feinfühligen, Zweifelnden. Er musste nicht immer in der ersten Reihe stehen – und konnte daher umso besser beobachten, analysieren, erspüren. Das machte ihn zu einem journalistischen Meister der Zwischentöne, sprachlich und musikalisch, intellektuell und ironisch – und zu einem wunderbar feinen Menschen. Mit dem man stets neue Musik, ausgefeilte Tanzvideos und treffliche Formulierungen entdecken konnte. Und zwischendurch schallend lachen. Danke, Sven! Gute Reise!
Eva Linsinger, Ressortleiterin Innenpolitik, stellvertretende Chefredakteurin

Er war allergisch gegen die Wiener Hinterfotzigkeit und vernarrt in den Schmäh dieser Stadt. Weltmeister in der Kreation brillanter Titel und von Essays über das neue Pathos in der Kunst bis hin zu einer Psychoanalyse von Prinzessin Diana. Seine Porträts von Dagmar Koller oder Baumeister Lugner sind Bravourstücke der Offenlegung, ohne jemanden bloßzustellen. Er war manchmal spröde, aber immer selbstironisch. Nicht leicht zu erobern. „Prima“ war das Optimum seiner Anerkennung. Der unschweizerischste Schweizer, den ich kenne. Ich werde ihn und auch unsere kleinen Weißwein-Jausen am Freitagabend, wenn das Heft endlich fertig war, sehr vermissen. „Der Tod ist eine einzige Zumutung“, sagte Christine Nöstlinger. Dein Tod, Sven, eine riesengroße.
Angelika Hager, Ressortleiterin Gesellschaft

Ich lernte Sven Ende der Achtzigerjahre in Zürich kennen, als er in der Redaktion der „Weltwoche“ auftauchte. Sven war ein junger Mann, sehr schlank, sehr schlau, auf eine zurückhaltende Weise stilbewusst und sehr ehrgeizig. Er brachte Artikel über populäre Phänomene vorbei, die von atemberaubender Qualität waren: Sven erkannte im Kleinen das Große, im scheinbar Banalen die Kunst der Zukunft und war in der Lage, selbst komplizierte Themen glasklar zu durchdringen und aufzuschreiben.
Wir sahen einander in diesen Jahren oft, weil Sven viel für die „Weltwoche“ schrieb, glänzende Vorschläge machte und manchmal auch mit uns in die Kneipe ging. Er erzählte ein bisschen über seine Arbeit als DJ in einem Club und seine Liebe zur schwarzen Musik, zu elektronischen Grooves und zur Partykultur, aber es blieb immer eine Distanz, die der Einsamkeit entsprang, die Sven in Zürich umfing.
Erst als er nach einem Intermezzo beim deutschen „Wiener“ nach Wien zu profil übersiedelte, verwandelte sich Sven in einen Menschen, der seine Arbeit und sein Leben genießen konnte. Die Grooves der Stadt Wien und der neue Job als Kulturchef beim profil waren Schlüssel dafür. Sven entwickelte sich zu einem lebenslustigen Entertainer und kultivierte die Doppelrolle als geschätzter, oft bewunderter Kulturjournalist, der gleichzeitig in der House-Subkultur eine mindestens so wichtige Rolle spielte. Als er vierzig wurde und im Porgy & Bess eine Party feierte, war der Club so voll, als ob Prince ein Geheimkonzert angesetzt hätte.
Wir arbeiteten, nachdem auch ich ein Jahr nach Sven zum profil gestoßen war, für sieben Jahre fast Schulter an Schulter zusammen und wurden von Kollegen zu Freunden. Er war brillant, anregend, er war mitreißend, begeisternd und selbst begeistert. Manchmal, wenn die Abschlussabende in der Redaktion lang wurden, zeigte er zur Musik, die er nach Dienstschluss auflegte, sogar ein paar passende Tanzmoves. Es überraschte niemanden, dass Sven 2002 zum Chefredakteur ernannt wurde, ausgestattet mit dem maximalen Vertrauen der Redaktion.
Unsere Freundschaft blieb über die Zeit der engen Zusammenarbeit hinaus bestehen, und ich erlebte von außen mit, dass Sven seine neuen Aufgaben genoss, mit den Jahren aber unter den schwieriger werdenden Rahmenbedingungen zu leiden begann. Bei den letzten Treffen in einer Weinbar, die wir beide mochten, sagte er mir, schon gezeichnet von der Krankheit, dass der Umzug nach Wien ihm das Leben gerettet hatte. Hier habe er so viele Menschen kennengelernt, die ihm etwas bedeuten, allen voran seinen Partner Reinhard, den Sven „das größte Glück meines Lebens“ nannte. Jeder, der weiß, wie weit entfernt vom Pathos Sven gebaut war, kann ermessen, was das bedeutet. Ich vermisse den Menschen Sven Gächter, und ich vermisse den Journalisten Sven Gächter, dessen Arbeit dieses Blatt geprägt und ihm Glanzlichter aufgesetzt hat.
Christian Seiler, ehem. Chefredakteur

Sven war unser Schweizer, und sehr lange hörte man das auch. Seine redaktionsinterne Austrifizierung war abgeschlossen, als er zur „CD“ nicht mehr „Dsäääää-de“ sagte. Sven war unser Blumenkind. An Freitagen trug er monströse Einzelstücke zur Behübschung in sein Büro. Sven war unser Titelheld. Keiner fand originellere Überschriften. Mit unseren Texten ging er fast zärtlich um und machte sie besser. Sven war unser Chefredakteur, unser Weinlieferant zum Redaktionsschluss, unser Popkultur-Erklärer. In seinem Büro schauten wir uns Fußballspiele und Skirennen an. Er war unser Freund.
Gernot Bauer, Redakteur Innenpolitik

Wenn Sven schrieb, sich unterhielt, laut über Geschichten nachdachte, war immer seine Liebe zur Sprache zu spüren, sein intellektueller Esprit, seine Schlagfertigkeit, seine Lust an ironischen Wendungen und sarkastischem Witz. Aber mindestens so sehr liebte er die elektronische Musik, über die er sich mit niemandem aus der Redaktion ernsthaft austauschen konnte, die aber immer um ihn war, aus einem unsichtbaren Lautsprecher strömend, wenn es freitags spät geworden war. Meine berührendste Erinnerung aber hat mit einem Bild zu tun, das neben meinem Schreibtisch stand. Es war ganz weiß und zeigte die Schemen zweier Figuren, die sich im Licht aufzulösen schienen. Es gefiel ihm so gut, dass ich es ihm geschenkt habe. Wenn ich daran denke, tröstet mich der Gedanke, dass Sven vielleicht jetzt auch so hell und leicht in eine Unendlichkeit entschwebt.
Edith Meinhart,
Redakteurin Innenpolitik

Ich werde den intellektuellen Freund vermissen, die Freiheit seines Denkens, den überraschenden Blick, seine Skrupel und die Gewissheit, dass jedes Gespräch mit ihm eine neue Welt aufgemacht hat.
Christa Zöchling, Redakteurin Innenpolitik

Die kürzeste Verbindung zu Sven Gächter war die Musik. Er schrieb fesselnd über sie, er sprach eindringlich von ihr, und er machte mit all seiner Kreativität und Leidenschaft auch selbst welche. Wer Svens Texte las, dem eröffnete sich eine Welt; wer ihn nachts an den Plattentellern sah, begegnete ihm an seinem Lieblingsort der „zwanglosen Entgrenzung“ (Copyright Sven G., wer sonst?). Lieber Sven, Freund, Denker, Instanz für Stil, Meister der lapidaren Bemerkung, du warst der wunderbare Mensch im Büro nebenan und in den Clubs, danke für so viel!
Robert Treichler, Ressortleiter Aussenpolitik, stellvertretender Chefredakteur

Als Sven mir erzählt hat, dass die Ärzte in seinem Körper „Herde“ gefunden hatten, war ich am Boden zerstört. Dann war ein bisschen Funkstille, bis er mir geschrieben hat: Wie kann ich dich trösten? Ich finde, das zeigt total, was für ein Mensch er war.
Beate Maisner, Redaktionsmanagement

Seine Musik war nicht meine, aber wenn er zu hämmernder Elektronik in Manuskripte vertieft und leider unablässig rauchend in seinem Büro saß, war Sven fast ein Gesamtkunstwerk. In seinen letzten Jahren hatte er, der großartige Schreiber, fast nur noch die Texte anderer redigiert – ein Opfergang, den er ohne zu murren auf sich nahm. Seine Kreativität bündelte er im Schnitzen glänzender Titel, in denen der Wortwitz nie auf Kosten des Inhalts ging. Danke und Farewell, Sven.
Herbert Lackner, ehem. Chefredakteur

Ohne Sven Gächter wäre ich heute nicht bei profil. Als er mich im Februar 2002 anrief, um mir die Leitung des Kulturressorts anzubieten, weil er selbst in die Chefredaktion wechselte, kannten und schätzten wir einander als Filmkritiker bereits seit vielen Jahren. Mir wird Svens journalistische Präzision, mehr noch aber sein entwaffnender Sinn für Humor in lebhafter Erinnerung bleiben. Und natürlich seine unbändige Liebe zur Musik, zu allen Spielarten der avancierten Dance Music zwischen Dubstep und Deep House. Vor einem Monat erst stellte er seinen letzten Remix auf Soundcloud. Er kommentierte ihn, sehr charakteristisch, mit einer lakonischen Frage: „Is there house music after death?“ Bestimmt.
Stefan Grissemann, Ressortleiter Kultur

„Trinken!“ Wenn an Freitagen spätabends das Telefon läutete und Sven Gächter diesen einen Imperativ unnachahmlich ausstieß (eigentlich war es mehr ein „Trünken!“), dann gingen damit stets zwei Gewissheiten einher: Eine zuweilen aufreibende profil-Produktionswoche war mal wieder um, und Sven hatte Weißwein eingekühlt (für einen Schweizer hatte er übrigens einen herausragenden Geschmack). Svens Büro war über viele Jahre hinweg ein Rückzugsort für geschundene profil-Seelen. Wir saßen nach Redaktionsschluss oft noch stundenlang beieinander, redeten, schwiegen, lachten – und manchmal stritten wir auch. Wie das halt so ist, in Familien. Du fehlst so sehr.
Michael Nikbakhsh, Ressortleiter Wirtschaft, stellvertretender Chefredakteur

Endlos klug, verschmitzt, immer, immer, immer hilfsbereit, leise (außer bei Techno), ein zarter Gigant hinter der Riesenblume auf seinem Schreibtisch. Instanz für quasi alles, egal ob Musik, Wein, Dagmar Koller oder Fußball. Aber vor allem liebte Sven die Sprache. Und die ihn inbrünstig zurück. London Bridge is down. Für profil auch.
Rainer Nikowitz, Kolumnist