Wahlfahrer auf Schleuderkurs

Wahlfahrer auf Schleuderkurs: Der vermurkste Wahlkampf der ÖVP

Kampagnen. Herbert Lackner über den vermurksten Wahlkampf der ÖVP

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Es gibt in Wahlkämpfen einen Satz, der pures Gift verströmt, sobald er über die Netze der Nachrichtenagenturen gelaufen ist. Im aktuellen Fall lautet er: „ÖVP dementiert Flügelkämpfe“. Hat eine solche Meldung die Redaktionen erreicht, weiß dort selbst der grünste Grünschnabel, dass hinter den Kulissen die Fetzen fliegen. Und wenn in Parteien mitten im Wahlkampf gestritten wird, tragen sie meist schon das Aschenkreuz.
Obiges Dementi, vorgetragen von Generalsekretär Johannes Rauch, hat seine ­Vorgeschichte in der Kritik von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner an der Bockbeinigkeit der ÖVP-dominierten Lehrergewerkschaft. Der ÖAAB-Vize-Chefin Gabriele Tamandl war daraufhin via Facebook der Satz entfahren: „Was bitte ist das für ein Blödsinn!?“ Beschwichtiger Rauch in seinem „Dementi“: „Wir sind alle auf einer Linie, ich lass mir von außen nicht hereintragen, dass wir keine Linie hätten, auch die Frau Tamandl ist voll auf Linie.“

Na ja.

Recht verblüffend, dass die ÖVP so ziellos durch den Wahlkampf irrlichtert. Im knospenden Frühling hatte es noch so ausgesehen, als würden die Schwarzen – kommt erst der Herbst – Bäume ausreißen. War ja nicht so schlecht gelaufen: In Kärnten glimpflich davon gekommen, Niederösterreich mannhaft verteidigt, Salzburg zurückerobert, Tirol gehalten und die SPÖ in der Heeres-Volksbefragung gedemütigt.
Frage: Was konnte da noch schiefgehen? Antwort: alles.
Da stimmt etwa Bienenminister Nikolaus Berlakovich in Brüsssel gleich zwei Mal zu Gunsten eines Gebräus ab, dessen bloßer Name schon wie Karel-Gottes-Lästerung klingt: Neonicotinoide. Dass unlängst der Berlakovich-Wahlkampfbus abbrannte, ist Majas Rache.

„Ich hab diese Forderung schon soooo satt!!“
Die wenig später kühn vom Zaun gebrochene Debatte über eine raschere Anhebung des Frauenpensionsalters zeugte zwar von Löwenmut, wirkte aber im anrollenden Wahlkampf ebenfalls hochtoxisch. ÖVP-Frauen-Rebellin Tamandl: „Ich hab diese Forderung schon soooo satt!!“

Worauf nun der Wirtschaftsflügel das Seine beitragen wollte, aber bereits beim Betreten des Parketts ins Rutschen kam: Finanzministerin Maria Fekter will bis heute jene angebliche „Studie“ nicht herzeigen, wonach Österreich in den vergangenen vier Jahren 70.000 Arbeitsplätze verloren habe, weil die Unternehmen vor zu hohen Steuern geflohen seien („Fay-mann-Steuern“, wie sie im Wahlkampf heißen). Als dann von Fekter als weitere Abwanderungskandidaten genannte Firmen via Fernsehen bekundeten, sie dächten überhaupt nicht daran, diesen wunderbaren Wirtschaftsstandort zu verlassen, stand die Finanzminister etwas begossen da.

In dieser schweren Stunde entschlüpfte dem sonst so besonnenen Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl das Wörtchen „abgesandelt“ – allerdings nicht bezogen auf die politische Artikulationsfähigkeit Maria Fekters, sondern auf Österreichs Standortqualität. Postwendend fragten die anderen Parteien und viele Leitartikler, ob die von Leitl befundete Absandelung womöglich damit zu tun habe, dass es in Österreich seit 13 Jahren ÖVP-Finanzminister und seit 27 Jahren ÖVP-Wirtschaftsminister gibt.

Der ÖVP-Wahlkampf zeichnet sich aber nicht nur durch schnelle Zungen, sondern auch durch aparte Kontraste aus. Wenn etwa der ÖVP-Wirtschaftsbund postuliert, der Zwölf-Stunden-Arbeitstag ohne Überstundenzuschläge sei modern und wirtschaftsfördernd, während der ÖVP-Beamtenbund das Ansinnen, Lehrer sollten 24 Stunden wöchentlich arbeiten, als mittelalterliche Folter brandmarkt, dann hat das schon wieder was.

Auch Obmann Michael Spindelegger gelingt es nicht, im allgemeinen Schlingern seiner Partei Tritt zu fassen. Beim Wahlkampf-Giftthema Zwölf-Stunden-Tag etwa gab er sich zunächst als Wildling und machte diese Forderung zur Koa-litionsbedingung. Noch Montagvormittag vergangener Woche wischte er das Nein des ÖGB brüsk vom Tisch („Es muss nicht alles zentral vom ÖGB bewilligt werden!“). Am selben Abend, bei der TV-Debatte mit Werner Faymann, schnurrte der ÖVP-Obmann plötzlich kätzchengleich: „Natürlich nicht“, werde man das ohne ÖGB-Zustimmung durchdrücken: „Ich bin ein großer Freund der Sozialpartnerschaft.“

Entfesselungskünstlerpech
Tänzelnd hatte Spindelegger im Puls 4-Studio demonstriert, was er unter dem Begriff „entfesselt“ versteht und dem jungen Mann aus dem Publikum, der sich über unbezahlte Praktika ärgerte, entschlossen Sukkurs versprochen: „Lassen Sie mir Ihre Telefonnummer da.“ Dass im Netz zur selben Stunde ein Shitstorm über den Wiener ÖVP-Wirtschaftsbund niederprasselte, weil der auf Facebook zwei unbezahlte Praktika angeboten hatte, ist Entfesselungskünstlerpech.

Derweil quälte Spindeleggers Mitstreiter anderes: „Ich werde das Gefühl nicht los, dass Werner Faymann immer mehr zum Lügenkanzler wird“, grübelte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner vorvergangene Woche laut vor sich hin.

So düstere Gedanken plagten Mikl-Leitners politischen Ziehvater nicht, als er es sich unter dem scharfen Auge eines „Krone“-Reporters mit dem Lügenkanzler im Garten des Heiligenstädter Pfarrwirten gemütlich machte. Die „Krone“ hyperventilierte den Umtrunk zwischen Werner Faymann und Erwin Pröll tags darauf zum Geheimtreffen und den Eintrag im Gästebuch zum „Freundschaftsvertrag“ hoch. Wenngleich das Klandestine an einem Schmaus in einem prall besetzten Promilokal nicht gleich erkennbar ist und auch der Gästebucheintrag („An diesem Tisch ist der Gemischte Satz der Politik offenkundig geworden“) eher für die Qualität des Weins und gewisse Formulierungsschwächen der Eintragenden als für ein Geheimabkommen spricht, soll der Herrenabend in ÖVP-Funktionärskreisen für schrillen Unmut gesorgt haben.

Dem Erwin sei halt wieder einmal fad, ätzten die Abgeklärteren unter ihnen.

Kleine Rechenstunde: Vier Wochen vor der Wahl lag die ÖVP im Jahr 2006 in den Umfragen bei 38 Prozent und 2008 bei 28 Prozent. In den letzten vier Wahlkampf­wochen verlor sie noch jeweils drei Prozentpunkte.
Derzeit sind es wieder vier Wochen bis zur National­ratswahl. Die ÖVP liegt in der jüngsten profil-Umfrage – durchgeführt noch vor dem neuerlichen Hochkochen der Partei­spendenaffäre – bei 24 Prozent.

Setzt sich der Trend der vergangenen beiden Wahlen fort, büßt die Volkspartei im ­Finale also wieder drei Prozentpunkte ein, käme sie auf 21 Prozent.

Ob das noch für Platz zwei reicht, ist ungewiss.