Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Dolm der Woche

Dolm der Woche

Drucken

Schriftgröße

Unlängst traf ich bei einer von den NEOS organisierten Diskussion einen alten Bekannten, Ex-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager. Wir sprachen über vergangene Zeiten – als wir Ende der 1960er-Jahre beide in der Hochschulpolitik engagiert waren: Er, der Burschenschafter, beim rechten Ring Freiheitlicher Studenten, ich als linkssozialistischer Aktivist. Frischenschlager erinnerte mich an eine Begegnung im Jahre 1993. Er und ein paar andere Freiheitliche um Heide Schmidt hatten sich gerade von Jörg Haider getrennt und ihre eigene Parlamentsfraktion, das Liberale Forum, gebildet. Da trafen wir einander auf der Straße. Ich hätte ihm damals, so erzählt Frischenschlager, zur Parteigründung gratuliert. Paradox und amüsant findet er noch heute, dass ich, den er als linken Revoluzzer kannte, gleichzeitig gemeint hätte, seine neue Gruppierung sei für eine liberale Partei ein wenig zu links.

Tatsächlich schien mir die Tatsache, dass das Liberale Forum zwar gesellschaftspolitisch überaus liberal auftrat, aber sich scheute, offensiv für wirtschaftsliberale Ideen zu werben, wenig zukunftsträchtig. Und ich entsinne mich, ironisch moniert zu haben: „Ein bisschen mehr soziale Kälte solltet ihr doch ausstrahlen.“ Ohne Rechthaberei: Das Schicksal des Liberalen Forum zeigt, dass ich nicht völlig danebenlag.

Zurück zu den NEOS. Ihre Gründung ist der zweite Versuch nach 1945, eine liberale Partei im politischen Spektrum Österreichs zu etablieren. Und diesmal scheint’s zu klappen. Offensichtlich ist die Zeit reif. Die Gruppe um Matthias Strolz und Angelika Mlinar ist gesellschaftspolitisch progressiv und traut sich im selben Atemzug, den Markt hochleben zu lassen, Freihandel gut zu finden und Privatisierungen zu propagieren. Und hat damit Erfolg.
Die Mitbewerber werden nervös und beginnen, scharf gegen die politischen Neulinge zu schießen. Die ÖVP sieht in ihnen – zu Recht – eine moderne und dynamische Alternative im bürgerlichen Lager. Und die Grünen ertragen es offenbar nicht, dass eine Kraft, die in Fragen der Migration, des Asyls und der Minderheiten, der Schwulen, Frauen und Menschenrechte, kaum anders denkt als sie, gleichzeitig aber vieles von dem vertritt, was auf grüner Seite als neoliberales Teufelszeug verdammt wird.
Auch so manches Medium ist nicht zimperlich, wenn es gegen die NEOS geht: Ihre Spitzenkandidatin für das EU-Parlament Angelika Mlinar avanciert in der Wiener Stadtzeitung „Falter“ sogar zum „Dolm der Woche“, weil sie sich erdreistet hat, öffentlich im TV darüber nachzudenken, ob Müll- und Wasserversorgung unbedingt staatlich organisiert werden müssen. Als Vertreterin eines „neoliberalen Nachtwächterstaats“ bekam Mlinar jene „Auszeichnung“ verpasst, die das Blatt sonst eher für Rassisten, Korruptionisten und ausgesprochene Dummköpfe reserviert hat.

Warum aber ist die Wut auf die politischen Newcomer gerade im linksgrünen Milieu so besonders groß? Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass die NEOS die gewohnten politischen Denkschemata infrage stellen. Bei uns schien es bisher klar: Wer sich politisch wirtschaftsnah und marktfreundlich gibt, ist mit einiger Sicherheit religiös und antimodern (ÖVP) oder ressentimentgeladen und nationalistisch (FPÖ) – oder alles zusammen. Jedenfalls ist der Verstunkenheitsfaktor meistens hoch. Die Gegner dieser Politik, die das Land aus der Rückständigkeit herausholen wollen, misstrauen meist – aus sozialen oder ökologischen Gründen – prinzipiell dem Markt und dem Kapitalismus.

Die in anderen Ländern durchaus auftretende politische Kombination von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Liberalismus, eine Strömung, die idealtypisch im britischen Wochenmagazin „The Economist“ ihren Ausdruck findet, wird hierzulande bisher als überaus fremd empfunden. Aus bekannten historischen Gründen: Ein liberales Bürgertum hat es in Österreich kaum gegeben. Und jene Schicht, bei der noch am ehesten Liberalismus verankert war – das Bürgertum mit jüdischem Background –, wurde in der Nazizeit vertrieben und ermordet. Nach 1945 herrschte lange Zeit provinzielle Depression. Das war nicht der Humus, auf dem nach vorne blickender Liberalismus wachsen hätte können.

Aber die Zeiten ändern sich. Offenbar auch in Österreich. Ich habe mir noch einmal die ORF-Pressestunde mit Frau Mlinar angesehen, auf die der „Falter“ Bezug nimmt. Sie trat da keineswegs dolmenhaft auf. Im Gegenteil: Da gab die NEOS-Kandidatin viel Interessantes, ja auch Mutiges, von sich: Sie wagte, die Neutralität infrage zu stellen, wies die Perspektive hin zu einer europäischen Armee, sagte Kluges zur Ausländerpolitik, ja, die Kärntner Slowenin verteidigte die Sanktionen gegen Schwarz-Blau und befürwortete im Grundsatz das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP. Gewiss sind ihre Privatisierungsvorstellungen nicht jedermanns Sache. Aber muss man da gleich ausrasten und zu schimpfen beginnen?

Ich werde die NEOS wahrscheinlich nicht wählen: Weil ich nicht wie sie – vor allem nach der großen Wirtschaftskrise – ein bedingungsloses Vertrauen in den Markt aufbringen kann und ich als Anhänger keynesianischer Wirtschaftspolitik dem Staat doch mehr Handlungsspielraum einräumen will. Aber erfreulich und erfrischend sind die Erfolge der NEOS, dieser neuen Kraft in der heimischen politischen Landschaft, allemal.

Der „Dolm der Woche“ ist diesmal der „Falter“ selbst.

[email protected]