„Hitler hat viel gelacht – auf Kosten anderer”

Neue Hitler-Biografie: „Adolf Hitler hat viel gelacht – auf Kosten anderer”

Interview. Der Historiker Volker Ullrich über seine Hitler-Biografie

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Interview: Marianne Enigl

profil: Mehr als 1000 neue Seiten zu Hitler. Haben wir noch immer nicht genug von ihm?
Volker Ullrich: Die Frage stellt sich in der Tat. Karl Kraus hat einmal gesagt: „Zu Hitler fällt mir nichts ein.“ Also mir fällt zu Hitler noch eine ganze Menge ein. Wir glauben, alles über ihn zu wissen, aber es gibt erstaunliche Leerstellen.

profil: Ihre Biografie kündigt eine Antwort auf die alte Frage an: „Wer war Hitler wirklich?“ Wer also war er?
Ullrich: Hitler beherrschte die Kunst, in Masken aufzutreten und in Rollen zu schlüpfen. Die bisherigen Hitler-Biografen wurden Opfer der Rolle, die Hitler am perfektesten spielte – sein Privatleben zu verhüllen und sich als Politiker zu inszenieren, der sich ausschließlich der Mission „Deutschland“ verschrieben hat. Ich bin überzeugt, dass man Hitler als Menschen nicht nur zeigen darf, man muss es sogar! Dadurch wird dieser Mann in gewisser Weise „normalisiert“, aber das lässt ihn nicht „normaler“, sondern noch abgründiger erscheinen. Es geht um die Doppelnatur Hitlers, das Nebeneinander gewinnender Züge und krimineller Energie. Um Winifred Wagners Kinder in Bayreuth etwa soll er rührend besorgt gewesen sein.

profil: Nehmen Sie ihm das gewinnende Wesen ab?
Ullrich: Dieses Gewinnende ist ein Gesicht, das Hitler eben auch hatte. Er konnte diese gewinnende Seite auch gegenüber Leuten zeigen, die er zutiefst verachtete.

profil: Sie haben eine unglaubliche Fülle an Material zusammengetragen, notieren sogar, „dass Hitler Ende der 1920er-Jahre noch über sich selbst lachen konnte“. Wann hat Hitler aufgehört, über sich zu lachen?
Ullrich: Hitler hat viel gelacht. Laut Albert Speer konnte er sich vor Lachen biegen, doch immer auf Kosten anderer. Ich finde, auch das gehört zum Bild.

profil: Haben Sie sich je gefragt, wie Sie sich ihm gegenüber verhalten hätten?
Ullrich: Wie ich als Zeitgenosse auf Hitler reagiert hätte, kann ich nicht sagen. Ich weiß von meiner Mutter, dass sie ihn einmal sah – und beeindruckt war. Als Biograf muss man versuchen, diesem Mann nahe zu kommen, darf aber keine Sekunde aus den Augen lassen, dass er ein Jahrhundertverbrecher war.

profil: Der britische Historiker Ian Kershaw sagte zu seiner großen Hitler-Biografie, ihn interessiere weniger der merkwürdige Charakter dieses Mannes als die Frage, wie Hitlers Regime möglich war. Sie konzentrieren sich wieder auf Hitlers Persönlichkeit. Ist das nicht ein Rückschritt?
Ullrich: Dieser Vorwurf könnte kommen. Kershaw interessiert sich für die Strukturen, die gesellschaftlichen Kräfte, die Hitler und seine Herrschaft ermöglichten. Ich gehe den umgekehrten Weg. Mein Ansatz ist, dass man die Katastrophe von 1933 bis 1945, den Zivilisationsbruch, nicht verstehen kann, ohne Hitler selbst zu verstehen, seine Persönlichkeit, sein Denken und seine Herrschaftstechnik. Rudolf Heß schilderte eindrucksvoll, wie Hitler ein Publikum umdrehen konnte. Wie er etwa 1927 von Industriellen aus dem Ruhrgebiet mit „eisigem Schweigen“ empfangen wurde und dass zwei Stunden später Begeisterung losbrach. Heß schreibt, man fühlte sich wie im Zirkus Krone, dem größten Versammlungssaal in München. Also: Er muss bestimmte Qualitäten gehabt haben, sonst wären nicht so viele auf ihn abgefahren, wie man heute sagt. Man kann daraus seine Verführungsmacht und das Geheimnis dieser Macht ablesen. Aus Heߒ Briefen kann man im Übrigen auch erfahren, wie Hitlers „Mein Kampf“ in der gemeinsamen Haft in Landsberg tatsächlich entstanden ist. Es heißt ja, Hitler habe Heß in die Maschine diktiert. So war es aber nicht. Hitler hat selbst mit zwei Fingern getippt.

profil: Ist die Frage wichtig, ob Hitler „Mein Kampf“ selbst getippt oder diktiert hat?
Ullrich: Es ist eine Korrektur der bisherigen Lesart. Als Erster hat darauf der Salzburger Historiker Othmar Plöckinger hingewiesen. Ein interessanter Punkt ist auch die weit verbreitete Vorstellung, „Mein Kampf“ sei stilistisch grauenvoll. Wenn man genau liest, findet man darin auch Passagen, in denen sich Hitler als durchaus schreibgewandt erweist. Ich bin da schon sehr gespannt auf die kritische Edition von Hitlers Elaborat, die das Münchner Institut für Zeitgeschichte 2015 herausbringen wird.

profil: Sie haben gesagt, als Hitler-Biograf dürfe man seine Leser nicht mit Schlüssellochperspektiven reizen. Es verwundert, dass Sie dann den Zustand der Bettwäsche Hitlers auf dem Berghof erwähnen.
Ullrich: Den Vorwurf des Voyeurismus muss ich zurückweisen. Ich habe lange darüber nachgedacht, doch ein Kapitel über Hitlers Verhältnis zu Frauen gehört in eine Biografie, die auch sein persönliches Leben umfasst. Gerade darüber existieren die absonderlichsten Spekulationen. Dennoch muss man versuchen, diese Frage zu klären – zum Beispiel Hitlers Beziehung zu Eva Braun, denn sie war für ihn sehr viel bedeutungsvoller als lange angenommen. Die Frage, wie es um das Liebesleben der beiden bestellt war, ist allerdings schwer zu beantworten, weil Hitler darüber stets den Schleier der Diskretion gebreitet hat.

profil: Sie sprechen Hitler ein „Elefantengedächtnis“ zu und kritisieren, dass seine geistigen Fähigkeiten als bescheiden abgetan wurden. Sollte man sie Ihrer Ansicht nach höher einschätzen als bisher?
Ullrich: Auf jeden Fall. Hitler war meines Erachtens ein Mann von hoher Intelligenz und vielen Begabungen. 1918 kam er aus dem Ersten Weltkrieg als Nobody zurück, war ein namenloser Gefreiter wie hunderttausende andere. Er habe einem müden, streunenden Hund geglichen, der einen Herrn suchte, meinte ein Offizier – und innerhalb von nur vier Jahren wurde er eine Berühmtheit. Diesen phänomenalen Aufstieg kann man nur verstehen, wenn man davon ausgeht, dass dieser Mann ganz bestimmte Talente gehabt haben muss. Neben der außergewöhnlichen Redemacht verfügte Hitler über taktische Schläue und die große Fähigkeit, politische Situationen blitzschnell zu erkennen und für sich auszunützen. Meine These ist die: Hitler war nicht der verhinderte Künstler, zu dem er sich stilisiert hat. Er war der gerissene, versierte, mit allen Wassern gewaschene Politiker.

profil: Wer von seinen Paladinen war ihm überlegen?
Ullrich: Überlegen? Keiner. Seine Fähigkeiten zeigten sich schon in den innerparteilichen Auseinandersetzungen. Zum Beispiel nach der Reichstagswahl vom November 1932, bei der die NSDAP massiv verlor, in die Krise stürzte und schon Auflösungstendenzen zeigte. Da ließ Hitler die Gauleiter kommen, hielt eine Rede und verpflichtete sie auf sich als „Führer“. Er war der Meister, alle anderen die Gesellen.

profil: Als das Schlüsseldokument in Hitlers Biografie bezeichnen Sie ein Schreiben von ihm aus dem September 1919. Darin postuliert er, das „letzte Ziel“ müsse „unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt“ sein.
Ullrich: In „Mein Kampf“ gibt Hitler an, schon in seinen Wiener Jahren, zwischen 1908 und 1913, zum Antisemiten geworden zu sein. Damals war er zwar radikaler Nationalist und mit antisemitischen Stereotypen bekannt, identifizierte sich damit jedoch noch nicht. Brigitte Hamann belegt in „Hitlers Wien“, dass er etwa im Männerheim mit Juden Bekanntschaften pflegte. Zum besessenen Antisemiten wurde Hitler erst in München 1918/19, wo er dieses aggressive, geradezu pogromartige Klima gegen die Führer der Münchner Räterepublik aufgesogen hat. Als Aufklärungsredner der Reichswehr hatte er eine Anfrage zum Thema „Sind Juden eine nationale Gefahr?“ zu beantworten – und er schrieb kühl dieses Schlüsseldokument, an dessen Ziel er bis zum Ende festgehalten hat.

profil: Hitler war vor Österreichs „Anschluss“ 1938 bereits fünf Jahre lang Diktator in Deutschland. Wie konnten so viele Juden in Österreich damals noch darauf vertrauen, er werde sich nicht lange halten?
Ullrich: Das war ein Irrtum, den viele Juden zum Beispiel auch mit den nationalkonservativen Eliten teilten, die Hitler an die Macht gebracht hatten. Deren Vorstellung war: Wir haben uns den Mann engagiert und zähmen ihn dann schon. Diese Idee, Hitler zähmen zu können, war schon nach wenigen Wochen obsolet. Er spielte alle an die Wand. Die Linke hat er von Beginn an brutal verfolgen lassen, in der „Nacht der langen Messer“ 1934 ließ er in den eigenen Reihen morden. Das war die eine Seite. Die andere war: Es ging aufwärts, eine neue Zeit brach an. Beides lief nebeneinander her: Schrecken und Verführung.

profil: Ihr Buch zieht keinen Schlussstrich unter das Phänomen Hitler?
Ullrich: Im Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit ihm wird eher noch zunehmen.

Volker Ullrich, 70
Drei Jahre lang hat der Historiker und Publizist an Band eins seiner Hitler-Biografie geschrieben, die Arbeit am zweiten Band hat er bereits begonnen. Ullrich ist Autor der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, Mitherausgeber von „Zeit-Geschichte“, und er hat mit dem Werk „Die nervöse Großmacht“ eine große Geschichte des Deutschen Kaiserreichs verfasst.

Volker Ullrich: Adolf Hitler – Die Jahre des Aufstiegs 1889–1939; S. Fischer, Frankfurt 2013; 1083 Seiten, 25,70 Euro