Der österreichische Gurlitt

NS-Raubkunst: Der österreichische Gurlitt

Titelgeschichte. Wolfgang Gurlitt handelte mit Raubkunst und verkaufte seine Bilder dem Linzer Lentos-Museum

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Als am 28. Februar 2012 deutsche Zollfahnder eine Wohnungstür in der fünften Etage eines Apartmenthauses im Münchner Nobelviertel Schwabing aufbrachen, fanden sie einen kleinen, alten Mann mit schlohweißem Haar – und mehr als 1200 Kunstwerke der klassischen Moderne, gestapelt bis an die Zimmerdecke, von denen einige als verschollen gegolten hatten. Cornelius Gurlitt, Nachkomme des Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, hatte bis dahin eingesponnen in einer Welt aus Farben, Formen und Linien gelebt, wohl wissend, dass ein Teil seines Erbes einst in Salons jüdischer Familien gehangen oder als „entartete Kunst“ gehandelt worden war.

Die rechtlich strittige Beschlagnahme seiner Bilder wurde vergangene Woche aufgehoben, nachdem sich Cornelius Gurlitt verpflichtet hatte, die Herkunft verdächtiger Bilder klären zu lassen und Werke notfalls zurückzugeben. Der alte Mann müsste das nicht tun. Es gibt kein Gesetz, weder in Deutschland noch in Österreich, das einen privaten Sammler dazu zwingt, den NS-Beutezug seiner Vorfahren zu sühnen.

Es ist davon auszugehen, dass auch hierzulande in zahlreichen Wohnzimmern Bilder hängen, die einst auf sogenannten „Judenauktionen“ zum Schleuderpreis ersteigert wurden. In ihnen ist die versunkene jüdische Welt noch erhalten, das Porträt der Hausherrin, einst gemalt vom angesagten Künstler ihrer Zeit. Die Bilder sind unter uns. Aber nicht in den Familien, denen sie einst gehörten.

Das zeigt auch der „österreichische“ Gurlitt, Wolfgang Gurlitt, Cousin von Hildebrand; auch er ein kunstsinniger und gewiefter Händler, der 1946 rasch die österreichische Staatsbürgerschaft erwarb, um einer allfälligen Beschlagnahme seiner Kunstwerke zu entgehen. Dessen Bildersammlung war einst die Grundlage der Linzer Galerie, und sie stellt das Lentos, wie das Museum heute heißt, immer wieder vor das peinliche Problem, dass es möglicherweise Raubkunst in seinen modernen Hallen hat.

Wolfgang Gurlitt, geboren am 15. Februar 1888 in Berlin, entstammte wie sein jüngerer Vetter Hildebrand Gurlitt einer Künstlerfamilie. Seit der Gründerzeit haben die Gurlitts Komponisten, Architekten, Dirigenten und Kunsthändler hervorgebracht. Ihr Großvater Luis war ein Landschaftsmaler der Spätromantik, in dritter Ehe mit einer Jüdin verheiratet, was den beiden Gurlitts in der NS-Zeit das Verdikt eines „Vierteljuden“ und besondere Beobachtung durch die Gestapo einbrachte.

Wolfgangs Vater war in Berlin kaiserlicher Hofkunsthändler und Verleger gewesen, doch früh gestorben. Selbst noch blutjung, übernahm Wolfgang Gurlitt 1918 die Geschäfte. Seine Galerie war bald ein Treffpunkt der jungen Wilden um Oskar Kokoschka und Alfred Kubin. Gurlitt und seine kunstbegeisterte Freundin, Lilly Agoston, eine moderne Frau, die gern Anzüge und Schirmmützen trug, wurden von Kokoschka gezeichnet. Auch Lovis Corinth porträtierte den eitlen Galeristen mit Hang zum orientalischen Prunk, der trotz feiner Nase für das Kommende immer wieder in Geldnot geriet, sich durchschwindelte und Gläubiger um ihr Geld prellte.

Die Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 in Deutschland war auch für den Kunsthandel eine Zeitenwende. Die großen jüdischen Galeristen versuchten schnell zu verkaufen, um außer Landes und in Sicherheit zu kommen. Die Weitsichtigen emigrierten 1933, andere erst in letzter Sekunde, als Juden schon vollkommen entrechtet waren. Manche schafften es gar nicht mehr. Wie Ida Baer, deren Sohn noch 1939 nach England entkam. Sie selbst aber wurde nach Theresienstadt deportiert und 1942 ermordet. Die Familie Baer besaß unter anderem ein Gemälde von Lovis Corinth, „Othello“, ein kraftvolles Porträt eines schwarzen Hafenarbeiters. Irgendwann in dieser Zeit wanderte der wertvolle „Othello“ in Gurlitts Besitz, der ihn 1953 an die „Neue Galerie“, den Vorläufer des Linzer Lentos-Museums, verkaufte. Das Lentos ist jetzt mit einer Rückgabeforderung konfrontiert.

Gurlitt soll mit den Baers befreundet gewesen sein. Hatte er ihre Notlage ausgenützt?

In einem anderen Fall hatte sich Gurlitt jedenfalls schäbig verhalten. Im Jahr 1950 erreichte ihn ein Brief aus Israel. Fritz Loewenthal erinnerte Gurlitt daran, dass dieser einst für einen Pappenstiel die Kunstsammlung seines Schwiegervaters, der vor der Deportation stand, übernommen hatte. Mit dem Versprechen, die Werke nach dem Krieg wieder zurückzugeben oder nach ihrem Wert zu bezahlen. Davon wollte Gurlitt nun nichts mehr wissen. „Auch unser gesamter Besitz (…) ging restlos zu Grunde“, schrieb er zurück.

Lesen Sie die Titelgeschichte von Marianne Enigl und Christa Zöchling in der aktuellen Printausgabe oder als E-Paper (www.profil.at/epaper)!