„Es geht nicht um die Alabas“

Paul Breitner: „Es geht nicht um die Alabas“

Interview. FC-Bayern-München-Legende Paul Breitner über Fußball und junge Kicker in aller Welt

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Interview: Edith Meinhart

profil: Was passiert, wenn Ihnen bei den Castings für den FC-Bayern-Youth-Cup in Japan, Indien oder Österreich ein neuer Alaba unterkommt?
Paul Breitner: Wenn ich den totalen Überflieger sehe, sage ich zu unseren Leuten: Kümmert euch um den! Aber wir könnten Leute in diesem Alter nicht einfach aus Indien oder China holen. Das würde unter Menschenhandel fallen.

profil: Ein hartes Wort.
Breitner: Der FC Barcelona wurde erst vor ein paar Wochen bestraft, weil er rudelweise Kinder aus Afrika oder Asien geholt hat. Wir müssten warten, bis die Leute 18 sind, und ihnen dann einen Profivertrag geben.

profil: Wie schafft man es als junger Kicker, Ihnen aufzufallen?
Breitner: Es geht nicht um die Alabas. Jedes Jahr werden Zigtausende auf der ganzen Welt gecastet. Die Jugendlichen leben in Indien auf der Straße, oder haben es schwer, weil sie ohne Eltern dastehen, so wie einige japanische Spieler, die heuer aus der Tsunami-Region kommen. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, etwas aus ihrem Leben zu machen.

profil: Gelingt das mit Fußball?
Breitner: Vor drei Jahren habe ich in der chinesischen Stadt Guangzhou vier Jungs aus Nepal gesehen. Für drei von ihnen habe ich bei Audi eine Lehrstelle bekommen. Die Turniere werden ja von unseren Sponsoren getragen, ob das nun Audi, die Bank Austria in Wien oder in Asien der Solarhersteller Yingli ist. Den vierten, einen 14-Jährigen mit blonden Haaren, ein wunderbares Talent, aber noch ein kleiner Stift, habe ich ein Jahr später für eine Weile zu uns geholt. Er wird in China seinen Weg machen.

profil: Was macht Sie jetzt schon sicher?
Breitner: Bei einem Riesentalent, das mit 13 heraussticht, muss man ein paar Jahre warten. Wenn jemand in diesem Alter mit Knieproblemen anfängt, kann man ihn vergessen. Mit 16, 17 ist der Weg vorgezeichnet, so wie bei Alaba, der auch aus der Käfig Liga kommt und dem in den entscheidenden Jahren gesundheitlich nichts Schlimmes passiert ist.

profil: Worauf achten Sie denn, wenn sie den Jungen zuschauen?
Breitner: Auf die Bewegung zum Ball hin und vom Ball weg. Zwei Berührungen genügen mir, um zu sehen, ob jemand Alibipässe spielt oder Verantwortung übernimmt. Er kann sich ruhig verdribbeln, wenn hinter der Aktion Sinn ist. Außerdem schaue ich, was passiert, wenn einer seiner Partner in einer Situation ist, aus der er ohne Ballverlust nicht mehr herauskommt. Läuft er hin und hilft ihm?

profil: Der Youth Cup hat auch den recht profanen Zweck, Fußballfans in aller Welt zu überzeugen, dass Bayern München cooler ist als Manchester United.
Breitner: Klar wollen wir den 250 Millionen Menschen, die im heutigen China Fußball spielen, eine Alternative geben. Und genauso in Indien, das in zehn bis 20 Jahren eine fußballerische Großmacht sein wird.

profil: Sie gelten als politischer Mensch.
Breitner: Nein!

profil: In den 1970er-Jahren haben Sie für die SPD …
Breitner: Blödsinn! Ein politischer Mensch bin ich, wenn ich mich im Rahmen der bürgerlichen Pflichten, die jeder hat, dafür interessiere, was Politiker mit uns machen. Nur war es bei mir gleich eine Sensation, wenn ich gesagt habe, ich lese einen Lenin oder einen Marx: Ui, der ist Kommunist! Auch wenn ich im Nebensatz gesagt habe, dass ich genauso De Gaulle und Adenauer lese.

profil: Ist der Jugendcup für Sie auch ein gesellschaftspolitisches Projekt?
Breitner: Wir haben in Deutschland 50 bis 60 Millionen Fußballinteressierte. Nach den vier Notwendigkeiten im Leben des Deutschen – Essen, Trinken, Beruf und Familie – kommt Fußball an fünfter, sechster, siebenter, achter, neunter und zehnter Stelle. Aus dieser Omnipräsenz erwächst eine gesellschaftliche Verantwortung. Ich habe mir übrigens schon vor 30, 40 Jahren das Maul verbrannt, als ich gesagt habe: In Österreich wird auch Fußball gespielt. Man hat sich fürchterlich aufgeregt, aber keiner hat gefragt, was ich meine.

profil: Das hole ich hiermit gerne nach.
Breitner: In Österreich geht es vor allem ums Schifahren. Fußball wird auch gespielt. Das ist nicht negativ gemeint, aber eine Antwort auf die Frage, warum der österreichische Fußball immer wieder Hänger hat. Wenn eine Generation keine überragenden Talente hervorbringt, verschwindet der Sport von der Bildfläche, während das Interesse bei uns nicht davon abhängt, ob Deutschland Weltmeister wird.

profil: Es hilft der Popularität, wenn wenigstens die Chance besteht.
Breitner: Das stimmt. Und bevor sich wieder jemand aufregt, dass ich mir anmaße, über Österreich zu reden: Meine Frau ist dort geboren, da habe ich eine kleine Berechtigung.

profil: Werden Sie die WM in Brasilien vor Ort miterleben?
Breitner: Nein, ich habe genug Weltmeisterschaften live erlebt und auch selbst gespielt.