Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Das Erbe der Diktaturen

Das Erbe der Diktaturen

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Wenn man länger in Spanien gelebt hat und Portugal kennt, ist die innere Ähnlichkeit zu Griechenland ­augenfällig: In allen drei Ländern fehlt es an Industrie, ist die Verwaltung hypertroph und die Steuermoral unterm Hund. Die Gesellschaft ist da wie dort schmerzhaft in „Linke“ und „Rechte“ gespalten, wobei sich manche Linke nur ungern vom Kommunismus und manche Rechte nur ungern von Franco, Salazar und den Obristen distanzieren.

Dort liegt auch die Wurzel der Gemeinsamkeit: Alle drei Staaten waren bis Mitte der siebziger Jahre Diktaturen – ihre Entwicklung hinkt der Westeuropas um dreißig Jahre nach. Nicht weil die Menschen „südländisch faul“ wären, sondern weil die Industrialisierung ganz einfach um das später begonnen hat. Zugleich haben sich alle drei autoritären Vor-Regime auf mons­tröse, überbezahlte Bürokratien gestützt, die von den ­demokratischen Parteien nicht ab-, sondern nur umgebaut wurden: um nun ihre Anhänger dort unterzubringen und zu protegieren. Weil die für Diktaturen typische, übertriebene bürokratische Kontrolle jedes Vorgangs auch unter demokratischen Verhältnissen ungeheuer viel Zeit verschlingt – auf Bescheide wartet man ewig –, hat sich zwangsläufig auch die „kleine Aufmerksamkeit“ für den Behördenleiter erhalten oder wurde durch „persönliche Beziehungen“ ersetzt.

Es ist kein Wunder, dass diesem Staat, der zu Zeiten der Diktatur als Feind empfunden wurde, nur ungern Steuern zugestanden werden.

Ich schreibe das trotz meiner Zuneigung zu Spanien so ungeschminkt, weil es in Österreich durch Jahrzehnte nur quantitativ besser gewesen ist. Auch unsere Verwaltung hat Klienten lange zu Bittstellern degradiert. Auch bei uns waren Ämter zu groß und sind Beamte bis heute privilegiert.
Erst in den vergangenen 20 Jahren ist „Kundenfreundlichkeit“ von der Ausnahme zur Regel geworden und ­haben sich Amtswege – oft vorbildlich – verkürzt. Entsprechend effizient werden Steuern eingehoben – auch wenn gerade Finanzminister sie manchmal nur ungern zahlen. All diese Fortschritte sind in Spanien, Portugal oder Griechenland ebenfalls möglich – sie brauchen nur ihre Zeit.

Und vielleicht auch etwas Druck. Kluge Politiker dieser Länder werden die gegenwärtige Krise daher als Chance begreifen. „Griechenland muss sich ändern“, sagte Giorgos Papandreou Dienstag in seiner großen Rede vor der Vertrauensfrage im Parlament – und wurde darin bestätigt. Ich bin optimistisch, dass sein Sparpaket trotz fortgesetzter Proteste letztlich angenommen wird.

Der Zustand Griechenlands ist nicht nur wirtschaftlich weit schlechter als der Spaniens: Die Wunden der ­Geschichte sind dort schlechter verheilt, weil man sich ­ihrer nie wirklich angenommen hat. Als Hitler 1941 einmarschierte, widersetzten sich ihm vor allem kommunistische Partisanen, während die Rechte mit ihm kooperierte. ­Da­raus ist nach dem Krieg ein Bürgerkrieg gewachsen, der zur ­beschriebenen tiefen Spaltung geführt hat. 1967 haben ­Militärs diese Spaltung bekanntlich zu einem Putsch ­genutzt und das Land bis 1974 autoritär regiert. Während Spanien bis heute dabei ist, seine Franco-Vergangenheit aufzuarbeiten, ist das bezüglich der Kriegs- und Obristen-Vergangenheit Griechenlands weitgehend unterblieben.

Der im Zweiten Weltkrieg entstandene Riss in der ­Gesellschaft besteht noch immer. Die EU ist ein Projekt, das die Folgen des Zweiten Weltkriegs zu überwinden sucht – in Bezug auf Griechenland sollten gerade Deutsche das nicht als Zumutung empfinden.

Für die Österreicher geht es darum, den Griechen trotz der Agitation H. C. Straches einen Betrag zur Verfügung zu stellen, wie wir ihn bisher für die Hypo Alpe-Adria im freiheitlichen Kärnten aufgewendet haben.

Angeblich haben sich in einer Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik 60 Prozent zu dieser Solidarität mit den Griechen bekannt. Das wäre dem österreichischen Beitrag zum Zweiten Weltkrieg angemessen.

Natürlich soll die Hilfe für Griechenland letztlich dazu führen, dass es keine mehr braucht. Das ist keineswegs aussichtslos: Die griechische Wirtschaft läuft nicht ganz so schlecht, wie die Zahlen suggerieren – ein Gutteil des BIP ist unsichtbar, weil es durch Schattenwirtschaft zustande kommt.

Der Druck der EU kann daraus legales, versteuertes Wirtschaften machen, so wie er die Verwaltung schon jetzt zur Sparsamkeit gezwungen hat. Die ebenfalls geforderte ­Privatisierung der zahlreichen Staatsbetriebe wird nicht nur die Staatsschuld verringern, sondern vor allem konkurrenzfähige Unternehmen schaffen.

Mit etwas Glück wird all das passieren, was bei einer ­geordneten Insolvenz passierte, nur dass die EU ihre Peitschenhiebe durch das Zuckerbrot erschwinglicher Kredite abfedert. Die Griechen bekommen dieses Geld nicht, damit sie „auf unsere Kosten weiterhin faul sein können“, sondern es soll ihnen helfen, auf eigenen Beinen zu stehen – so wie uns seinerzeit der Marshall-Plan dabei geholfen hat.

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