#profil50

Peter Michael Lingens: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Der ehemalige profil-Herausgeber PETER MICHAEL LINGENS erinnert sich an die Anfänge des Magazins, seine wichtigsten Entscheidungen - und seine bitterste Niederlage.

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"Gut, dass es profil gibt!" So lautete in den Jahren, in denen ich es führte, der populärste Slogan in den Eigeninseraten des Magazins. Mit einer Nadel, die in eine schillernde Blase stach, nahm er Bezug auf die zahllosen von profil aufgedeckten Affären - ob es um Hannes Androschs Steuerhinterziehung, Kurt Waldheims SA-Mitgliedschaft, dubiose Grundstücksgeschäfte der Gemeinde Wien, die Pleiten der größten Banken des Landes oder die Kostenüberschreitung beim Bau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses ging.

Dass dieser Slogan nach 50 Jahren immer noch gilt, auch wenn die investigative Konkurrenz - nicht zuletzt dank des Vorbilds profil - viel größer ist und die wirtschaftspolitischen Skandale - nicht zuletzt dank profil-um eine Nuance seltener geworden sind, ist das größte Kompliment, dass ich dem profil machen kann.

Es gab mehrere Chefredakteure, die profil gut führten, auch wenn es anfangs schwer war, weil es den Durchbruch zu schaffen galt, und heute wieder besonders schwer ist, weil die asozialen Medien die wirtschaftliche Grundlage aushöhlen. Die größte Leistung bestand aber zweifellos darin, das Magazin ohne den Rückhalt von Besatzungsmächten, einer Gewerkschaft, einer Kammer, der Kirche oder einer Partei zu gründen. Diese Leistung hat Oscar Bronner damals (und mit dem "Standard" später ein zweites Mal) vollbracht, und ich halte sie für einzigartig. Sein Motiv war immer das gleiche: eine "gute Zeitung" zu schaffen. "Gut" hieß für ihn: der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtet.

"profil war und ist unabhängig"

profil war und ist in seinem Geist absolut unabhängig. An dieser Unabhängigkeit zweifeln manche bis heute - obwohl der Präsident der Industriellenvereinigung, die profil 1975 im Wege des "Kurier" erwarb, aufgrund der profil-Berichterstattung zum AKH-Skandal so lange in Haft war, bis sich herausstellte, dass er nichts von den Zahlungen wusste, die sein Unternehmen an eine Liechtensteiner Gesellschaft geleistet hatte. profil hatte über diese Zahlungen selbstverständlich berichtet, und niemand von der Industriellenvereinigung hatte deshalb bei mir interveniert. Daher empört es mich bis heute, wenn ich profil jetzt gelegentlich als "Raiffeisen-Postille" diffamiert sehe: Christian Konrad hat sich in all den Jahren nicht ein einziges Mal auch nur durch eine Frage in die profil-Berichterstattung eingemengt.

Aber die Österreicher wollen nicht daran glauben, dass es auch anständige Eigentümer anständiger Medien gibt, in denen die Journalisten vor allem berichten, was sie nach bestem Wissen und Gewissen erhoben haben. Wie sie es berichten, hat Bronner 1970 vorgegeben. Sein Vorbild war das amerikanische "Time Magazine", in dem kein Autor mit seinem Namen zeichnete und eine uniforme Magazinsprache herrschte, die vor allem faktenorientiert zu sein hatte.

Damit unterschied sich das profil der ersten fünf Jahre deutlich vom heutigen profil, was damit zusammenhängt, dass Bronner 1975 den trend-Verlag (in dem auch profil erschien) verkaufte und ich an seiner Stelle Herausgeber des profil wurde. Zuvor hatte das Unternehmen seine größte Krise erlebt: Die Branchenriesen "Kurier" und "Kronen Zeitung", denen der freche Zwerg schon lange ein Dorn im Auge gewesen war, wollten ihn ausradieren: Der "Kurier" gründete mit abtrünnigen trend-Redakteuren das Wirtschaftsmagazin "Eco", das wegen seines Wochenrhythmus vor allem dem profil lebenswichtige Inserate wegnahm; die "Kronen Zeitung" plante gemeinsam mit Gerd Bucerius ein "Zeit-Bild" als direkte profil-Konkurrenz. Ausgewählten Journalisten von profil und trend (auch mir) wurden höher dotierte Verträge, ja sogar Handgelder dafür geboten, zu diesen Projekten zu wechseln.

"Ohne Redaktion wäre profil nicht herzustellen und damit nichts wert gewesen"


Die Mehrheit der Kollegen, die seit Jahren auf eine Mitbeteiligung am trend-Verlag gewartet hatten, gab diesen Versuchungen nach - zu Bronners grenzenloser Enttäuschung. Er war mit mir einig, dass wir den Kampf gegen die beiden Branchenriesen nicht durchstehen würden und besser an den anständigeren der beiden verkaufen sollten. Ich rief den ORF-Generalintendanten Gerd Bacher an, der die "Krone" hasste und von dessen medialer Expertise man sowohl in der Industriellenvereinigung als auch beim "Kurier" überzeugt war, und sagte in etwa: "Bronner könnte gezwungen sein, an Dichand und Falk zu verkaufen." Das tat die erhoffte Wirkung: Am nächsten Tag hatte Bronner ein Offert des "Kurier" über 50 Millionen Schilling auf dem Tisch. Er beteiligte trend-Chefredakteur Jens Tschebull und mich je zur Hälfte am Verlag, und wir entwickelten ein gestaffeltes Modell der Mitbeteiligung aller auf dem Sprung befindlichen Kollegen, die auf diese Weise bei der Stange blieben. Denn ohne Redaktion wäre profil nicht herzustellen und damit nichts wert gewesen.

Der Deal erlaubte es Bronner, als Maler nach New York zu gehen; ich wurde als Chefredakteur des profil auch dessen Herausgeber, wobei ein bis heute gültiges profil-Statut festlegte, dass diese beiden Funktionen immer in einer Hand liegen müssen. Gleichzeitig übernahm der Verlag das "Kurier"-Statut, wonach die Redaktion einen Chefredakteur mit Dreiviertel-Mehrheit ablehnen kann. Diese beiden Säulen sichern die Unabhängigkeit des profil nahezu felsenfest ab.

In ernsthafte Gefahr geriet ich nur ein Mal: Nachdem ich Bruno Kreiskys Verleumdungen von Simon Wiesenthal "unanständig, würdelos und opportunistisch" genannt hatte, forderte der Bundeskanzler vom Präsidenten der Industriellenvereinigung, Hans Igler, meine sofortige Kündigung. Igler lehnte kategorisch ab, obwohl er mit Kreiskys Regierung gerade in Verhandlungen über eine Unterstützung für seine marode Textil-Ost stand. Kreisky gewährte die Unterstützung, obwohl Igler den Wunsch nach meiner Kündigung zurückgewiesen hatte. Die Textil-Ost ging trotz Unterstützung des Staates zu dessen finanziellen Lasten ein, was profil kritisch und korrekt festhielt.

Die wichtigste Veränderung des profil, die ich als Herausgeber vornahm, betraf die Form der Berichterstattung. Mit Karl Popper war und bin ich überzeugt, dass es die reine Fakten-Wiedergabe nicht gibt; vielmehr reiht jeder Journalist sie entlang einer ungefähren Vorstellung, die er von den zu beschreibenden Ereignissen hat. Ich halte es daher für besser, sich offen zu dieser Vorstellung zu bekennen, sie möglichst schon eingangs des Textes zu formulieren und dem Leser damit ganz bewusst die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob er aus den vorgetragenen Fakten dieselben Schlüsse zieht.

Im Übrigen halte ich die persönliche Sprache guter Journalisten für reizvoller als eine uniforme Magazinsprache, zumal profil immer hervorragend formulierende Journalisten hatte und hat - wobei ich zu meinen Leistungen zähle, exzellente Autoren wie Joachim Riedl, Reinhard Tramontana, Christian Ortner, Ursula Pasterk, Sigrid Löffler oder Elfriede Hammerl an profil gebunden zu haben. profil war damals in Österreich die Redaktion mit dem größten Frauenanteil - nicht weil ich ein Feminist war, sondern weil ich überzeugt war, dass Frauen für das gleiche Gehalt mehr als Männer leisten.

"Der erste innere Bruch mit profil"

Das Magazin, aus dem ich mich persönlich außenpolitisch informiere, ist freilich eines, das bis heute die unpersönliche Magazinsprache pflegt: der britische "Economist". 1983 handelte ich daher mit dessen Herausgeber Andrew Knight eine weitreichende Kooperation aus. Ich sah darin die Chance, profil vom führenden Magazin Österreichs zu einem internationalen Player zu machen. Die damalige profil-Redaktion lehnte die Kooperation fast einstimmig ab. Die linke Fraktion begründete dies damit, dass eine so enge Zusammenarbeit mit dem "Economist" die liberale Linie des profil gefährden würde. Co-Chefredakteur Helmut Voska, an sich bekennendes ÖVP-Mitglied, aber beseelt vom begreiflichen Wunsch, mir nachzufolgen, fuhr mit mir zum "Kurier", wo ich die Unterschrift des zuständigen Geschäftsführers einholen musste. Erst an Ort und Stelle zog Voska einen Zettel mit den gesammelten Ablehnungsunterschriften aus der Tasche. Unter diesen Voraussetzungen sah ich mich außerstande, die Kooperation abzuschließen, und halte das bis heute für unendlich schade.

Für mich persönlich war diese Niederlage der wahrscheinlich entscheidende erste innere Bruch mit dem profil - sozusagen mein Bronner-Erlebnis. Voska wurde nach einer ähnlich gearteten Auseinandersetzung dennoch nicht mein Nachfolger. Die beiden profil-Linken, die damals den Widerstand gegen den "Economist" angeführt hatten, informieren sich heute übrigens bevorzugt aus ihm.

Die Auslandsberichterstattung des profil ist heute dennoch umfangreicher als zu meiner Zeit. Die so wichtigen Wissenschaften haben mehr Platz. Und Rainer Nikowitz halte ich für einen besseren Satiriker als Reinhard Tramontana. Elfriede Hammerl gibt es Gott sei Dank noch immer, und mit Christa Zöchling hat die Redaktion eine weitere hervorragende Autorin, mit Eva Linsinger eine brillante Analytikerin.

Dass ich heute nicht mehr für profil, sondern für den "Falter" schreibe, hat nichts damit zu tun, dass ich der Linie des profil unter Christian Rainer misstraue - ich schätze es wie zuvor. Nur schätze ich auch den "Falter" unter seinem Chefredakteur Florian Klenk, kann auch dort die brillanten Texte kluger Frauen genießen und vier Mal im Monat über Wirtschaft schreiben, während ich im profil nur mehr zwei Mal darüber schreiben sollte.

Man darf in unserer Branche weder ein Elefantengedächtnis haben noch gar nachtragend sein, sondern soll sich - gerade eingedenk der so unendlich schwierig gewordenen wirtschaftlichen Verhältnisse - über jede Zeitschrift oder Zeitung freuen, die überlebt und in der die Mitarbeiter ihre Texte nach bestem Wissen und Gewissen verfassen. Das ist im profil immer der Fall.

Peter Michael Lingens war von 1970 bis 1974 Chefredakteur und bis 1987 Herausgeber von profil.

Peter Michael Lingens