Die späte Genugtuung des grünen Aufdeckers Peter Pilz.
Der Schurkenschreck

Peter Pilz: Der Schurkenschreck

Nichts würde Peter Pilz mehr langweilen als eine saubere Republik.

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So lustig wie jetzt war es lange nicht: "Das ist schon gut, oder?“, gluckst Peter Pilz bereits beim ersten kurzen Vorgespräch am Telefon. Einen Tag später, am Mittwochnachmittag der Vorwoche, sitzt er in seinem sorgfältig unaufgeräumten Büro in der Wiener Löwelstraße und freut sich noch immer: "Ich kenne nicht viele Abgeordnete, die es besser haben als ich“, findet Pilz. "Ich kann tun, was ich will. Und wenn ich jetzt dann heimgehe, treffe ich auf der Straße wieder etliche Leute, die mir sagen:, Das ist gut, was Sie machen, das taugt uns.‘“

Peter Pilz wurde vor Kurzem 63. Fast die Hälfte seines Lebens saß er für die Grünen im Parlament und ein paar Jahre im Wiener Gemeinderat. Er war Gründungsmitglied seiner Partei - und ist der Einzige aus jenen stürmischen Tagen, der bis heute durchgehalten hat. In der jüngeren Vergangenheit mehrten sich allerdings die Indizien für ein bevorstehendes Karriereende. Wer so lange in der Politik ist, macht sich nicht nur Freunde. Pilz hat zudem ein äußerst loses Mundwerk und war noch nie bereit, auf einen flotten Spruch zu verzichten, nur weil sich eventuell jemand gekränkt fühlen könnte. Bei der nächsten Nationalratswahl werde der Kollege wohl nicht mehr an wählbarer Position aufgestellt, hieß es. Zu den Menschen im grünen Kosmos, die Pilz irgendwie nicht mehr aushielten, gehörte nämlich ausgerechnet die Chefin, Eva Glawischnig. So etwas ist nie förderlich für die Karriere.

Ultimative Genugtuung

Doch dann gab Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil bekannt, dass die Republik den Eurofighterdeal noch einmal juristisch aufgearbeitet und den Hersteller der Abfangjäger wegen Betrugs angezeigt hat. Für Peter Pilz ist das die ultimative Genugtuung, vergleichbar höchstens mit der Bedeutung, die eine wissenschaftliche Beglaubigung des Osterwunders für den Papst hätte. Praktisch seit der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2003 versucht Pilz nachzuweisen, dass diese Beschaffungsaktion ein Schurkenstück gewesen sei. Vor zehn Jahren leitete er den ersten parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Causa. Und eben dort, bei der Arbeit im Ausschuss, fiel Pilz jene ominöse Buchungszeile auf, die dem Korruptionsverdacht einen Namen und eine Adresse gab. Es handelte sich um die Überweisung einer Firma namens "Vector Aerospace“, die lange niemand erklären konnte. Das Netzwerk rund um Vector ist nun zentraler Bestandteil der Strafanzeige gegen Airbus (vormals EADS).

Fragt man Pilz heute, wie groß der Anteil grüner Recherchen an der aktuellen Entwicklung ist, sieht er keinen Grund für falsche Bescheidenheit: "Dass es überhaupt zu Ermittlungen gekommen ist, war zu 100 Prozent unsere Arbeit.“ Immerhin räumt er ein, dass in der Folge auch ein paar andere Leute, Mitarbeiter diverser Taskforces und Journalisten zum Beispiel, verwertbare Infos anschleppten. Aber einer musste damit anfangen. Zum Glück gibt es Peter Pilz.

Bei den Grünen steht er nun wieder hoch im Kurs. Auf der Partei-Website wurden sämtliche Heldentaten des Steirers prominent platziert - auch jene, die nichts mit dem Eurofighter zu tun haben. Falls es, wie die Grünen wollen, zu einem zweiten Untersuchungsausschuss kommt, soll Pilz den Fraktionsvorsitz übernehmen. Eva Glawischnig lobte jüngst das Detailwissen des Kollegen und dessen präzise Kenntnis der Geschäftsordnung. Vor zwei Monaten hatte sich die Grünen-Sprecherin noch mit ganz anderen Aussagen zur Person zitieren lassen. Nachdem Pilz, wieder einmal, eine schärfere Oppositionspolitik und linken Populismus gefordert hatte, schimpfte Glawischnig: "Es gibt einen einzelnen Abgeordneten, der bei jeder unpassenden Gelegenheit seit Jahren dasselbe erzählt.“ Noch deutlicher wurde Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner. "Er [Pilz] überlegt sich: In welches Wadl beiße ich in den nächsten Wochen, um eine Schlagzeile zu produzieren?“ Da habe wohl jemand Angst vor seiner eigenen Bedeutungslosigkeit, resümierte der Parteimanager. Bald darauf verabschiedete sich Wallner in die Privatwirtschaft - wieder einer, den Pilz ausgesessen hat. Allein mit den Fotos von Parteifreunden, die wegen Materialermüdung den Clinch gegen ihn aufgaben, könnte der Mann ein Panini-Album füllen.

"Grüner Leithammel"

Die Journalisten beurteilten das Wirken des gebürtigen Kapfenbergers mitunter zu pessimistisch. "Peter Pilz versucht sich noch einmal als grüner Leithammel, um seine endgültige Demontage zu verhindern“, schrieb etwa profil anlässlich einer besonders hartnäckigen beruflichen Krise. Vom "tragischen Ende einer hoffnungsvollen Karriere“ sprach ein anonymer Parteifreund. Erschienen ist der gut recherchierte Artikel im März 1997. Einen Monat später war jedes böse Wort vergessen, weil Pilz - damals Gemeinderat in Wien - mit neuen Details über die sogenannten Kurdenmorde Furore machte. Zwei Jahre später schaffte er es mit einem Vorzugsstimmenwahlkampf zurück in den Nationalrat.

Er habe nie gewusst, ob er in ein, zwei Jahren noch Abgeordneter sein werde, sagt Pilz. "Manchmal war es richtig knapp,“ schmunzelt er. Doch stets gab es irgendeinen Skandal oder wenigstens eine vermutete Schlitzohrigkeit, um den oder die sich wer kümmern musste. Peter Pilz hat, als Korruptionsjäger und Politiker in Personalunion, ein eigenes Genre begründet. Er war nie der Typ, mit dem man die Details des Sozialversicherungsgesetzes, Skurrilitäten im Mietrecht oder andere dröge Materien erörtern konnte. Seit jeher interessierte ihn vorrangig jener Teil des Geschehens, der im Grenzbereich des Erlaubten (oder noch lieber: abseits davon) stattfindet. Eine völlig saubere Republik würde ihn zu Tode langweilen. Mittlerweile profilierten sich noch ein paar andere Grüne als Aufdecker. Doch Pilz blieb das Role Model - auch, weil er wie kein Zweiter mit Theaterblut herumspritzt. Die Einladungen zu seinen Pressekonferenzen lesen sich für gewöhnlich wie die Klappentexte von Spionagethrillern. "Verfassungsschutz gegen Heeresabwehramt: Aktion Schweinsohr“, titelte er etwa im Sommer 2016. Im Oktober war ein "BND-Angriff auf Österreich“ zu befürchten. Und aktuell wähnt Pilz das Land "In Erdoğans Würgegriff“. Bei der Präsentation der jeweils virulenten Verschwörung sitzt der Aufdecker mit sorgenvoller Miene vor dem Publikum und erörtert in getragenem Tonfall die Verdachtslage - häufig mit dem Versprechen, dass weiteres Material demnächst folgen werde, weil alles noch viel schlimmer sei, als man sich das im Moment vorstellen könne.

Sein aktuelles Lieblingsprojekt ist, abgesehen von den Eurofightern, das angebliche Spionagenetzwerk des türkischen Präsidenten. Die "Erdoğan-Stasi“ müsse zerschlagen werden, lautet der Arbeitsauftrag. Ihm seien Botschaftsdokumente aus 35 Staaten zugeschickt worden, von Belgien bis nach Australien, erzählt Pilz: "Die Texte werden jetzt übersetzt und ausgewertet. Dann treffen wir uns alle in Brüssel und stellen das ab.“

Manchmal übertreibt Pilz schamlos, manchmal hat er lange vor allen anderen die richtige Spur, manchmal gilt beides. Wirkungsvoll sind seine Attacken beinahe immer. Man könne vom Kollegen einiges lernen, meint der Grüne Werner Kogler, der selbst in der Causa Hypo Alpe-Adria sehr viel Schmutz zutage gefördert hat. "Er ist ein Meister der Zuspitzung und immer Vollgas mit der Schrotflinte unterwegs.“ Pilz sei meistens schneller und schriller als die anderen, das liege in seiner Natur. "Es ist klar, dass nicht alles funktioniert, was er anzettelt“, sagt Kogler: "Aber sehr oft geht es auf und führt danach auch wirklich zu Konsequenzen.“

Dass er zum Korruptionsjäger wurde, sei eigentlich Zufall gewesen, erzählt Pilz launig. "Walter Geyer ist damals zurückgetreten und wir brauchten einen Vorsitzenden für den Lucona-Untersuchungsausschuss. Ich bin zwar kein Jurist, aber mein Vorteil war, dass ich unglaublich viele Jerry-Cotton-Krimis gelesen hatte.“ Das war 1988, und die Affäre um Udo Proksch und seinen mörderischen Versicherungsbetrug wurde zur entscheidenden Wegmarke in Pilz’ Karriere. Ein Jahr später leitete er den U-Ausschuss zum Skandal rund um den Waffenproduzenten Noricum. In beiden Fällen machte Pilz gute Figur, präsentierte sich perfekt vorbereitet und angriffslustig. Reihenweise musste SPÖ-Prominenz zurücktreten.

Die Grünen profitierten von seinen Auftritten, der Steirer erlebte einen innerparteilichen Höhenflug. Von 1992 bis 1994 war er sogar Bundessprecher. An diese Phase denkt fast keiner in der Partei gerne zurück, auch nicht der Protagonist. "Für den Job war ich ungefähr so geeignet wie für das Amt eines Bischofs“, erklärt Pilz heute. Immerhin gelang ihm damals die wahrscheinlich wichtigste Personalentscheidung in der bisherigen Geschichte der österreichischen Grünen. Pilz holte erstmals einen Ökonomen in den Parlamentsklub, einen Tiroler Universitätsprofessor mit exotischem Nachnamen: Alexander Van der Bellen.

Seit jeher verspürt Pilz in regelmäßigen Abständen den Drang, seiner Partei über die Medien auszurichten, dass sie ein bisschen kantiger, flotter, volksnäher werden müsse. Bereits in einem Strategiepapier aus dem Jahr 1992 warnte er davor, wütende und verängstigte Bürger ausschließlich den Freiheitlichen zu überlassen. "Vielleicht werden wir dazu ein bisschen volkstümlicher werden müssen“, schrieb Pilz vor einem Vierteljahrhundert. Deshalb war irgendwie verständlich, dass Eva Glawischnig jüngst so genervt reagierte, als der Parteifreund schon wieder mit der gleichen Idee durch die Gazetten tingelte. Pilz hat wohl trotzdem recht. Und er leidet selbst schon ziemlich lange unter den weltfremden Vorstellungen im grünen Biotop.

Gelegentlich will der Mann aber auch nur ein bisschen provozieren. Kleine Bosheiten halten bekanntlich jung. Zum Jahreswechsel verfiel er auf die großartige Idee, seinen Facebook-Freunden (darunter natürlich viele Grün-Sympathisanten) Glück zu wünschen - und zwar mit einem echten Sauschädel in den Armen. Pilz genoss den umgehend einsetzenden Shitstorm und tat dann mit einem neuen Foto Buße. Diesmal hielt er eine rote Paprikaschote und einen Kohlkopf in Händen. Was tut man nicht alles für die Sensibelchen bei den Ökos?

"Da darf man nicht zimperlich sein"

Wenig überraschend versteht sich Pilz mit einem anderen Provokateur im Parlament, ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka. Die Zusammenarbeit mit "Lopi“ funktioniere oft ganz gut, erzählt Pilz und schwärmt von einer gemeinsamen Türkeireise zur Förderung der dortigen Medienfreiheit. Lopatka zeigt sich vom Kollegen ebenfalls angetan: "Für mich ist Peter Pilz der heimliche Sprecher der Grünen. Ohne ihn wäre die Partei nach der Bundespräsidentenwahl völlig in der Versenkung verschwunden.“ Offiziell sind die zwei Herrren durchaus nicht immer ein Herz und eine Seele. "Er hat mich schon als Spinne im Netzwerk der Korruption bezeichnet“, erzählt Lopatka: "Aber da darf man nicht zimperlich sein, so ist das eben in der Politik. Wenn ich mit ihm was ausmache, hält es.“

Nächstes Projekt ist der Beschluss des Eurofighter-Untersuchungsausschusses. Mit den Stimmen der FPÖ könnten die Grünen sofort loslegen. Es wäre also klug, die Blauen zu umgarnen. Aber Pilz kann aus seiner Haut nicht heraus und macht lieber Faxen auf Kosten der FPÖ. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag verteilte er den bisher geheim gehaltenen Vergleich zwischen dem ehemaligen Verteidigungsminister Norbert Darabos und EADS. Eine Fassung des Papiers steckte er während der Veranstaltung in ein Kuvert, das an FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache adressiert war. "Das schick ich ihm.“

Strache ärgerte sich und verweigert das Ja zum Untersuchungsausschuss erst einmal. Er befürchte eine "Peter-Pilz-Publicity-Ego-Show“, meinte der FPÖ-Chef. (Anmerkung: mittlerweile sind sich Grüne und FPÖ über den U-Ausschuss einig)

Diese Gefahr kann man in der Tat nicht ganz ausschließen.

Rosemarie Schwaiger