Radikalisierung: Das BVT ermittelt zu Anschlagsplänen inhaftierter Islamisten

IS-Fahnen im Haftraum, beschlagnahmte Patronenhülsen, Chats nach Syrien: Das BVT untersucht radikale Umtriebe in Österreichs Gefängnissen. profil gibt Einblicke in die geheimen Ermittlungen.

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von Thomas Hoisl

Sind österreichische Justizanstalten eine Brutstätte für IS-Propaganda? Werden im Strafvollzug Dschihadisten rekrutiert und sogar Anschläge im In- und Ausland geplant? Aktuell laufende Ermittlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) geben Anlass zur Sorge. Vor wenigen Wochen berichtete profil, dass gegen einen bereits 2018 verurteilten IS-Anhänger erneut wegen mutmaßlicher Terroraktivitäten ermittelt wird-obwohl der 21-jährige Lorenz K. derzeit eine neunjährige Haftstrafe wegen eines einschlägigen Deliktes absitzt. Auf illegalem Weg soll sich der junge Mann ein Mobiltelefon besorgt und damit Propaganda für die Terrormiliz IS betrieben haben, so die Annahme des BVT. Im Raum steht auch, dass K. andere Personen über soziale Medien zu Anschlägen angestiftet haben könnte; er selbst bestreitet die Vorwürfe.

Ende Juli war K.s Haftraum in der Justizanstalt Graz-Karlau auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Graz durchsucht worden. Sein Handy wurde beschlagnahmt und ausgewertet. Weitere Details zu dem Verschlussakt waren bislang nicht bekannt. profil liegt nun ein 50-seitiges Einvernahmeprotokoll vor, das einen tiefen Einblick in den bedenklichen Gefängnisalltag inhaftierter Islamisten gibt.

"Ich war im Herbst 2019 in Stein (Justizanstalt in Niederösterreich, Anm.). Irgendwann kam ein Handy von einem anderen Stock", so der 21-Jährige gegenüber Ermittlern am 19. August. Mittels Smartphone sei es ihm dann zunächst gelungen, mit mehreren Frauen zu chatten, die im syrischen Gefangenenlager Al-Hol interniert sind. Die Chats hätten sich um den Syrienkonflikt gedreht; man habe Videos, Nachrichten und Bilder über Gebietsverluste der Kurden ausgetauscht, welche die Frauen "bestärkt" hätten. Eine der Chatpartnerinnen habe sich aus Verzweiflung im Lager "die Pulsadern aufgeschnitten",was K. gegenüber den Beamten als für ihn traumatisierend beschrieb. "Sie kam aus Europa, war aber keine Österreicherin."

Zur gleichen Zeit richtete K. auch auf der Online-Plattform Instagram ein Profil ein und benannte es "Khalid Intiqami" (Vergeltung). Unter IS-Sympathisanten habe das Profil immer mehr Zulauf bekommen. "Ich sendete in meiner Instagram-Story das Foto meiner Zelle in Stein, damit die anderen merken, dass auch hier Gefangene sind, dass sie nicht alleine sind",so K. Die Anerkennung in dem sozialen Netzwerk habe ihm "zur Entspannung" im Gefängnis verholfen, immer mehr Anfragen von IS-Anhängern erreichten ihn. "In weiterer Folge schaukelte sich das auf, und ich postete öffentlich IS-Videos." Ein Foto seines Instagram-Accounts in arabischen Schriftzeichen, welches die Ermittler vorlegten, zeigt nach profil-Recherchen etwa einen "Treueschwur" auf den neuen IS-Kalifen (siehe Faksimile). K. aber beteuert: "Es war nie meine Absicht, dass irgendwer irgendwas macht."

Anfang Jänner 2020 war der 21-Jährige von der Justizanstalt Stein schließlich nach Graz-Karlau verlegt worden; das Handy, welches er im Genitalbereich versteckt hatte, wurde ihm zuvor abgenommen. In der steirischen Haftanstalt bekam der junge Mann aber bereits bald darauf ein neues Telefon zugeschanzt-gegen Überweisung von 800 Euro an eine Vermittlerin. Das Smartphone sei ihm "mittels eines Brotes" überreicht worden.

Die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken gingen weiter; mittlerweile folgten "Khalid Intiqami" auch zahlreiche Sympathisanten aus dem deutschsprachigen Raum. Ein deutscher Kontakt habe ihn dann im Juni angeschrieben und sich nach einem Bombenbauplan erkundigt. "Es war nicht meine Absicht, ihm zu zeigen, wie das geht",so K. gegenüber den Ermittlern. Einem anderen Chatpartner in Deutschland schickte K. wiederum ein Foto jener selbst gebastelten Nagelbombe, die bei seinem Prozess im Jahr 2018 ein zentrales Indiz gewesen war.

"Warum schicken Sie dem deutschen Kontakt ein Foto, Ihrer' Nagelbombe?",fragen die Ermittler. K. entgegnet: "Es geht um Spaß-schwarzer Humor!"Immer wieder haken die Beamten in der mehr als sechsstündigen Vernehmung nach. "Haben Sie oder andere Personen aus Ihrem Umfeld Anschlagsvorhaben geplant, gefördert oder angestiftet? Wenn dem so ist, können wir diese jetzt in weiterer Folge verhindern, sofern Sie aussagen!" K. jedoch bestreitet: "Nein, ich habe kein Wissen darüber."

Besonders grotesk mutet auch ein anderes Bild auf K.s Instagram-Seite an. Es zeigt ihn in seiner Zelle der Justizanstalt Stein mit erhobenem Zeigefinger vor einer schwarzen IS-Flagge posierend (siehe Faksimile).K. dazu: "Ich wollte cool sein. Diese Fahne war immer in der Zelle. Alle haben dies gewusst, und keiner hat was getan."

Wie profil vorliegende Unterlagen zeigen, ist Lorenz K. nicht der einzige bereits inhaftierte Islamist, den das BVT aktuell im Visier hat. Während seiner Einvernahme erkundigten sich die Beamten auch über einen Mann, der 2017 vom Landesgericht Krems wegen Terrorbeteiligung in der palästinensischen Hamas zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Der 30-jährige A. H. (Name der Redaktion bekannt) stammt aus dem Gaza-Streifen, suchte 2015 um Asyl in Österreich an und saß gemeinsam mit Lorenz L. in der Justizanstalt Karlau ein. Bei einer Durchsuchung in H.s Haftraum machten die Ermittler am 4. August einen bizarren Fund: Neben einem Handy fanden sie Elektrobauteile und vier Patronenhülsen. Auch A. H. soll "aktuell aus der Justizanstalt Graz-Karlau heraus versucht haben, zumindest eine Person zu einem Anschlag anzustiften",so die Annahme des BVT. Lorenz K. dazu in seiner Einvernahme: "Er ist ein Messi und sammelt Teile, die keiner braucht. Aber ich schwör nochmals, ich weiß nicht, was das ist."

Der Anwalt des Palästinensers, Fatah Abu-Jurji, kann zu den neuen Vorwürfen gegen A.H. gegenüber profil nicht ausführlich Stellung nehmen: "Mein Mandant wurde dazu erst ein Mal ohne mein Beisein einvernommen, wir haben keine Einsicht in die Akten. Er bestreitet aber vehement, in irgendwelche Anschlagpläne involviert zu sein. Die Sache mit den Patronenhülsen sieht schlimmer aus, als sie ist." Wolfgang Blaschitz, der Verteidiger von Lorenz K., äußert sich ähnlich: "Derzeit können wir zu den Vorwürfen nichts Substanzielles sagen. Ich habe aber eine entsprechende Beschwerde in Vorbereitung, um endlich Akteneinsicht zu bekommen." Die Chats seines Mandanten beurteilt Blaschitz als "notorisch naive Handlungen".

Inwieweit die Funde und Erhebungen des BVT strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, werden die Anklagebehörden und Gerichte klären. Gegen die Beschuldigten laufen Ermittlungen wegen Terrormitgliedschaft sowie versuchter Bestimmung zum Mord als terroristische Straftat. Kritik kommt indessen aber bereits von der FPÖ, die eine parlamentarische Anfrage an Justizministerin Alma Zadić zu mangelhaften Sicherheitsmaßnahmen in der Anstalt Graz-Karlau einbrachte.

Im Justizministerium betont man gegenüber profil, bereits Maßnahmen gesetzt zu haben: "Neben wöchentlichen und täglichen Haftraumkontrollen werden in den Justizanstalten Schwerpunktaktionen durchgeführt. Diese Durchsuchungen finden in unregelmäßigen Intervallen statt und sind somit für die Insassen nicht vorhersehbar", so Ressortsprecherin Christina Ratz. Zum Aufspüren von Mobiltelefonen würden sogenannte "Mobilfinder" eingesetzt. Störsender stellten die Justiz aber einerseits vor das Problem einer rechtlichen Grundlage; zudem sei die Beschaffung und Wartung solcher Anlagen "mit nicht unerheblichen Kosten verbunden", so Ratz. Generell sei der vermehrte Schmuggel von Smartphones in Haftanstalten als "internationales Phänomen" zu sehen, mit dem man sich in Zeiten eines "digitalen Straf- und Maßnahmenvollzuges" auseinandersetzen müsse. Gegenüber profil kommuniziert das Ministerium zudem aktuelle Zahlen: So seien im Jahr 2019 insgesamt 1074 illegale Handys in Haftanstalten beschlagnahmt worden, 720 mehr als im
Vorjahr. Dies ist laut Ministerium ein Indiz, dass gesetzte Maßnahmen bereits Wirkung zeigten.