„Man kann Geschichte nicht ­verleugnen”

Reinhold Lopatka steht zu dem Dollfuß-Bild im ÖVP-Klub

Interview. Reinhold Lopatka steht zu dem Dollfuß-Bild im ÖVP-Klub

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Interview: Herbert Lackner

profil: profil berichtete vergangene Woche, dass der frühere Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Februar 1934 Giftgas gegen Wiener E-Werk-Arbeiter einsetzen wollte. Ändert das Ihr Bild von ihm?
Reinhold Lopatka: Das war damals eine schreckliche Zeit. Es ist viel passiert, wofür man heute kein Verständnis aufbringen kann. Aber man kann nicht einen Teil seiner Geschichte einfach verleugnen.

profil: Haben Sie dem Christdemokraten Dollfuß zugetraut, dass er Giftgas gegen andere Menschen einsetzen würde?
Lopatka: Das ist sicher schockierend, wenn damit Giftgas gemeint war. Es gibt dieses von profil veröffentlichte Schriftstück, dessen Glaubwürdigkeit ich gar nicht in Zweifel ziehen will. Es reicht schon, dass einmal solche Gedanken angestellt wurden, das ist furchtbar. Aber das war damals das vergiftete politische Klima.

profil: Das wäre doch jetzt ein geeigneter Anlass, das seit vielen Jahren kritisierte Bild von Engelbert Dollfuß im ÖVP-Klubsitzungssaal abzuhängen. Wollen Sie diese Gelegenheit nicht beim Schopf packen?
Lopatka: Die ÖVP wurde 1945 bewusst als neue Partei gegründet, die Gründer sahen sie nicht in der Nachfolge der Christlich-Sozialen. Das zeigt sich am ersten Leitbild, das sich die ÖVP gegeben hat: Sie wurde als offene Partei viel breiter aufgestellt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite waren natürlich viele der nach 1945 handelnden Personen in unterschiedlichen Funktionen bei den Christlich-Sozialen in der Ersten Republik, auch in der Zeit von Dollfuß und Schuschnigg, aktiv gewesen. Sie waren ein Teil der Geschichte der Christlich-Sozialen. Aber das ist auch ein Mahnmal dafür, dass die parlamentarische Demokratie alternativlos ist.

profil: Sie sehen das Dollfuß-Bild in Ihrem Sitzungssaal als Mahnmal?
Lopatka: Wo hängt dieses Bild? Es hängt in den Klubräumlichkeiten der ÖVP. Das sind keine öffentlichen Räumlichkeiten, dort sitzen die Mitglieder des Klubs, um sich auf parlamentarische Arbeit vorzubereiten. Der Grundkonsens ist jener, dass Konflikte immer parlamentarisch auszutragen sind, und nicht anders. Die Folgen, wenn das nicht so ist, kennen wir. Es gab damals Tote bei den Sozialdemokraten und aufseiten der Staatsmacht, die in der Hand einer Kanzlerdiktatur war.

profil: Warum muss das Bild jenes Mannes, der das Parlament ausgeschaltet hat, ausgerechnet im Parlament hängen? Wenn es die ÖVP unbedingt aufhängen will, könnte sie es ja auch in ihrer Parteizentrale anbringen.
Lopatka: Der Ort, wo die Ausschaltung passierte, ist ja genau hier, im Parlament.

profil: Eben. Warum hängt man dann das Bild des Ausschalters auf?
Lopatka: Weil es ein Teil der Geschichte der Ersten Republik ist.

profil: Dieses Bild hängt in einer Reihe durchaus verdienstvoller Menschen, die sich nach 1945 zur Demokratie bekannten, zum Beispiel Julius Raab und Leopold Figl. Wie kann es da ein Mahnmal sein?
Lopatka: Als man diese Bilder anschaffte, hat man eine Auswahl getroffen, deren Gründe ich nicht kenne. Drei der Köpfe repräsentierten die damals existierenden drei Bünde: Leopold Kunschak, Leopold Figl und Julius Raab. Dazu kommen andere wichtige Exponenten der Christlich-Sozialen wie Jodok Fink, Ignaz Seipel und der Parteigründer Karl Lueger. Daher sage ich: Entweder man lässt es als historisches Faktum oder man verzichtet zur Gänze auf eine solche Galerie. Man könnte auch sagen: 1945 wurde bewusst ein Neuanfang gesetzt. Was hat die ÖVP mit den Christlich-Sozialen zu tun? Ich kann die Verbindungen nicht ganz abschneiden, weil personell natürlich ein direkter Bezug da war. Viele der handelnden Personen, die später die ÖVP gründeten, waren übrigens in den Konzentrationslagern der Nazis.

profil: Aber Dollfuß ist doch sicher niemand, auf den Sie stolz sein können.
Lopatka: Das sage ich ja nicht. Aber positiv anzurechnen ist ihm meines Erachtens, dass er an dieses Österreich zu einem Zeitpunkt glaubte, als viele den Glauben schon aufgegeben hatten. Er hat für dieses Österreich in den Grenzen, wie es jetzt wieder besteht, gegen Hitler gekämpft. Dafür bezahlte er mit seinem Leben. Das darf man auch nicht ausklammern. Die dunkle Seite darf man aber nicht leugnen. Die Aufhebung der Verfassung und des Parlaments hat er auch zu verantworten. Das ist meine differenzierte Sichtweise.

profil: Es wurde immer wieder diskutiert, ob die Auflösung des Parlaments eine Selbstauflösung war oder ein Putsch. Welcher Meinung sind Sie?
Lopatka: Ich sage weder Selbstausschaltung noch Putsch.

profil: Andreas Khol hat es einen Putsch genannt.
Lopatka: Ich sage nicht Putsch, sondern es war eine Situation, in der alle Parteien bei einer Abstimmung am 4. März 1933 Fehler machten. Diese Fehler hätte man korrigieren können. Die Situation wurde von Dollfuß aber bewusst genutzt, um die Demokratie auszuhebeln. Putschisten sind für mich jene, die aktive Schritte setzen. Das musste er nicht mehr tun.

profil: Er führte die Pressezensur und das Standrecht ein, Menschen wurden hingerichtet. Das sind doch aktive Schritte.
Lopatka: Ja, das ist furchtbar, und da gibt es nichts zu rechtfertigen.

profil: In der ÖVP werden viele Institutionen nach Männern mit eher zweifelhafter Vergangenheit benannt. Die parteinahe Journalistenausbildung etwa heißt Friedrich-Funder-Institut. Funder war in der Ersten Republik Chefredakteur der schwer antisemitischen „Reichspost“. Könnte man das Institut nicht nach jemand anderem benennen?
Lopatka: Es gibt aber auch das Renner-
Institut.

profil: Renner hat nicht das Parlament aufgelöst und andere Parteien verfolgt.
Lopatka: Aber Sie kennen Renners Rolle im Jahr 1938 und seine früheren antisemitischen Äußerungen.

profil: Darüber hat profil ausführlich berichtet. Der von der ÖVP verliehene Wissenschaftspreis ist nach Leopold Kunschak benannt. Kunschak war in der Ersten Republik ein wüster Antisemit, der schon in den 1920er-Jahren Konzentrationslager für Juden forderte, die nicht freiwillig gingen.
Lopatka: Man sollte hier nicht mit zweierlei Maß messen. Auch bei sozialdemokratischen Politikern wie Karl Renner findet man Aussagen, die höchst bedenklich sind. Ich bin der Letzte, der sagt, solche Debatten dürfen nicht geführt werden. Ich kann mich nur nicht einfach loslösen von einem Teil der Geschichte, indem ich diese Personen ausklammere.