Star-Schlagzeuger mit Heimat im Hausruckviertel
Martin Grubinger: "Kurz wählt den falschen Weg"

Martin Grubinger: "Kurz wählt den falschen Weg"

profil-Sommergespräche Teil I: Star-Schlagzeuger Martin Grubinger über Österreichs neue Politik, seine Pulsfrequenz während eines Konzerts und seine Schwäche für Deutschland.

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profil: Wenn dieses Interview erscheint, wissen viele Leser schon, wer Fußballweltmeister ist. Wagen Sie einen Tipp? Grubinger: Frankreich wird’s. profil: Für die meisten österreichischen Fans war Brasilien der Favorit, für Sie offenbar nicht: Sie haben Neymar auf Twitter einen „Fatzke“ genannt. Grubinger: Ich habe ja aufgrund meiner Liebe zu Bayern München immer zu Deutschland gehalten. Das mit Brasilien habe ich nie verstanden. Und dieses Herumgerolle von Neymar, wenn ihn einer auch nur angetippt hat – na ja.

profil: Sie haben auch die Schadenfreude vieler Österreicher über das Ausscheiden von Deutschland beklagt. Grubinger: Die verstehe ich wirklich nicht. Ich bin sehr viel in Deutschland unterwegs und spiele dort sehr gern Konzerte. Es gibt in Deutschland eine große Kunst- und Musiksinnigkeit, in den Orchestern herrscht tiefe Kollegialität, man schätzt Qualität, es gibt keinerlei Antipathien gegenüber Österreichern. Nein, wir sollten uns nicht am sportlichen Leid anderer ergötzen. profil: Bei der Fußball-WM wird per Chip gemessen, wie viele Kilometer die einzelnen Spieler zurücklegen. Haben Sie das schon einmal bei einem Ihrer Konzerte versucht? Sie laufen ja fast mehr als Mick Jagger, wobei der aber auch doppelt so alt ist. Grubinger: Unlängst hat mich der Intendant in Frankfurt von einem Sportmediziner verkabeln lassen. Meine Werte wurden für das Publikum auf eine Wand hinter mir projiziert. profil: Und wie waren sie? Grubinger: Der Spitzenpuls war 196, der Durchschnittspuls lag bei 168, ich habe während des Konzerts 2000 Kalorien verbraucht. Was mich etwas gestört hat, war, dass der Puls schon vor Betreten der Bühne bei 136 lag. Ich hab ja immer geglaubt, ich sei eine coole Socke.

Schon als Kind entschied sich der gebürtige Salzburger für das Schlagzeug

profil: Sie sind vor dem Konzert immer noch aufgeregt? Grubinger: Na, sagen wir: positiv angespannt. profil: Einmal wurde gezählt, wie oft Sie pro Minute draufschlagen. Grubinger: 1124 Mal mit zwei Schlägeln. Mit vier schaff ich natürlich mehr. profil: Haben Sie manchmal Verspannungen? Grubinger: Nein. Wir Schlagzeuger machen relativ natürliche Bewegungen, das ist bei einem Geiger anders. Aber natürlich gibt es Kollegen, die Probleme mit dem Nacken oder mit der Rückenmuskulatur haben. Musiker verfügen leider nicht wie die Sportler über Teams von Physiotherapeuten. profil: Fällt bei Ihrem Beruf auch Schreibtischarbeit an? Grubinger: Schon. Man muss Programme planen, die Aufbauten koordinieren, wir haben ja bis zu zehn Tonnen Schlagzeug auf der Bühne. Meine Mama hilft da sehr mit, wir sind eine Art Familienunternehmen.

Der Multikulturalismus ist für uns ganz natürlich.

profil: Ihr Vater ist Lehrer am Mozarteum und hat von Beginn an das Schlagzeug als Ihr Instrument ausgesucht. Warum nicht die Geige oder die Posaune? Grubinger: Kontrabass und Klavier habe ich gelernt. Mein Vater hat Studenten manchmal zu Hause unterrichtet, da war ich schon als kleiner Stöpsel mit dem Schlagzeug dabei. Es ist das Instrument, das mich mein Leben lang begleitet hat. profil: Für Schlagzeug gibt es kaum Literatur. Ist das der Grund, warum Ihr Vater jetzt selbst komponiert? Grubinger: Ja, auch deshalb. Wir Schlagzeuger haben nicht 300 Jahre Geschichte an Literatur wie die Geiger und Pianisten. Aber in den vergangenen 25 Jahren ist vieles entstanden. Das ist auch eine Folge der Globalisierung, man muss sich nur unsere Stilrichtungen ansehen: Salsa, Tango, African Drumming, Funk, Rock, Fusion, Jazz. Der Multikulturalismus ist für uns ganz natürlich. Wir leben Multikulti. Aber auch bei österreichischen Komponisten wie Friedrich Cerha und Olga Neuwirth spielt das Schlagzeug eine zentrale Rolle. Beide haben schon für mich wunderbare Werke komponiert.

profil: An der Spielweise von Vorgängern können Sie sich dann aber kein Beispiel nehmen. Grubinger: Die Instrumentalisten haben sich ja auch weiterentwickelt. Ein Beispiel: Béla Bartók schrieb 1938 eine Sonate für zwei Klaviere und zwei Schlagzeuge. Er und seine Frau spielten Klavier, die beiden Schlagzeuger hinken auf der Aufnahme immer zwei Takte hinterher. Bartók wollte schon einen dritten Schlagzeuger dazunehmen, weil sie es nicht schafften. Damals kam man mit einem solchen Werk noch nicht zurecht. Wenn wir das heute spielen, haben wir überhaupt kein Problem – es ist sogar relativ leicht. profil: Bei Ihrem Konzert in Linz haben Sie einen Leonard-Bernstein-Schwerpunkt eingebaut: weil er heuer 100 geworden wäre oder weil Ihnen die Musik besonders zusagt? Grubinger: Beides. Durch seine Herkunft aus New York bekam er die unterschiedlichsten Einflüsse mit, was man etwa in der „West Side Story“ sieht. Bernstein war ein Weltbürger, uns Österreichern hat er Gustav Mahler erst wieder nahegebracht.

profil: Eignet sich die „amerikanische Klassik“ für Schlagzeug: Aaron Copland, George Gershwin? Grubinger: Natürlich, solche Komponisten kommen Schlagzeugern sehr entgegen. Ich war gerade bei John Williams. Im November wird er seine Musik mit den Philharmonikern im Wiener Musikverein aufführen, darunter auch die weltberühmte „Star Wars“-Musik. profil: Wie viel Zeit verbringen Sie pro Tag hinter dem Computer oder über dem Tablet? Grubinger: Gar nicht so viel. Ich verwende das Internet aber zur Recherche, um andere Dinge zu hören, ein neues Repertoire zu entdecken. Wenn wir intensiv proben, bin ich pro Tag bis zu zehn Stunden am Schlagzeug. Da bleibt gar keine Zeit. profil: Ich frage, weil wir uns ja gegenseitig auf Twitter folgen, und mich überrascht immer wieder Ihr Informationsstand. Unlängst haben Sie ein Urteil des französischen Verfassungsgerichtshofs zum Thema Umgang mit NGOs zitiert. Grubinger: Ich bin ein Zeitungsjunkie. Ich habe mehrere Zeitungsabos und lasse auch keine Ausgabe von profil aus. Ich stehe mit dem Ö1-„Morgenjournal“ im Radio auf. Das Thema Politik beschäftigt mich einfach. Wenn ich Cerha oder Strawinsky oder Schostakowitsch spiele, ist mir auch bewusst, was diese Menschen politisch erlebt oder durchgemacht haben. Cerha desertierte aus Hitlers Wehrmacht, Schostakowitsch dachte in der Zeit des Stalinismus bei jeder Note nach, ob er damit durchkommt, und entwickelte eine unglaubliche Meisterschaft darin, mit seiner Musik subversiv zu sein. Geschichtsbewusstsein ist etwas Entscheidendes, nicht nur für mich als Künstler. Das würde ich mir auch von manchem Politiker wünschen.

Wo sind denn da noch Werte wie Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Menschlichkeit.

profil: Waren Sie schon immer politisch interessiert? Grubinger: Ja. Das erste Ereignis, das mich politisch beschäftigt hat, war die Bundespräsidentenwahl 1992 zwischen Thomas Klestil und Rudolf Streicher, da war ich neun. Und dann natürlich der EU-Beitritt, der Aufstieg von Jörg Haider, Schwarz-Blau I. profil: Die neue Regierung begeistert Sie nicht sonderlich. Einige Zitate aus Ihren Postings der letzten Wochen: „Unser Bundeskanzler versucht permanent, sich auf Kosten anderer Staaten und deren Führer zu profilieren.“ Oder: „Im Streben nach Wählermaximierung haben CSU und ÖVP ihre christlich-sozialen Wurzeln verkauft.“ Grubinger: Genau. Wo sind denn da noch Werte wie Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Menschlichkeit – egal ob man das aus einer humanistischen Position sieht oder aus der christlich-sozialen Tradition? Es waren doch entscheidende Errungenschaften, dass wir uns an die Menschenrechtskonvention halten, dass wir Verträge einhalten, dass wir ein Mindestmaß an Mitgefühl mitbringen. Recht und Gesetze müssen in jeder Hinsicht gelten. Die genannten Errungenschaften haben uns 70 Jahre Frieden in Europa gebracht. Sebastian Kurz sagt, er gründet die „Achse BerlinWienRom“, und als er auf die böse historische Belastung dieses Begriffs hingewiesen wird, meint er, er lasse sich diesen Begriff nicht nehmen. Ein Kanzler braucht Geschichtsbewusstsein. Wenn er das nicht mitbringt, dann fehlt ihm Entscheidendes. Wir in Österreich haben eine besondere Verantwortung, und deshalb muss ein Bundeskanzler mit der Sprache sorgsam umgehen.

profil: Was allerdings für seinen Wahlsieg nicht von großer Bedeutung war. Grubinger: Durchaus. Aber die ÖVP und Kurz könnten nach ihrem fulminanten Wahlsieg auch eine andere Politik machen. Kurz wählt den für Österreich und Europa falschen Weg. profil: Es ist selten, dass sich Künstler so klar politisch positionieren wie Sie. Haben Sie keine Angst, dass Sie damit Fans verprellen? Grubinger: Ich weiß, man sagt, Künstler sollen zurückhaltend sein. Ich habe für mich entschieden, dass ich das nicht bin. Möglich, dass der eine oder andere deshalb nicht in mein Konzert kommt, aber ich will da ganz klar und eindeutig sein. Ich habe mich auch 2015/2016 mit meiner Familie in der Flüchtlingsarbeit engagiert. profil: Spielt es dabei eine Rolle, dass Sie mit der türkischstämmigen Pianistin Ferzan Önder verheiratet sind? Grubinger: Eigentlich nicht. Ich war immer schon so. Ich bin immer mit Lust und Überzeugung für meinen Standpunkt eingetreten. Wenn ich auf der Bühne bin, schätzt das Publikum nicht zuletzt, dass ich mich mit Haut und Haar meiner Interpretation verschreibe. Ich glaube zutiefst an das, was ich mache, und darum sagt das Publikum selbst bei schwerer zeitgenössischer Musik: Das hat mir inhaltlich nicht ganz zugesagt, aber ich habe etwas Neues entdeckt, weil sich die Musiker dem voll und ganz hingegeben haben.

Die SPÖ muss verstehen lernen, dass Österreich nicht an der Wiener Westausfahrt endet.

profil: ÖVP und FPÖ hatten bei den Wahlen gemeinsam etwa 58 Prozent und liegen in den derzeitigen Umfragen etwa immer noch bei diesem Wert. Wie erklären Sie sich das? Grubinger: Unter anderem damit, dass die Sozialdemokratie, zu der ich mich bekenne, Fehler gemacht hat. Ich lebe auf dem Land, im Hausruckviertel. Und selbstverständlich spüren wir Veränderungen in der täglichen Versorgung anders als die Menschen in den Städten. Da gibt es Orte, in denen der Hausarzt in Pension geht und die Gesundheitsversorgung nicht mehr gesichert ist. Das einzige Geschäft ist weg, der Zug bleibt nicht mehr stehen, das Internet ist langsam, es gibt keine gute Kinderbetreuung. Die Menschen fühlen sich abgehängt. Das alles sind auch sozialdemokratische Themen, aber ich sehe bei uns eigentlich nie Sozialdemokraten. Die SPÖ muss verstehen lernen, dass Österreich nicht an der Wiener Westausfahrt endet. profil: ÖVP und FPÖ legten besonders dort zu, wo es gar keine Flüchtlinge gibt. Wie erklären Sie sich das? Grubinger: Mit zu wenig Aufklärungsarbeit auf dem Land. Es wurde den Menschen das Gefühl gegeben, sie lebten in Unsicherheit. Die Antwort muss sein: Rausgehen und argumentieren, vorbei an den großen Boulevardblättern, damit die Menschen wieder die Proponenten der Sozialdemokraten kennenlernen – nicht auf den großen Märkten, sondern in den kleinen Ortschaften.

Martin Grubinger im profil-Sommergespräch mit Herbert Lackner in Linz

profil: Sie haben in einem Interview erzählt, Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“ habe Sie sehr beeindruckt. Darin geht es um das „Organversagen“ fast aller Staaten Europas 1914. Heute werden immer mehr Staaten von Rechtspopulisten oder sogar Rechtsradikalen regiert. Sehen Sie das auch als eine Art „Organversagen“? Grubinger: Ich bin auf das Buch gekommen, weil der frühere deutsche Außenminister und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärt hat, die Lage in der Ukraine, Syrien, aber auch Trump erinnere ihn an die „Schlafwandler“. Ich hoffe auf die neue Regierung in Spanien, auf Macron in Frankreich und immer noch auf Deutschland. Sie könnten dafür sorgen, dass Europa nicht kollabiert. Was den Brexit betrifft, so hoffe ich, dass jetzt ein Vertragswerk ausgehandelt wird und dieser Vertrag den Briten noch einmal zur Abstimmung vorgelegt wird. Kommt es dann zu einem „Remain“, wäre das ein ungeheuer wichtiges Signal für Europa. Die Wahl zum Europaparlament nächstes Jahr wird jedenfalls eine entscheidende Auseinandersetzung.

profil: Ihr ganzes bisheriges Leben war von Musik dominiert, Sie sind aber erst 35. Kommt da noch etwas ganz anderes? Grubinger: Ich hatte den Plan, ab 40 keine öffentlichen Auftritte mehr zu machen. An der Zürcher Hochschule der Künste werde ich weiter unterrichten. Aber mein großer Traum ist es, Geschichte zu studieren. Mein ganzes Leben nur Schlagzeug zu spielen, schreckt mich ein bisschen. profil: Die Österreicher lieben ihre Musikheroen: Alfred Brendel, Rudolf Buchbinder, Nikolaus Harnoncourt. Wollen Sie nicht in diese Riege? Grubinger: Ich bin nicht sicher, ob ich mich dafür eigne, dafür habe ich mich gesellschaftspolitisch schon zu sehr exponiert. Ich bin nicht Everybody’s Darling. Aber ich bin auch ein Patriot. Wenn ich die Philharmoniker im Ausland höre, sitze ich voll Stolz im Konzertsaal. Österreich hat nur acht Millionen Einwohner, kann der Welt kulturell aber sehr viel bieten. Wir leben in einem großartigen Land.

Zur Person Martin Grubinger, 35. Schon als Kind entschied sich der gebürtige Salzburger für das Schlagzeug, heute tritt der Multi-Perkussionist in den großen Konzerthäusern der Welt auf: Carnegie Hall New York, Concertgebouw Amsterdam, Gewandhaus Leipzig. Bei den Salzburger Festspielen wird Grubinger auch heuer wieder vertreten sein.

Interview: Herbert Lackner Fotos: Walter Wobrazek