Österreich

„Soll ich zu den Juden?“: Chatprotokolle eines Wiener Neonazis

Im Mai fand die Polizei Waffen bei einem Wiener Neonazi. Screenshots seiner Chats zeigen, wie er mit Attentaten liebäugelte.

Drucken

Schriftgröße

Die Ausbeute ist fett. Am 17. Mai führt der österreichische Geheimdienst, konkret die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), an drei Adressen in Wien Hausdurchsuchungen durch. Die Beamten finden mehrere Schusswaffen, Munition, Butterflymesser und Nazi-Devotionalien wie eine Wehrmachtsuniform, eine Reichskriegsfahne und eine Hakenkreuzbinde.

Sie gehörten einem 20-jährigen Wiener. Als er den Behörden 2020 erstmals auffiel, war er 17 Jahre alt, besuchte eine HTL – und war Teil der „Feuerkrieg Division“. Die Gruppe war in Chatgruppen organisiert, voll mit neonazistischen Inhalten und Gewaltfantasien. Immer wieder tauschten sich die Mitglieder über Anschlagspläne gegen Moscheen und Synagogen aus. Profil liegen tausende Screenshots vor, die zeigen, wie die Gruppe funktionierte. Und wie auch der Österreicher mögliche Attentate skizzierte.

In Großbritannien wurde die „Feuerkrieg Division“ 2020 als terroristische Organisation eingestuft, in den USA zahlreiche Verhaftungen durchgeführt. Im März 2020 brach daraufhin die Aktivität in den Chatgruppen ab. In Österreich blieben die Beamte zurückhaltend. Auch jetzt bleibt mutmaßliche Akteur trotz der Waffenfunde auf freiem Fuß. Warum die Behörden nicht stärker durchgriffen, verraten sie nicht. Die Ermittlungen dauern an.

Digitale Nomaden

Es ist fast fünf Jahre her, dass die „Feuerkrieg Division“ gegründet wurde. Sie entstand nicht in der physischen Welt, sondern in Online-Chatgruppen. Wie digitale Nomaden zog die Gruppe mit wechselnden Anhängern durch das Internet, immer wieder wechselte sie Kommunikationskanäle – von anfänglich offenen Chatgruppen „Telegram“ hin zu unbekannteren Messenger-Apps „Wire“ oder „Riot“. Das Logo: der SS-Totenkopf, halb von einer Maske verdeckt, die Mitglieder unterhalten sich auf Englisch.

Die Chats drehten sich um die Verherrlichung von Nazi-Verbrechen, vermeintlich lustige Bilder, die Adolf Hitler oder den Rechtsterroristen Anders Breivik zu Helden stilisieren, machten die Runde. Regelmäßig ging es darum, selbst zur Tat zu schreiten. „Echte Männer reden nicht nur, sie tun es“, schrieb ein User 2019. Einige Mitglieder nahmen sich das im Juli 2019 mutmaßlich zu Herzen. Im Juli 2019 sollen sie eine Bombe in der Nähe eines Bürogebäudes in der Hauptstadt Vilnius angebracht. Die Ladung explodierte nicht, einer der User prahlte später dennoch damit.

Das Logo der 2018 gegründeten "Feuerkrieg Division"

Kinder des Terrors

Am 5. Jänner 2020 trat der User „v00rm“ der Gruppe bei. Laut profil-Recherchen handelt es sich dabei um jenen jungen Wiener, der im Visier der Hausdurchsuchungen Mitte Mai stand. An seinem Chatverhalten sieht man, dass es in der „Feuerkrieg Division“ nicht nur um neonazistische Inhalte ging. Manchmal drehten sich die Unterhaltungen um den Alltag, Urlaube und Probleme mit Frauen. Als einer der Mitglieder fragte, wie er eine Freundin bekommen würde, antwortete „v00rm“: „Geh trainieren, damit du in Form kommst, sei extrovertierter und gehe unter Leute.“ Ein anderes Mal erklärte er, Frauen würden es lieben, gewürgt zu werden.

Diese Gemengelage ist nicht neu. In den letzten Jahren entstanden einige solcher Chatgruppen mit rechts-terroristischen Ambitionen. Am prominentesten wurde die „Atomwaffen Division“, die in den USA mindestens fünf Leute ermordet haben soll. Nach mehreren Verhaftungswellen gab die „Atomwaffen Division“ Anfang 2020 ihre Auflösung bekannt. Auch offene Internetforen wie „4chan“ wurden zum Ort rechter Radikalisierung, bis zu neonazistischen Inhalten. Welche Leute damit zu potenziellen Rechtsterroristen werden, zeigt der Fall des Users „Commander“: Zeitweise fungierte er in der „Feuerkrieg Division“ als Wortführer, im Jänner 2020 wollte ihn die estnische Polizei festnehmen – und stellte fest, dass sie das nicht kann. Denn der Kommandant war gerade einmal 13 Jahre alt, und damit nicht strafmündig.

Anschlagsfantasien aus Österreich

Der 17-jährige HTL-Schüler „v00rm“ war also nicht das jüngste Mitglied der Gruppe. Eineinhalb Monate nach seinem Beitritt – Ende Februar 2020, Österreich verzeichnete die ersten Corona-Fälle – erklärte er, er habe sich mit sechs Freunden Gasmasken und Lebensmittelkonserven bestellt und hole Informationen ein, wie er mit seinem 3D-Drucker Waffen herstellen könnte. Und fragte in die Chatgruppe: „Wen soll ich zuerst besuchen, wenn das System kollabiert? Soll ich mit den dreckigen Muslimen beten oder mich unter die Juden mischen, wenn sie eines ihrer Treffen abhalten – und ihm eine explosive Wendung geben?“

Rund um die Welt ermittelten da schon Behörden gegen Mitglieder der Gruppe. In Deutschland, Kroatien, den USA und dem Vereinigten Königreich wurden zwischen Sommer 2019 und Jänner 2020 Mitglieder der Gruppe verhaftet: manchmal wegen Hakenkreuz-Schmierereien, manchmal wegen Waffenfunden bei Hausdurchsuchungen, manchmal weil Geheimdienste im Chat mitlasen. Zu schaffen machte der „Feuerkrieg Division“ auch eine Antifa-Gruppe aus dem US-Bundesstaat Oregon. Die Aktivisten schleusten sich ein, lasen mit und veröffentlichten Screenshots und die Identitäten einiger Nutzer. „Fuck, das ist nicht gut“, schrieb einer von ihnen im Chat.

Angst macht sich in der Runde breit. Anfang März 2020 posteten nur mehr vier Nutzer in der Gruppe. Mit den Worten „Sieg Heil und Alles Gute an die Brüder, die wir verloren haben“ verabschiedete sich „v00rm“. Wenig später kehrte Ruhe in die Chatgruppe ein.

Am 25. Februar wurden in Österreich die ersten Corona-Fälle gemeldet. "v00rm" dachte darüber nach, was er tun solle, wenn das System kollabieren wrüde.

„v00rm“ bleibt unbehelligt

Auch in Österreich wusste der Geheimdienst zu diesem Zeitpunkt von „v00rm“. Aktiv gegen ihn konnte er aber nicht ermitteln, wie die zuständige DSN heute beklagt. Denn es ist österreichischen Behörden weder erlaubt, Messenger-Dienste zu überwachen, noch sich in derartige Gruppen einzuschleusen. Das sei der „Hemmschuh“ gewesen, wie es aus dem Innenministerium heißt.

Noch ein zweiter Umstand führte dazu, dass „v00rm“ nach März 2020 von den Behörden unbehelligt weiterleben konnte. Zwar forschten die Ermittler eine Vielzahl an IP-Adressen des jungen Mannes aus, die österreichischen Mobilfunkanbieter lieferten jedoch keine eindeutigen Auskünfte über Identität oder Aufenthaltsorte. Wie der „Kurier“ berichtete, soll schließlich ein neuseeländischer Anbieter heuer den entscheidenden Hinweis gegeben haben, der zur Hausdurchsuchung führte.

Bestätigung über diese Mutmaßung bekommt man von der DSN nicht. Sie gibt sich zugeknöpft, und verweist darauf, dass das Verfahren noch läuft und sichergestellte Datenträger nun ausgewertet werden. Ganz ernst nimmt man den jungen Mann offenbar nicht: In der Presseaussendung zur Hausdurchsuchung heißt es, er habe zu Attentaten aufgerufen, allerdings nur im Ausland, und Anleitungen zum Waffenbau mit 3D-Druckern weiterverbreitet. Dass er selbst mit Anschlägen liebäugelte, davon ist nicht die Rede. Die zuständige Wiener Staatsanwaltschaft stellte keinen U-Haftantrag gegen den jungen Wiener. Warum – das erklärte sie auch nach mehrmaliger Nachfrage nicht.

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

ist seit Mai 2023 Redakteur im Österreich Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.