"Ich würde mich nicht als konservativ bezeichnen"

Sophie Karmasin: „Ich würde mich nicht als konservativ bezeichnen”

Interview. Familienministerin Karmasin über Feminismus und die Bedeutung von Kindern für die Wirtschaft

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Interview: Gernot Bauer und Rosemarie Schwaiger

profil: Sie haben den Ausbau der Kinderbetreuung zu einem ihrer wichtigsten Ziele erklärt. Jetzt kürzt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek die Mittel für Ganztagsschulen. Das kann Ihnen nicht recht sein, oder?
Sophie Karmasin: Ich bin sehr froh, dass wir in meinem Bereich mit den Ländern den Ausbau von Betreuungseinrichtungen für die Null- bis Dreijährigen vereinbart haben. 350 Millionen Euro werden von Bundesseite investiert, das ist die größte Ausbauoffensive, die der Bund je gemacht hat. Für den Bereich der Kollegin kann ich nicht sprechen.

profil: Den Eltern ist egal, welches Ministerium zuständig ist, wenn sie keine Ganztagesschule finden.
Karmasin: Ich finde es jedenfalls gut, dass nicht im Klassenzimmer gespart wird. Aber natürlich ist Sparen nie erfreulich.

profil: Die Erhöhung der Familienbeihilfe kostet in den nächsten Jahren über 800 Millionen Euro, bringt aber jeder Familie im Schnitt nur fünf Euro pro Monat. Hätte man dieses Geld nicht lieber in die Bildung investieren sollen?
Karmasin: Sicher nicht. Die Familienbeihilfe wurde 13 Jahre lang nicht erhöht. Und es gibt Familien, gerade Alleinerzieherinnen, die mit jedem Euro kalkulieren müssen.

profil: Zwischen anderen Ministerien gab es aber durchaus Kompensationen. Das Sozialministerium hat dem Kulturministerium ausgeholfen, das Verkehrsressort dem Bundesheer. Geht das nur innerhalb derselben Partei?
Karmasin: Ich weiß nicht, wie andere das gemacht haben. Bei uns wäre das auch zeitlich nicht möglich gewesen. Die 830 Millionen für die Familienbeihilfe wurden ja schon im Jänner bei der Regierungsklausur fixiert. Damit war das Thema akkordiert.

profil: Sie haben erklärt, Österreich solle das familienfreundlichste Land der EU werden. Wie wollen Sie das messen?
Karmasin: Wir planen, ein Instrumentarium dafür aufzubauen. Da geht es um wirtschaftliche und andere Indikatoren. Aber am schnellsten und einfachsten ist es, die Bevölkerung zu fragen.

profil: Sie kommen aus der Meinungsforschung und wissen, wie unzuverlässig solche Ergebnisse sind.
Karmasin: Warum?

profil: Das Ergebnis hängt stark von der Fragestellung ab, vom Kontext, vielleicht auch vom Wetter …
Karmasin: Also nein, da müssten wir jetzt eine Einführung in die empirische Sozialforschung machen. Wenn die Stichprobe groß genug und repräsentativ ist, sind die Ergebnisse verlässlich.

profil: Österreich investiert mehr als neun Milliarden Euro jährlich in die Familien – mit dem erklärten Ziel, die Geburtenrate zu erhöhen. Diese liegt aber konstant bei niedrigen 1,4 Kindern pro Frau. Glauben Sie, dass immer noch mehr Geld daran etwas ändern wird?
Karmasin: Wir tun ja auch vieles andere. Neu ist die Akzeptanz verschiedenster Familienmodelle – also der klassischen Familie, der Regenbogenfamilie, der Mehrgenerationenfamilie, von Alleinerziehern. In Ländern, in denen mehrere Familienbilder sozial akzeptiert werden, steigt die Geburtenrate. Und ich bin sehr stark für die Wahlfreiheit. Wer beim Kind bleiben will, soll das tun. Und wer sein Kind mit sechs Monaten in eine Krippe geben will, soll die Möglichkeit dazu haben. Mein Ziel ist es, Österreich familienfreundlicher zu machen. Als Konsequenz sollte sich daraus eine höhere Geburtenrate ergeben.

profil: Wäre das für Sie ein persönlicher Erfolg?
Karmasin: Natürlich. Wenn uns die Kinder abhandenkommen, geht uns die Zukunft verloren.

profil: Das ist eine Phrase. Warum ist es der Politik gar so wichtig, dass die Österreicherinnen mehr Kinder bekommen?
Karmasin: Das ist sehr einfach. Wenn wir die Fachkräfte nicht mehr haben, keine jungen Unternehmer und keine Arbeitnehmer, die Beiträge etwa in die Sozial- und Pensionsversicherung zahlen …

profil: Dafür brauchen wir in erster Linie eine florierende Wirtschaft.
Karmasin: Wenn uns die Fachkräfte ausgehen, wird es schwierig.

profil: Bei der Zahl der Fachkräfte geht es um Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, nicht um Familienpolitik. Können wir uns nicht darauf einigen, dass Familie Privatsache ist?
Karmasin: Das sehe ich ein bisschen anders. Familienpolitik ist für mich auch Wirtschaftspolitik – eben aus den genannten Gründen.

profil: Aber wir vermehren uns ja nicht der Wirtschaftskammer zuliebe.
Karmasin: Aus persönlicher Sicht natürlich nicht, aber aus politischer Sicht schadet es dem Land, wenn wir Familienpolitik nicht ernsthaft betreiben.

profil: Ihr Vorgänger Reinhold Mitterlehner machte vor einem Jahr eine Kampagne mit dem Slogan „Kinder halten Österreich jung“. Die Aktion kostete 800.000 Euro. Wurde sie jemals evaluiert?
Karmasin: Ich kann da nur für mich sprechen. Wenn ich so viel Geld in die Hand nehme, wird evaluiert. Ob das bei dieser Kampagne gemacht wurde, weiß ich nicht. Das müssten Sie ihn fragen.

profil: Jetzt machen Sie es sich einfach.
Karmasin: Ich weiß es schlicht nicht. Und ich habe früher selbst immer kritisiert, dass man bei politischen Kampagnen oft nicht sieht, was sie bringen und wer einen Nutzen hat. Deshalb werde ich es anders machen. Wir werden uns in regelmäßigen Abständen ansehen, ob sich in Bezug auf die Familienfreundlichkeit etwas verändert, und wenn ja, warum.

profil: In der ÖVP wurde immer wieder diskutiert, ob Kinderlose nicht eine Art Strafsteuer zahlen sollen. Wären Sie dafür zu haben? Oder für Änderungen beim Wahlrecht, die Eltern begünstigen?
Karmasin: Grundsätzlich halte ich von solchen Maßnahmen gar nichts. Ich will die Menschen nicht gegeneinander ausspielen, sondern sehe mich als Ermöglicher der verschiedensten Lebensmodelle.

profil: Sie würden also dagegen auftreten?
Karmasin: Ja. Ich bin für Anreiz-, nicht für Strafmodelle.

profil: Rechtfertigt das Thema Familie wirklich ein eigenes Ministerium? Was tun Sie in den kommenden Jahren noch?
Karmasin: Das nächste große Projekt ist das Kinderbetreuungsgeld-Konto, das wir ab Herbst entwickeln wollen. Und dann gibt es viele kleine Aktivitäten – immer mit dem Ziel, familienfreundlicher zu werden. Zum Beispiel werden wir in Behörden, im Handel, vielleicht im öffentlichen Verkehr eigene Wartespuren für Familien einrichten. Eltern mit Kindern sollen Vorrang haben und schneller drankommen.

profil: Sie sind nicht ÖVP-Mitglied. Wird sich daran noch etwas ändern?
Karmasin: Nein, nicht in nächster Zeit. Ich war die letzten 30 Jahre parteiunabhängig und kann und will das nicht von heute auf morgen ändern.

profil: Verstehen Sie, dass der ehemalige ÖVP-Obmann Erhard Busek bei der letzten Nationalratswahl NEOS gewählt hat?
Karmasin: Verstehen kann man alles. Es bleibt ihm überlassen, das zu tun und es öffentlich zu kommunizieren.

profil: Falls Sie auch NEOS gewählt haben, wäre jetzt die Gelegenheit, es zuzugeben.
Karmasin: Schöne Gelegenheit, aber ich werde nicht sagen, was ich gewählt habe.

profil: Sind Sie konservativ?
Karmasin: So würde ich mich nicht bezeichnen. Es kommt immer darauf an, was mit solchen Schlagwörtern gemeint ist.

profil: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Karmasin: Das hab ich einmal gemacht …

profil: Und die Reaktionen waren so negativ, dass Sie es nicht mehr machen?
Karmasin: Aber nein, ich war 15 und damals war es ja gewollt, dass sich alle aufregen. Ich bin jedenfalls für die Gleichberechtigung. Meine Wunschvorstellung wäre, dass sich Männer und Frauen gleichermaßen in alle Lebensbereiche einbringen können. Das Wort Feministin hat vielleicht einen schlechten Klang, weil es die Konnotation von Drüberfahren, Vorschreiben, Aggressivität hat. Mein Ansatz ist eher die Partnerschaftlichkeit.

profil: Und mit diesen Vorstellungen sind Sie in der richtigen Partei?
Karmasin: Ich bin wie gesagt in keiner Partei.

profil: Parteiobmann Michael Spindelegger ist dafür der richtige Mann?
Karmasin: Bei diesen Positionen verstehen wir uns gut.

profil: In Österreich sind derzeit praktisch alle sauer, von den Konzernchefs über die Gewerkschafter bis zu den Bürgern. Verstehen Sie als gelernte Meinungsforscherin den Ärger über Misswirtschaft und hohe Steuern?
Karmasin: Ja, bis zu einem gewissen Grad. Es liegen Themen auf dem Tisch, die nicht erfreulich sind. Dass die Menschen etwa den FPÖ-Skandal rund um die Hypo Alpe-Adria frustrierend finden, verstehe ich total.

profil: Der Frust kommt auch daher, dass sich seit Jahren praktisch nichts bewegt. Ist das nicht hauptsächlich die Schuld der Politik?
Karmasin: Ich will keine Schuldzuweisungen machen. Ich weiß nur, warum ich in die Politik gegangen bin: um einen kleinen Beitrag zu leisten, damit man Dinge pragmatischer, ideologiefreier und ein bisschen tatkräftiger angeht.

profil: Glauben Sie nach den ersten paar Monaten noch, dass das geht?
Karmasin: Im Moment bin ich zufrieden.

Fotos: Sebastian Reich für profil