Sophie Karmasin

Sophie Karmasin: "Das erinnert an den Nationalsozialismus"

Die scheidende Familienministerin Sophie Karmasin über Kurz, Populismus und die FPÖ.

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profil: Wie beurteilen Sie als Meinungsforscherin die Signale, die von der schwarz-blauen Koalition kommen? Karmasin: Die neue Regierung wirkt wie ein strategisch überlegtes Vorhaben, das ist sicher ein großer Unterschied zur alten Koalition. Türkis-Blau wirkt harmonisch, die Themen werden gezielt portioniert der Öffentlichkeit vorgelegt.

profil: Wirkt die neue Koalition retro? Karmasin: Der Prozess ist handwerklich und marketingtechnisch gut aufgesetzt. Inhaltlich kann man erst darüber reden, wenn das Gesamtprogramm vorliegt.

profil: Dann reden wir über Sie. Vor vier Jahren, im Dezember 2013, hat Michael Spindelegger Sie abends angerufen und gefragt, ob Sie Ministerin werden wollen. Sie hatten bis zum nächsten Morgen Bedenkzeit. Kann man eine so schwerwiegende Entscheidung so rasch treffen? Karmasin: Ich habe damals auch gefragt, warum das so kurzfristig sein muss. Die Erklärung war, weil es sonst nach außen gedrungen wäre. Und eines muss ich sagen: Hätte ich länger Zeit gehabt, hätte ich mich tendenziell gegen den Weg in die Politik entschieden. Es gab viele rationale Argumente dagegen, unter anderem meine damalige Firma. Aber das Bauchgefühl hat mir gesagt, in die Politik zu gehen.

profil: Wie gehen Sie nach vier Jahren – enttäuscht? Karmasin: Nein. Jedenfalls um viele Erfahrungen reicher. Meine Leidenschaft war immer, hinter die Tapetentür zu schauen: Als Meinungsforscherin hinter die Kulissen eines Menschen – in der Politik hinter die Türen des Ministerrats.

profil: Was hat Sie hinter den Türen am meisten überrascht? Karmasin: In der Politik ist alles extremer als im Wirtschaftsleben. Etwa die Geschwindigkeit – in beide Richtungen: Als Ministerin muss man manchmal in der Sekunde entscheiden, bei jedem Fehler fallen Partei, Länder und Koalitionspartner über einen her. Da ist das Tempo viel zu hoch. Auf der anderen Seite dauert manches viel zu lang. Meine Großprojekte – Rauchverbot bis 18, Ausbau der Kinderbetreuung, Reform des Kinderbetreuungsgelds – haben drei, vier Jahre gedauert, da geht einem am Weg fast die Luft aus.

profil: Wer ist am falschen Tempo schuld? Karmasin: Manchmal ist es Strategie, dass etwas so lange dauert, weil es von einer Partei nicht gewollt wird. Man ist aber nicht ehrlich genug, zu sagen: Da kommen wir nicht zusammen, lassen wir’s. Es wird viel Zeit und Energie für etwas vergeudet, von dem man ohnehin weiß, dass es nichts wird.

profil: Bei welchem Fehler fielen Partei und Länder über Sie her? Karmasin: Am Anfang habe ich die Parteimechanismen nicht genau gekannt. Es gibt Wörter, die Sprengstoff sind – etwa Kinderbetreuung. Da bin ich anfangs vielleicht zu forsch vorgegangen. Da wurde ich mit großen Augen angesehen, und das war noch das Vornehmste.

profil: Tun sich Parteiunabhängige schwerer? Karmasin: Ich habe vier Facetten mitgebracht, die nicht förderlich waren: Frau. Parteifrei. Quereinsteigerin. Und ich wollte nur eine Legislaturperiode bleiben. Es ist leichter, wenn man seit 30 Jahren in der Partei ist und alle Menschen kennt.

profil: Sie hatten keine Hausmacht. Karmasin: Am Anfang hatte ich mehr Hausmacht, da war Michael Spindelegger ein großer Unterstützer. Unter Reinhold Mitterlehner war die Unterstützung weg. Und es wurde nicht leichter, als Hanni Mikl-Leitner, die eine enge Verbündete war, nach Niederösterreich wechselte.

Sophie Karmasin

profil: Sie sagten einmal nach einem Besuch in Berlin: Derart fundierte Diskussionen gibt es in Österreich nicht. Was meinen Sie damit? Karmasin: In Deutschland gibt es die Kultur, dass große politische Themen von Wissenschaftern aufbereitet werden, man Forschung hört und danach entscheidet. Bei uns gibt es Studien, die aber nur einbezogen werden, wenn sie opportun sind. Wirklich ideologiefrei Vor- und Nachteile zu hören, ist schwächer ausgeprägt. Dabei wäre gerade das für Österreich wichtig.

profil: Woran liegt das? Karmasin: Wahrscheinlich an der politischen Kultur in Deutschland, die weniger von Populismus geprägt ist. Und wohl auch an den Medien. Seit diesem Wahlkampf gibt es einen noch schärferen Umgang der Medien mit Politik. Das ist bedenklich für eine Demokratie.

profil: Derzeit widmen sich Medien der #MeToo-Debatte. Was halten Sie davon? Karmasin: Sehr wichtig. Ich finde es absolut retro und eine Themenverfehlung zu sagen: Die armen Männer wissen ja gar nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Das ist so billig! Und zeugt genau von dem traditionell-gestrigen Verständnis, gegen das ich vier Jahre lang angekämpft habe.

profil: Wie erfolgreich? Karmasin: Beim Thema Kinderbetreuung zweifelt mittlerweile keine Partei mehr an, dass wir mehr Kindergärten brauchen. Da habe ich echt eine Bewusstseinsänderung erreicht.

profil: Ihr Ziel war, Österreich zum familienfreundlichsten Land zu machen. Das ist nicht gelungen. Karmasin: Das Ziel war, die Weichen zu stellen, um Platz 1 bis 2025 zu ermöglichen. Wir haben es geschafft, vom drittletzten Platz in Europa auf Platz zwei vorzurücken. Das gelang durch den Ausbau der Kindergärten und durch die Erhöhung der Väterbeteiligung. Hier haben wir das Rollenbild von einem sehr traditionellen zu einem partnerschaftlicheren gedreht.

profil: Österreich zahlt neun Milliarden Euro an Familienförderungen. Müsste man mehr umschichten von Geld- auf Sachleistungen? Karmasin: Das wäre wünschenswert. Denn natürlich lenke ich politisch mehr, wenn ich mehr Geld in Kindergärten stecke und nicht direkt an Familien auszahle.

profil: Worum tut es Ihnen leid? Karmasin: Um die einheitlichen Herbstferien. Wir haben sehr viele Runden gedreht, in der Partei, mit den Ländern. Jetzt braucht man es nur noch machen, den Grundstock habe ich gelegt.

profil: Das tut die neue Regierung offenbar. Aber Noten kommen zurück in die Volksschulen. Karmasin: Ob das so schwarz-weiß wird, muss man abwarten.

profil: Das klingt, als wären Sie kein großer Fan von Noten in den ersten Volksschulklassen. Karmasin: Ich würde mir gerne Expertenmeinungen und wissenschaftliche Erkenntnisse dazu ansehen.

profil: Das Höchstgericht führt jetzt die Ehe für alle ein. Ist das nicht ein Armutszeugnis für die ÖVP, dass es dafür Richter braucht? Karmasin: Es war das Kalkül von manchen: Warten wir auf das Urteil, dann müssen wir die Kritiker in den eigenen Reihen nicht mühevoll überzeugen.

profil: Sie durften nie laut sagen, dass Sie für die Home-Ehe sind. Wie schwer fiel Ihnen das? Karmasin: Wenn man in einem Team arbeitet, gehört es dazu, dass man Dinge mitträgt. Die ÖVP hat auch Dinge mitgetragen, die mir wichtig waren, etwa den Ausbau der Kinderbetreuung. Dabei hat mich die ÖVP unterstützt – oder zumindest nicht laut geschrien.

profil: Sie sind eine Liberale. Wie liberal ist die ÖVP? Karmasin: Das kommt stark auf den Parteiobmann an.

profil: Sie haben in vier Jahren drei ÖVP- Obmänner erlebt. Karmasin: Was Sebastian Kurz ganz anders macht: Er ist stets erreichbar und gesprächsbereit. Das klingt so selbstverständlich, aber das war bei Reinhold Mitterlehner nicht der Fall. Im Gesprächs- und Kommunikationsstil liegen da Welten dazwischen.

profil: Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich schwer tun, auch nur ein Element der FPÖ als sinnvoll zu erachten. Karmasin: Mir geht es da um Moral und Ideologie. Auf diese Nenner muss man es zurückführen – und die heißen sicher nicht frauenfreundlich, unterstützend, partnerschaftlich. Sondern autoritär und machoid. Vieles, was aus den Burschenschaften kommt, steht in historischen Zusammenhängen, die letztendlich in Menschenverachtung und im weitesten Sinne mit Gewalt zu tun haben. Das sind Geisteshaltungen, die ich absolut ablehne. Die Burschenschaften sind Männerclans. Das zementiert ein traditionelles Rollenbild, das ich verändern will. Außerdem haben manche Burschenschaften mit rechtsextremen Strömungen zu tun.

Es gab mehr als einen Vorfall, wo FPÖ-Politiker wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz vor Gericht standen.

profil: Und huldigen dem Deutschtum. Karmasin: Das ist mit in diesem Dunstkreis – genauso wie Antisemitismus und ein unklares Verhältnis zur NS-Zeit. Das sind Milieus, von denen sich die FPÖ zwar dann und wann versucht abzugrenzen – aber nicht in einer Schärfe und Deutlichkeit, als dass es für mich überzeugend wäre.

profil: Das werfen Sie dem künftigen Koalitionspartner der ÖVP vor? Karmasin: Es gab mehr als einen Vorfall, wo FPÖ-Politiker wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz vor Gericht standen. Man braucht ja auch nur manche Postings auf den FPÖ-Seiten lesen.

profil: Sie würden in keiner Regierung mit der FPÖ sitzen wollen? Karmasin: Das war nie eine relevante Frage für mich, weil von vornherein feststand, dass ich nur eine Legislaturperiode bleibe. Aber: Nein, ich kann es mir für mich nicht vorstellen, in einer Regierung mit der FPÖ zu sitzen.

profil: Können Sie mit dem Begriff Heimatschutzministerium etwas anfangen? Karmasin: Ich kann sehr wohl mit dem Begriff etwas anfangen, deswegen lehne ich ihn auch ab. Das erinnert an die Terminologie des Nationalsozialismus. Mir ist das zuwider. Ich will die NS-Zeit auch mit Begrifflichkeiten nicht in die Gegenwart holen. Ich will in und für die Zukunft arbeiten.

profil: Weist die Rücknahme des Rauchverbots in die Zukunft? Karmasin: Das ist eine Frage der Haltung: Mein Verständnis von Zukunft wäre ein politisches Programm, das die hohe Raucherrate in Österreich reduziert. Jedenfalls bin ich sehr froh, dass das Rauchverbot für unter 18-Jährige, das ich bereits Ende März 2017 durchgesetzt habe, nicht in Diskussion ist.

profil: Die Rücknahme des Rauchverbots wird auch in der ÖVP kritisiert. Karmasin: Auch in dieser Koalition muss man Kompromisse schließen, die nicht alle gut schmecken. Kurz und Strache werden genauso Herausforderungen zu stemmen haben, wie Rot-Schwarz es musste.

profil: War der Unmut über die Große Koalition berechtigt oder übertrieben? Karmasin: Inhaltlich ist ja gar nicht so wenig weitergegangen. Aber das wurde verdeckt durch das enorme Getöse rundherum. Die Energie, die da hineingegangen ist, war zu hoch.

profil: Deshalb missglückte der Neustart der Großen Koalition durch Christian Kern und Reinhold Mitterlehner? Karmasin: Ich weiß nicht, ob das anmaßend ist, wenn ich das sage, aber: Christian Kern hat das Feld falsch eingeschätzt. Es geht in der Politik nicht nur um Sachthemen, es geht auch um Befindlichkeit. Der Wunsch nach etwas Neuem war sehr stark. Das hat Kern am Ende nicht eingelöst. Er hat geglaubt, mit guter Sacharbeit – die zweifelsohne da und dort passiert ist – kann man dieses Neue, dieses Andere demonstrieren. Aber die Medien und die Bürger schauen leider nicht auf Sachthemen, die schauen darauf, was symbolisch rüberkommt. Und da war nicht viel Veränderung zu sehen, sondern Streit. Insofern hätte Kern vielleicht mit dem Wissen, das er heute hat, damals anders entschieden und gesagt: Der einzige Weg, wie ich die SPÖ und die Große Koalition retten kann, ist, sofort in Neuwahlen zu gehen – und zwar gleich im Mai 2016.

profil: Das klingt fast so, als ob es Ihnen leid tut, dass Kern gescheitert ist. Karmasin: Ich würde ihm aufrichtigen politischen Gestaltungswillen zuschreiben. Und ich finde die öffentliche Wahrnehmung über Kern derzeit nicht gerechtfertigt. Alles, was er im Moment sagt oder tut, was er auch im Wahlkampf getan hat, wird sofort von allen aufs Schärfste kritisiert. Das ist so eindimensional und so typisch Österreich. Da wird der Schalter umgelegt: Zuerst applaudieren alle – dann buhen alle aus. Und beides ist heillos übertrieben.

profil: Kern und Sie sind von der Wirtschaft in die Politik gewechselt. Endet das mit Enttäuschungen? Karmasin: Nein, mit Anpassen. In jedem Beruf ist der Anfang schwer. Ich habe am Anfang geglaubt, ich ändere das System. Ich habe aber schnell realisiert, dass man nicht reingehen kann und sagen, Leute, machen wir es doch jetzt einmal ganz anders. Man kann nicht als Einzelperson das System der Politik verändern.

profil: Würden Sie wieder in die Politik gehen? Karmasin: Absolut.

profil: Wie lautet Ihr Rat an Quereinsteiger? Karmasin: Wenn man eine politische Überzeugung hat und für Ideen brennt und wenn man die Hitze in der Politik vertragen kann – dann unbedingt machen.

Interview: Eva Linsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin