War’s das schon?

SPÖ: War’s das schon für Werner Faymann?

SPÖ. Herbert Lackner über den von seiner Partei arg gebeutelten Werner Faymann

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Da saß er also in der ersten Reihe, eben hatte die Wahlkommission das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben, und sein Gesicht schien wie eingefroren. Gabriele Heinisch-Hosek griff ihm beschwichtigend an den Arm und sagte etwas wie „Eh super“ – so wie die Klassenlehrerin einen deprimierten Schüler tröstet, der wieder einmal ein „Nicht genügend“ eingefahren hat, aber mit ein wenig Aufmunterung vielleicht doch noch irgendwann aus dem Schlammassel findet.

Aber wie soll Werner Faymann wieder auf die Beine kommen, die ihm gerade wieder einmal von der eigenen Partei weggezogen wurden? Was hätte er denn noch machen sollen, damit sie ihn liebt? Mehr ging doch gar nicht mehr, sollte die Sache nicht völlig in die Lächerlichkeit abgleiten. Der Koalitionspartner und die Opposition witzelten ohnehin schon über die Parteitagspanik bei den Roten.

Wochenlang war Werner Faymann durch die SPÖ- und Gewerkschaftsorganisationen gepilgert, hatte gute Stimmung für sich gemacht und den Funktionären eingetrichtert, dass seine Schwächung auch eine Schwächung der Verhandlungsposition in der Regierung sei. Eindringlich hatten die meisten Landesparteiobleute ihren Delegierten in den Vorbesprechungen zum Parteitag ans Herz gelegt, Werner Faymann nicht wieder so abzustrafen wie beim letzten Konvent, als er mit nur 83,4 Prozent in seinem Amt als Parteivorsitzender bestätigt wurde.
Die gesamte Parteitagsregie war darauf ausgerichtet, den Chef in gutem Licht dastehen zu lassen. Die Rede des roten Europa-Parlamentspräsidenten Martin Schulz wurde eigens erst am Samstag eingeplant, damit der eloquente Deutsche Faymann nicht die Show stehlen kann.

Die Rolle des Wortführers pro Faymann hatte auf dem Parteitag und in Zeitungsinterviews zuvor der steirische Gewerkschafter Josef Muchitsch übernommen, ein bulliger Bauarbeiter, der dem Typus „Liebling der Delegierten“ durchaus entspricht. Praktisch die ganze Parteispitze hatte sich vor der Abstimmung zu Wort gemeldet und die Funktionäre noch einmal um ihre Stimme für Faymann angefleht. Der musste das entwürdigende Ritual verlegen lächelnd über sich ergehen lassen.

„Faymann Werner, 83,6 Prozent“
Dass es kein guter Tag für ihn werden sollte, zeigte sich schon beim ersten Wahlgang, jenem zum Parteivorstand. „Faymann Werner, 83,6 Prozent“ verkündete die Wahlkommission, vier Prozentpunkte weniger als beim letzten Mal.

Und als habe es an diesem Freitag nicht schon genug Peinlichkeiten und Narreteien gegeben, schönte die Wahlkommission auch noch das Ergebnis der auf die Vorstandswahl folgenden Vorsitzendenwahl: Während alle anderen Ergebnisse auf zwei Kommastellen genau ausgewiesen wurden, hieß es bei Faymann bloß „84 Prozent“. Das war schon rein arithmetisch unmöglich, wie jeder Unterstufenschüler rasch erkennen konnte. Und da ja die absoluten Zahlen bekannt waren, war binnen Sekunden unschwer zu errechnen, dass genau 83,89 Prozent für Faymann waren, was für den Parteiobmann optisch noch um eine Spur unschöner gewesen wäre.
Als dann Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos in seiner Aufregung heillos übergenderte und von „Delegiertinnen“ sprach, war klar: Bei der SPÖ läuft derzeit einiges neben der Spur.

Dabei sind die 84 Prozent ohnehin nur ein Teil der Wahrheit. Da wohl angenommen werden kann, dass die intensive Überzeugungsarbeit vor und während des Parteitags etliche Faymann-Kritiker aus Parteiräson eine Ja-Stimme abgeben ließ, dürfte mindestens ein Viertel der roten Spitzenfunktionäre daran zweifeln, dass er der richtige Mann ist. Aber wie kann man den Wählern klarmachen, dass dies der beste Kanzler sei, wenn es selbst ein erklecklicher Teil der SPÖ-Spitze nicht so sieht?

Eine interessante Frage hat in diesem Zusammenhang Kollege Oliver Pink in der „Presse“ gestellt: „Faymann tut alles für die Partei, umhegt deren Protagonisten, bleibt ideologisch stets auf Linie. Und dennoch lieben sie ihn nicht. Warum ist das so?“

Merkwürdiges Spiel
Es ist tatsächlich ein merkwürdiges Travestie-Spiel, dass just der linke Parteiflügel Faymann aufs Korn genommen hat – jenen Kanzler, der zumindest verbal weit „linkere“ Positionen vertritt als praktisch alle seine Vorgänger, den ehemaligen Austromarxisten Bruno Kreisky eingeschlossen. Kreisky wollte die Gesellschaft modernisieren, Verteilungspolitik war nicht sein Thema. Ihm ging es um Chancengerechtigkeit. Und er wollte jene Bürgerlichen nicht verschrecken, die „ein Stück des Weges“ mit ihm gehen sollten.

Dieses damals entscheidende Wählersegment, das auch noch Franz Vranitzky über der 40-Prozent-Marke gehalten hatte, wurde von der Faymann-SPÖ längst aufgegeben. Die Kinder der bürgerlichen Kreisky-Wähler sind heute bei den Grünen, bei den NEOS, oder sie sind zur ÖVP zurückgekehrt. Mit der SPÖ haben sie nichts am Hut.

Faymann hat alle Hände voll zu tun, um seine Richtung FPÖ davonbröselnden Kernwähler zu halten. Bei ihnen handelt es sich vor allem in den Städten um Menschen, die es im Leben nicht leicht haben, die wegen mangelnder Ausbildung überdurchschnittlich oft von Arbeitslosigkeit betroffen sind und sich – haben sie einmal einen Job – oft nicht zu Unrecht übel ausgebeutet fühlen.

Dieser großen Wählergruppe – es handelt sich etwa um ein Viertel des gesamten Elektorats – ist mit prononciert rechter oder ziemlich linker Rhetorik zu begegnen. Bei den dafür Ansprechbaren versucht es Heinz-Christian Strache, indem er ihnen die „Ausländer“ als Schuldige an der Misere anbietet. Der Versuchung, sich auf diesem Gebiet mit der FPÖ zu messen, ist die SPÖ nie erlegen – das ist ihr positiv anzurechnen. Faymann hingegen definiert klassisch linker Theorie folgend die „Besitzenden“ als verantwortlich an der hartnäckigen Krise: die Banken, die Konzerne, die Millionäre. Bei ihnen will er sich Geld für seine Verteilungspolitik holen.

Dabei gibt es ein paar Probleme: Einerseits ist Österreich um einige Nummern zu klein, als dass ein auch entschlossenerer Bundeskanzler als Faymann gegen die ganz Großen ankäme. Und für die von ihm versprochene „Millionärssteuer“, recte Vermögenssteuer, gibt es im Nationalrat derzeit keine Mehrheit, will Faymann nicht Neuwahlen riskieren. Neuwahlen, das weiß niemand besser als er selbst, wären wohl das Ende seiner politischen Karriere. Die SPÖ lag schon vor ihrem missglückten Parteitag in den Umfragen hinter ÖVP und FPÖ auf Platz drei. Warum sollte sich das kurzfristig ändern?

Kein Machtwort
Ein langjähriger Intimkenner der SPÖ meinte in einem vor dem Parteitag geführten Gespräch, in der SPÖ könne man sich auf zwei Arten Respekt verschaffen: „Entweder du hast Erfolg, oder man fürchtet sich vor dir.“
Das gilt wahrscheinlich auch für andere Organisationen, für Parteien gilt es jedenfalls. „Wenn der Michi mit der Faust auf den Tisch haut, bleiben sogar die Fliegen sitzen“, witzelte einmal ein ÖVP-naher Banker über Michael Spindelegger. Für Faymann gilt etwa dasselbe wie für den abgetretenen ÖVP-Chef: Es fehlen ihm die Erfolge; und es fürchtet sich niemand vor ihm – was an sich ein sympathischer Zug ist. Bruno Kreisky etwa war wegen seiner bisweilen heftigen Ausbrüche, aber auch wegen seiner raschen Personalentscheidungen gefürchtet: Manche der ausgetauschten Regierungsmitglieder erfuhren erst von Journalisten von ihrer Absetzung.

Faymann würde das nie tun. Er will seit Jahren immer wieder den politisch nicht leicht steuerbaren ORF-Chef Alexander Wrabetz loswerden und schreckte ebenso oft vor dem damit verbundenen Wirbel zurück. Er spricht keine Machtworte, weil er nicht weiß, ob seine Macht dafür ausreicht.
Also begibt er sich auf sicheres Terrain und tritt der Öffentlichkeit vor allem in den ihm verbundenen Boulevardzeitungen entgegen. Riskantere Diskussionsformate im ORF – „Zeit im Bild 2“, „Report“, „Im Zentrum“, „Pressestunde“ etc. – meidet er seit Jahren. Das ist erstens eines Regierungschefs unwürdig und zweitens recht unklug, weil Faymann nicht schlecht vom Schirm kommt. Vor allem aber: Wie soll jemand, der sich vor Armin Wolf und Lou Lorenz–Dittlbacher fürchtet, den schweren Herausforderungen dieser Welt unerschrocken ins Auge blicken? Wie soll jemand, der sich sogar vor parlamentarischen U-Ausschüssen ängstigt, unter den Finanzhaien aufräumen, den Millionären ein Stück ihres Reichtums abpressen und die aggressiven Rechtspopulisten endgültig niederringen?

Auch deshalb fürchtet sich niemand vor Werner Faymann. Bleibt noch die Möglichkeit, dass die SPÖ doch noch irgendwann Erfolg hat, also die eine oder andere Wahl gewinnt. Das entscheidet sich in den kommenden Monaten – und damit wohl auch das politische Schicksal des Werner Faymann.