Zeitungen sollen verstärkt unterstützt werden

Suizidberichterstattung: Gebot der Zurückhaltung

In Berichten zu den Fällen Lisa-Maria Kellermayr und Hans-Jörg Jenewein wurden medienethische Grenzen überschritten. Was falsch lief – und wie korrekte Suizidberichterstattung aussieht.

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von Emilia Garbsch

So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Dieser Grundsatz gilt hierzulande spätestens seit 1987 für Berichterstattung über Suizide. Damals startete eine Studie in Wien: Medien verzichteten auf Sensationsberichte über Selbstmorde in U-Bahnen. Das Resultat: Die Zahl der Suizide in U-Bahnen sank deutlich. Die Wiener Studie lieferte einen der ersten Belege des sogenannten Werther-Effekts; benannt nach dem Goethe-Roman „Die Leiden des jungen Werther“ – der einen Schwung an Nachahmungs-Suiziden auslöste. 

Sensationsträchtige Medienberichte über Suizide können weitere Suizide auslösen. Der Ehrenkodex des Presserats fordert angesichts der Nachahmungsgefahr  daher „große Zurückhaltung“ bei Suizidberichten. Das ist mittlerweile medienethischer Konsens – eigentlich.

Es gibt viele Hilfseinrichtungen und Anlaufstellen für Menschen in akuten Krisensituationen. Unter www.suizid-praevention.gv.at findet man Notrufnummern und Erste Hilfe bei Suizidgedanken. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen.

In der Praxis brachen zuletzt die Dämme, allen voran in der „Kronen Zeitung“. Das Boulevardblatt zitierte die angeblichen Abschiedsbriefe der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr ausführlich. Auch Ort und Methode des mutmaßlichen Suizidversuchs des FPÖ-Politikers Hans-Jörg Jenewein wurden benannt. Auch beinahe alle anderen gängigen Richtlinien zur Suizidberichterstattung warf die „Krone“ über Bord, etwa jene, nicht über Details des  Suizids zu berichten. Sie war damit nicht allein: „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk beschrieb in einem Newsletter die angebliche Suizidmethode Kellermayrs. Die Empörung war entsprechend groß. Der Presserat wird die Berichte beider Medien prüfen.

Suizidberichterstattung ist stets eine Gratwanderung. Persönlichkeitsrechte müssen geschützt, der Werther-Effekt  vermieden werden. Aber: In Sonderfällen können Berichte gerechtfertigt sein. Etwa wenn der Suizid teilweise mit einem Missstand verknüpft ist, der aufgezeigt gehört. Beiträge, die enttabuisieren, Hilfsangebote anführen und Mut machen, diese anzunehmen, haben sogar suizidpräventives Potenzial. 

Es gilt also abzuwägen, ob öffentliches Interesse überwiegt. Für Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats, ist das bei Kellermayr und Jenewein der Fall: „Beide sind öffentliche Personen, und es geht um diskursrelevante Themen. Darüber soll und muss man schreiben, um aufzuarbeiten“, sagt er. Das ist freilich kein Freibrief zur Leichtfertigkeit – der Leitfaden des Kriseninterventionszentrums für korrekte Suizidberichterstattung ist eindeutig: Sensationsträchtige Überschriften und Platzierungen auf Titelseiten vermeiden; Details zur Suizidhandlung und zu Abschiedsbriefen auslassen. Suizid keinesfalls als „letzten Ausweg“ darstellen. Und: „Bei einem Suizid spielen meist mehrere Faktoren zusammen. Der Fokus oder die Vereinfachung auf nur einen Grund ist auch nicht positiv“, so Warzilek.

„Falter“ und „Krone“ haben Grenzen überschritten. Die Fehlerkultur der Medienhäuser ist unterschiedlich:  Der „Falter“ löschte die fragwürdige Passage in der Onlineversion und entfernte den Button zum Weiterleiten. Klenk entschuldigte sich. „Krone“-Chefredakteur Klaus Herrmann empörte sich über die Beschwerden beim Presserat: Man habe berichtet, wie Kellermayr es gewollt hätte, und sei mit „übelsten Reaktionen“ konfrontiert.

Christian Haring, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Suizidprävention, kritisiert die gesamte Medienbranche: „Im Fall Kellermayr wurde generell zwar nicht qualitativ, aber quantitativ zu viel berichtet“, sagt er. Und: „Bei Herrn Jenewein finde ich fragwürdig, ob das überhaupt berichtenswert ist. Warum nicht nur schreiben, dass er einen medizinischen Notfall hatte?“