Sven Gächter

Sven Gächter Autopiloten

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Was bisher geschah: Frank Stronach kanzelt Josef ­Bucher als „Koch“ und „Kellner“ ab. Eva Glawischnig überrumpelt Heinz-Christian Strache mit einer Taferl-­Attacke. Michael Spindelegger will nicht nur die Wirtschaft, sondern gleich auch noch die Bürokratie „entfesseln“. Frank Stronach kanzelt Moderatoren und Publikumsgäste ab. Werner Faymann und Michael Spindelegger erinnern sich, dass sie gemeinsam in einer Großen Koalition sitzen, und verzichten ausnahmsweise auf wechselseitige populistische Untergriffe. Norbert Darabos kanzelt einen Journalisten ab, der es wagt, nach der Wahlkampffinanzierung der SPÖ zu fragen: „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“ Josef Bucher überrumpelt Hanno Settele mit einer Krachledernen. Hans Peter Haselsteiner fordert für „unvernünftig hohe Einkommen“ unerschrocken einen Grenzsteuersatz von 95 Prozent. Josef Bucher fordert die Abschaffung der meisten Steuern. Frank Stronach fordert die Todesstrafe für Berufskiller. Michael Spindelegger fordert Josef Bucher auf, sich zu seiner Verantwortung für das Hypo-Debakel zu bekennen, und kanzelt ihn, nachdem dieser das ausdrücklich verweigert, im Brustton der Empörung ab: „Das ist unglaublich, was Sie da aufführen. Das lasse ich mir nicht gefallen.“ Ingrid Thurnher überrumpelt den frei assoziativ monologisierenden Frank Stronach mit mehreren insistenten Zwischenfragen. Hannes Rauch erinnert sich nicht, dass seine Partei gemeinsam mit der SPÖ in einer Großen Koalition sitzt, und wirft in einer Presseaussendung sowohl die Mindeststandards der Höflichkeit gegenüber dem Bundeskanzler als auch jene der deutschen Grammatik über Bord: „Sieben Millionen für den Werner ist derzeit ein Fall für die Justiz.“ Frank Stronach und Heinz-Christian Strache verzichten in der mit Spannung erwarteten TV-Konfrontation zur allgemeinen Verwunderung ganz auf wechselseitige populistische Untergriffe.

Und Peer Steinbrück posiert für ein Magazincover mit Stinkefinger und wird dafür vom politischen Gegner im Brustton der Fassungslosigkeit abgekanzelt. Aber das war jetzt, hoppla, der falsche Film!

Im permanenten, alles durchdringenden Grundrauschen des Wahlkampfs nivellieren sich die Wertigkeiten und Wahrnehmungen. Irgendwann weiß man nicht mehr, wer was wann und vor allem wo gesagt hat: im ORF, in Puls 4 oder ATV, auf Ö1, Kronehit oder FM4, im Internet, in ­„Heute“ oder „Österreich“ oder in einem unter Qualitätsverdacht stehenden Printmedium? Oder vielleicht doch im Internet? Und macht es überhaupt einen Unterschied? Sind für die hochtourige Kommunikationsdynamik einer Kampagne nicht alle verfügbaren Kanäle gleich gut und gleich gültig? Im Zweifelsfall ja. Unterm Strich zählt der Penetrationseffekt, und je flächendeckender penetriert wird, umso mehr bleibt hängen – und seien es nur ein paar markige Worte oder fahrige Gesten (oder eine Trachtenlederhose). Wahlkampf ist Schaugeschäft: Wer sich nicht permanent zeigt und dabei gehörig Wind macht, hat schon verloren.

In den letzten Wochen vor dem Stichtag (zur Erinnerung: 29. September 2013) kommt es zu tranceartigen Zerfallserscheinungen auf allen Seiten. Den Spitzenkandidaten steht die bodenlose Erschöpfung so offensichtlich ins Gesicht geschrieben, dass sie selbst von den erfahrensten Visagistinnen kaum mehr überschminkt werden kann. ­Mimik und Sprache sind strikt auf Autopilot geschaltet; es geht nicht um neue Botschaften oder gar überraschende Wendungen, es geht um eiserne Marathondisziplin bis zum Zieleinlauf.

Auch das Publikum (sprich: die Wahlberechtigten) hat seinen geistigen Stoffwechsel auf mittlerem Rezeptionsniveau stabilisiert. Die Botschaften hört man wohl, allein es fehlt die Kraft, sie noch sinnerfassend verarbeiten zu können, was aber schon deshalb kein gravierendes Problem darstellt, weil die fraglichen Botschaften ohnehin ­weniger durch Sinnfälligkeit als vielmehr durch Penetranz zu bestechen haben.

Nur einer bleibt im kollektiven Wahlwerbungs- und Abnutzungskampf allem Anschein nach völlig unversehrt: Peter Filzmaier. Der ORF-Chefpolitologe h. c. strahlt mit seiner virtuosen Leidenschaftslosigkeit in Physiognomie und Sprechgestus eine magische Ruhe aus, die jedoch keinesfalls einschläfernd, sondern geradezu ansteckend wirkt. Jede noch so geräuschvoll inszenierte öffentliche Erregung wird mit flachkurvigem Timbre auf einen klar fassbaren Kern heruntergebrochen, der trotz analytischer Schwankungsbreiten im Detail stets einen zuverlässigen Trost birgt: Man muss nicht immer alles verstehen – solange man es nur irgendwie erklärt bekommt. Diese paradoxe Erkenntnis gibt dem Wahlkampf am Ende doch noch eine versöhnliche Note.

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