Josef Pühringer und Manfred Haimbuchner bei der TV-Diskussion zur oberösterreichischen Landtagswahl.

Schwarz-Blau reloaded: Wo bleibt der Aufschrei?

Schwarz-Blau reloaded: Wo bleibt der Aufschrei?

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Die ORF-„Pressestunde“ ist ein Format mit dem Stellenwert eines liebgewonnen Möbelstücks im Designer-Haus. Der routinierte Austausch löst nur selten digitale Empörungswellen aus. Vergangenen Sonntag hätte es so weit sein können. Der Chef der Regierungspartei ÖVP, Reinhold Mitterlehner, sprach sich mit Verve für eine Verpartnerung seiner Partei mit der FPÖ im Heimatbundesland Oberösterreich aus und zeigte sich auch offen für eine Neuauflage von Schwarz-Blau im Jahr 2018. Nichts geschah. Die Moderatoren schwiegen; die heimische Twitteria, die sonst jeden noch so zarten Rechts-Verstoß geißelt, schwieg; auch die Weltpresse, darunter „Le Monde“, schwieg: Das französische Blatt ließ im Jahr 2000 aus Protest gegen die Haider-Schüssel-Regierung auf Cartoons Alpenzüge mit einem „Arbeit macht frei“-Schild ins KZ fahren.

Klar, man könnte die Kirche im Bundesland lassen, bis FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach der Nationalratswahl vor den Portalen des Bundeskanzleramtes steht. Doch Oberösterreich ist nicht nur ÖVP-Kernland, sondern auch Industrie-Kernland und ehemaliges Nazi-Kernland; nicht der drittplatzierte Wolfgang Schüssel, sondern der erstplatzierte Josef Pühringer gibt der FPÖ den Ritterschlag; und die FPÖ bekommt in Linz das Ressort Sicherheit, während ein blauer Innenminister im Jahr 2000 undenkbar gewesen wäre. Mit jedem Monat schwarz-blauer Normalität ob der Enns wird das Fundament der Grundsatzkritik gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung weiter bröckeln. Die „Kronen Zeitung“ betont schon jetzt täglich, wie reibungslos Rot-Blau im Burgenland abläuft. Gegen das kleine Bundesland ist Oberösterreich noch dazu ein Schwergewicht. Für die FPÖ könnte es zur Kaderschmiede künftiger Ministerkandidaten werden. 2018 – in Linz beginnt’s.

Vor dem Ausbruch des Faschismus hätten heute wohl auch jene weniger Angst, die 2000 alarmiert waren.

Die Stille überrascht. Schreitet man den „cordon sanitaire“ erneut ab, der die rechten Recken bis zum Jahr 2000 moralisch isolieren sollte, erkennt man: Die Grundpfeiler des Isolationszaunes sind heute mehr oder weniger dieselben. Doch das Terrain, auf dem die Pfeiler stehen, hat sich in 15 Jahren massiv verschoben. Für einen neuen Zaun, so scheint es, fehlen heute Energie und Fundament. 15 Jahre nach der schwarz-blauen „Wende“ sind die meisten Zeitzeugen des Holocaust tot. Auch Jörg Haider ist tot. Die Empörung über seine Aussagen, etwa die „ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“, waren der mit Abstand stärkste Pfeiler im Isolationszaun. Die Affäre Waldheim, die Österreich aus dem Schlummerschlaf des Verdrängens riss, war noch frisch im kollektiven Gedächtnis. Die heute unter 40-Jährigen haben die Affäre um Bundespräsident Waldheim, der bei der Wehrmacht doch „nur seine Pflicht“ getan haben wollte, hingegen gar nicht mehr erlebt. Wie viele der 280.000 Facebook-Fans des Haider-Nachfolgers Heinz-Christian Strache denken beim Wort „Holocaust“ an ein Videospiel?

Vor dem Ausbruch des Faschismus hätten heute wohl auch jene weniger Angst, die 2000 alarmiert waren. Die Abwehrkräfte des Landes sind stark. Es gibt sie zwar noch, die braunen Spuren, weiter dokumentiert auch von profil. Doch der Vorwurf der blauen Hetze kristallisiert sich mittlerweile nur noch vereinzelt in Antisemitismus, sondern eher in der Islamophobie der FPÖ und ihren Attacken gegen Asylwerber.

Die Linien zwischen Kritik an der religiös-konservativen Welt der Migranten und blankem Rassismus sind viel weniger scharf gezogen als die Grenzen des NS-Verbotsgesetzes.

Heute sind es nicht mehr einzelne Sager des Parteichefs, die an die breite Öffentlichkeit sickern, es sind Tausende von Postings und Videos, die in der medialen Parallelwelt der Blauen herumflirren. Ein Asylwerber schimpft über das Essen im Gastland. „Zur Info. So sieht Dankbarkeit aus!“ Strache teilt solches Material auf Facebook und ist oft nur noch der Verstärker einer Stimmung der Angst und Unsicherheit, die auch außerhalb der blauen Welt existiert. Das erleichtert die Grenzgänge. Die Linien zwischen Kritik an der religiös-konservativen Welt der Migranten und blankem Rassismus sind viel weniger scharf gezogen als die Grenzen des NS-Verbotsgesetzes. Im Netz verfolgen die Watchdogs von „Heimat ohne Hass“ oder „SOS Mitmensch“ die Hetzer, mit einem starren Zaun kämen sie heute nicht mehr weit. Hätten sie dazwischen noch Zeit für wöchentliche Dauer-Demos? Hätten jene, die Flüchtlingen am Bahnhof helfen, die Zeit?

Im Jahr 2000 musste sich Haider in der berühmten Präambel zu Europa, dem Euro und der EU-Osterweiterung bekennen. Er hatte schließlich nicht nur gegen den EU-Beitritt oder die Aufnahme der Osteuropäer gewettert, sondern auch den Euro als „Fehlgeburt“ bezeichnet. Damals ein Skandal. Eine Weltwirtschaftskrise und Griechenland-Beinahe-Pleite später fordern selbst linke Vordenker wie der deutsche Ökonom Wolfgang Streek das Ende des Euro. Auch die Euphorie über die Osterweiterung ist abgeflaut. Österreich profitierte insgesamt davon, am viel zitierten kleinen Mann zogen die Gewinne heimischer Unternehmen aber vorbei. Stattdessen kamen mehr Arbeitskräfte als gedacht – mit ein Grund dafür, warum in Wien 25 Prozent der wahlberechtigten Migranten aus Angst vor neuer Konkurrenz FPÖ wählten.

Wer nicht mehr ideologisch und grundsätzlich gegen die FPÖ argumentiert, sondern handwerklich, entzaubert die Kritik.

Die einstige Aufnahmefreude der EU beantworten Ungarn oder Tschechien heute quasi mit dem Mittelfinger. Das führt zu dem paradoxen Szenario, dass Österreich für Kriegsflüchtlinge selbst unter einer blauen Regierungsbeteiligung wohl mehr tun würde als die Nachbarn. Nicht nur in diesen Ländern hat sich die Hoffnung von profil-Kollegen Georg Hoffmann-Ostenhof zerschlagen, der 2000 schrieb, die EU würde mit ihren Sanktionen gegen Österreich „moralisch-politische Standards“ setzen und dadurch reifen. 15 Jahre später ist die FPÖ nur noch einer von vielen Rechtsauslegern. Quer durch die EU haben es Rechtspopulisten, Rechtsextreme und gar Faschisten in den Vorhof der Macht oder sogar in die Regierung geschafft.

Die FPÖ ist längst kein Underdog mehr. Bei einer 30-Prozent-plus-Partei geht das Material für den Isolationszaun aus. Geschrumpft ist hingegen das Terrain der Alternative zur FPÖ, der einst Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ. „Die FPÖ sitzt in der burgenländischen Regierung und sie ist in ganz Österreich längst eine Großpartei geworden. Man kann sich ihr auf Dauer nicht verschließen.“ Das sagte der oberösterreichische SPÖ-Landtagsabgeordnete und Zentralbetriebsrats-Boss der voestalpine, Hans Karl Schaller, in der Vorwoche gegenüber profil. Angst habe er keine vor der FPÖ. „Die beiden haben sich in einem demokratischen Prozess gefunden. Wir werden uns das in Ruhe ansehen.“

Auf gegenschwarzblau.at hat Schaller logischerweise nicht unterschrieben. Das ist die neue Abwehrfront der Faymann-SPÖ gegen die Regierungsbeteiligung der Blauen – die es im roten Kernland Burgenland bereits gibt. Das kleine Bundesland gilt der Partei als blaues Schaf in der Familie. „Die Freiheitlichen durch eine Regierungsbeteiligung zu entzaubern, ist ein gefährliches Spiel, das zulasten des Steuerzahlers geht. Die FPÖ kann nicht regieren“, sagt Klubobmann Andreas Schieder und verweist auf das Hypo-Schlamassel, das Haider in Kärnten angerichtet hat. Schieder merkt gar nicht, wie er selbst die letzten Pflöcke des einstigen „cordon sanitaire“ ausreißt. Wer nicht mehr ideologisch und grundsätzlich gegen die FPÖ argumentiert, sondern handwerklich, entzaubert die Kritik. Denn Korruption und Misswirtschaft – die gab es auch unter SPÖ oder ÖVP.