Ulla Kramar-Schmid

Ulla Kramar-Schmid Schuld und Bühne

Leitartikel. Schuld und Bühne

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Österreich durchlüften, Fenster auf und raus mit diesem Mief, der nach Parteibuch und Bonzen und Proporz und Misswirtschaft und Staatsindustrie müffelte. Alles weg, alles neu, alles Schwarz-Blau. Modern, effizient, marktorientiert, leistungswillig, soooo hip. Österreich 2.0 – das hatte ein Gesicht: fesch, forsch, frech, KHG also, der Lieblingsschwiegersohn der Republik.

Wer so viel Vertrauensvorschuss hatte, musste zwangsläufig scheitern. Heute ist der einst jüngste Finanzminister aller Zeiten im freien Fall. Wieder wurde der Katalog der Ermittlungen um einen weiteren Privatisierungsvorgang ergänzt. Karl-Heinz Grasser beteuert, er sei unschuldig, habe nichts Unrechtes getan. Bis zum Beweis des Gegenteils ist ihm zu glauben.

Doch längst geht es nicht mehr nur darum, ob Anklage erhoben wird. Was KHG und seinen schwarz-blauen Weggefährten angelastet werden muss, liegt jenseits des Strafrechtes. Ihnen ist vorzuwerfen, dass der Politik heute jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen wird; sie haben zu verantworten, dass Politikern allenthalben Misstrauen entgegenschlägt. Mit ihnen auf der Anklagebank sitzen die Großen Koalitionen seit 2006: weil sie dieser Entwicklung zu spät und zu zögerlich entgegengearbeitet haben.

Strafrechtlich trifft die Koalitionsparteien keine Schuld. Aber als politische Akteure stehen heute sie auf der Bühne; konsequenterweise müssen sie also auch die Missfallskundgebungen des Publikums ertragen.
Buwog, Post-Privatisierung, Telekom, Tetron, Eurofighter, Hypo Alpe-Adria, Novomatic: Die Unschuldsvermutung ist Tagesmeldung. Was zwischen 2000 und 2006 passierte, purzelt als Schlagzeile ins Jetzt. Der durchschnittliche Beobachter steigt im Dickicht von Ermittlungsergebnissen, Anklagen und Vorhabensberichten nicht mehr durch; publizierte Verdachtsmomente verschwimmen auf einer Zeitachse zwischen 2002 und heute.

Aufarbeitung dauert. Staatsanwälte ermitteln, aber sie ermitteln langsam. Zu wenig Personal, zu komplexe Materien, zu viele Anwälte, die jeden juristischen Winkelzug nutzen. Die Erhebungen ziehen sich – so sehr, dass sich ein KHG nicht ganz zu Unrecht als Opfer fühlen darf.

Doch Aufarbeitung braucht nicht nur Zeit, sondern auch Selbstreflexion. Eine Regierung hätte erkennen müssen, dass das Vertrauen zwischen Wählern und Gewählten nur durch Transparenz und die Offenlegung politischer Vorgänge gefestigt werden kann.

Doch genau diesen Schluss haben die Koalitionen seit 2006 nicht gezogen. Ihre Strategen haben sich wohl vorrangig den Kopf darüber zerbrochen, wie sie dem Koalitionspartner ein Haxerl stellen können und wie ihre jeweiligen Minister Schlagzeilen sammeln. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Koalition bis heute gerade einmal die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen als Minderheitenrecht verabschiedet hat. Das Weisungsrecht des Justizministers soll auch abgeschafft werden. Streng genommen blieb es bislang bei der Ankündigung, denn – bei allem Res-pekt – ein „Weisenrat“ ist noch keine Gesetzesnovelle. Und was den Fall des Amtsgeheimnisses betrifft, zickt die ÖVP nach wie vor.

Die Folgen spürten unlängst die einfachen Abgeordneten. Vorvergangene Woche wurde die sogenannte Transparenzliste online gestellt, welche die Einkünfte der Parlamentarier aus Brotberuf und Nebenverdiensten auflistet. Einzelne Mandatare wurden daraufhin an den Medienpranger gestellt. Es entspannte sich allen Ernstes eine Debatte darüber, ob sie denn als Notare, Ärzte, Rechtsanwälte so viel verdienen dürfen. Die Regierungschefs? Hätten fragen können: Wollen wir programmierte Versorgungsfälle? Wollen wir Volksvertreter ohne Bodenhaftung zu eben diesem Volk? Wollen wir Abgeordnete, die sich neben ihrem Mandat als Lobbyisten verdingen, um für die Zeit nach der Politik vorzusorgen?

Doch sowohl Werner Faymann als auch Michael Spindelegger hatten lediglich dürre Sätze parat. Für Politiker, so scheint es, wollen nicht einmal deren Parteichefs in die Bresche springen.

Und hier schließt sich der Kreis zu KHG und seinen blauen Nachfolgern, die – welche Ironie, waren ihre Gesinnungsfreunde doch dereinst höchst empfänglich für fragwürdige Geschäfte aller Art – heute auf Platz eins fast aller publizierten ­Umfragen rangieren. Grasser, damals noch FPÖ-Finanzminister, hat das Parlament einst abfällig als „Quatschbude“ bezeichnet. Diese Meinung ist mittlerweile mehrheitsfähig.

Österreich 2.1 also. Das ist sein Erbe.

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