Wärme ohne Gastherme: Das große Umrüsten hat begonnen

Ein Reality-Check zwischen Wiener Gemeindebau und Waldviertler Einfamilienhaus.

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Von Gernot Bauer, Emilia Garbsch und Clemens Neuhold

Der monumentale Karl-Seitz-Hof in Floridsdorf, dem 21. Wiener Gemeindebezirk, ist ein Wahrzeichen des roten Wiens. Errichtet wurde er zwischen 1926 und 1931, benannt ist er nach dem langjährigen sozialdemokratischen Bürgermeister der Zwischenkriegszeit. Der Gemeindebau zählt insgesamt 1130 Wohnungen. In einer davon, im fünften Stock, steht ein Installateur auf einer Leiter aus Holz und verlegt Heizungsrohre. Werkzeugkoffer und blaue Verbundrohre liegen bereit. Rohre legen, verkleiden, Gastherme abhängen: Ein bis zwei Tage dauern solche Bauarbeiten in der Regel. Dann ist eine weitere Gasheizung Geschichte. Im nächsten Herbst und Winter wird Fernwärme für eine behagliche Wohnung sorgen.

Was in Floridsdorf passiert, dient einem höheren Zweck: dem Klimaschutz. Rund zehn Prozent der österreichweiten Treibhausgas-Emissionen kommen aus Gebäuden, allen voran Privathaushalten, die mit fossilen Brennstoffen heizen. Doch damit soll bald Schluss sein. Nach den Plänen von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sollen Gasheizungen sukzessive verboten werden und die Österreicherinnen und Österreicher auf Fernwärme, Pellets oder Wärmepumpen umsteigen. Die Ökologisierung hat ihren Preis. Die Städte werden zu Dauerbaustellen, zahlreiche Rechtsfragen sind offen. Die Kosten für den Umstieg gehen in die Milliarden. Über deren gerechte Verteilung wird zwischen den Lobbys von Mietern und Vermietern bereits eifrig diskutiert.

Der rechtliche Hebel zur Beendigung des Gas-Zeitalters ist das neue Bundesgesetz zum Ausstieg aus der fossil betriebenen Wärmebereitstellung. Kurzform: Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG). Dieses wurde dieser Tage vom Klimaschutzministerium zur Begutachtung verschickt. Mit massenhaften Stellungnahmen ist zu rechnen. Die zentralen Punkte:

  • Schon ab 2023 sollen Erdgasheizungen in Neubauten verboten werden, auch um die Abhängigkeit von russischem Erdgas rasch zu verringern.
  • Bis 2035 sind sämtliche Öl-, Kohle- und Koksheizungen stillzulegen.
  • Ab 2040 sind alle fossilen Gasheizungen verboten.

Die Wärme-Wende ist ein Megaprojekt. Laut Umweltbundesamt gibt es in Österreich 1,25 Millionen Anlagen mit fossilen Gasheizsystemen. Rund eine Million befindet sich in Wohngebäuden – von der Salzkammergut-Villa bis zum Gemeindebau in Floridsdorf, darunter 650.000 Gasetagenheizungen, die einzelne Wohnungen über Thermen mit Wärme und Warmwasser versorgen.  Wer für Wartung, Reparatur und Austausch von Gasthermen in Mietwohnungen verantwortlich ist, beschäftigt Österreichs Gerichte instanzenübergreifend seit Jahrzehnten. In Zukunft wird es zwischen Mietern und Vermietern weniger Streitereien geben. Das EWG bringt auch das Ende der klassischen Gastherme – und damit mehr Platz in Badezimmern und Abstellräumen.

Am Land ist der Umstieg vergleichsweise einfach. Der Kessel im Keller des Einfamilienhauses wird durch eine Wärmepumpe im Garten, idealerweise kombiniert mit Solarpaneelen am Dach, ersetzt. Komplizierter ist es im städtischen Bereich. In Wien können etwa 200.000 Wohnungen auf Dauer nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen werden. „Wir begrüßen das neue Gesetz grundsätzlich. Aber der Teufel steckt im Detail. Manche Dinge sind technisch kaum machbar“, sagt Christian Atzmüller, Geschäftsführer der Bundesinnung Metalltechniker in der Wirtschaftskammer. So sind nicht alle Heizkörper auf Fernwärme ausgelegt und müssen bei einer Umstellung ausgetauscht werden. 

Wenn der Hauptanschluss zur Fernwärme noch fehlt, ist der Aufwand bisweilen groß: Stemmarbeiten im Haus, neue unterirdische Rohrverlegungen, für die Straßen müssen aufgerissen werden. In Wien werden pro Jahr rund 20.000 Wohnungen ans Fernwärmenetz angeschlossen – in über 400.000 Wohnungen wird aktuell noch mit Gas geheizt. „Im letzten Jahr haben wir die Fernwärmeleitungen um die 45 Kilometer erweitert“, sagt Michaela Deutsch, Bereichsleiterin für Energiedienstleistungen bei Wien Energie. „Wir gehen davon aus, dass wir bis zu 60 Prozent an die Fernwärme anschließen können.“ Dies zahle sich eher in dicht bewohnten Gebieten aus. Anderswo sei der Wärmeverlust oftmals zu hoch. 

Im Keller des Karl-Seitz-Hofes in Floridsdorf hängt über dem Fernwärmeanschluss noch die gelbe Gasleitung. Manche Haushalte sind schon umgestiegen, andere nicht. „Diese Doppelinfrastruktur ist das teuerste und ineffizienteste von allem“, sagt Deutsch: „Es müsste eine gesetzliche Grundlage geben, dass ein Hauseigentümer alle seine Wohnungen umstellen kann. Sonst ist das 2040er-Ziel nicht zu halten.“ Aktuell rüstet Wiener Wohnen jede Wohnung um, die leer wird und in der schon ein Fernwärme-Anschluss vorhanden ist. Bestehende Mieter können allerdings nicht zum Umstieg gezwungen werden. 5000 Euro aufwärts kostet die Umrüstung auf Fernwärme pro Haushalt – je nachdem, wie viel erneuert werden muss. 

Fernwärme mag eine Lösung für die Zukunft sein, klimaneutral ist sie noch lange nicht. Nur rund ein Drittel der Energie kommt aus der Verbrennung von Müll und Biomasse. 60 bis 65 Prozent stammen noch immer aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die mit Erdgas betrieben werden. Bis 2030 will die Wien Energie diesen Erdgas-Anteil auf null zurückfahren. Die große Hoffnung ist dabei das Aderklaaer Konglomerat, ein gigantisches Vorkommen mit fast kochend heißem Wasser in rund 3000 Meter Tiefe. Dieses soll angezapft werden. 125.000 Wiener Haushalte will man so versorgen.

Insgesamt belaufen sich die notwendigen Investitionen für den Wechsel der Heizsysteme allein in Wien bis 2040 auf rund sechs Milliarden Euro, wie aus einer Studie des Wirtschaftsberatungsunternehmens Compass Lexecon im Auftrag der Wien Energie hervorgeht. Bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen? Der Staat? Die Eigentümer? Oder doch die Mieter?
Aus Sicht von Georg Niedermühlbichler, Ex-Bundesgeschäftsführer der SPÖ und soeben wiedergewählter Präsident der Mietervereinigung, ist  es klar: „Der Vermieter ist verantwortlich. Das Mietrecht ist eindeutig.“ Ein Zuschlag auf die Miete für die Umrüstung der Heizung sei ausgeschlossen.

Anton Holzapfel, Geschäftsführer des Österreichischen Verbands der Immobilienwirtschaft, meint, seine Branche wäre „bereit, das Gesetz anzunehmen“. Es sei aber unfair, dass ein Mieter langfristig die Vorteile aus geringeren Heizkosten lukriere, während der Vermieter die teure Umrüstung allein zu tragen hätte. Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) fordert „noch maßgebliche Änderungen“ am EWG, „um das Aus für Gasheizungen in Wien wirklich umfassend zu unterstützen“. Überdies seien Änderungen im Mietrechts-, Wohnungseigentums- und Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz notwendig.

Aus Sicht von Martin Prunbauer, Präsident des Zentralverbands Haus und Eigentum, führe kein Weg daran vorbei, die Mieterinnen und Mieter an den Kosten der Umrüstung zu beteiligen. Die Möglichkeiten sind allerdings begrenzt, da im streng regulierten Wohnungsmarkt Mieten nicht einfach erhöht werden können. Vielen Vermietern würde daher schlicht das Geld zur Finanzierung neuer Heizsysteme fehlen. Mieterschützer Niedermühlbichler weist das „Gejammere der Eigentümer“ zurück. Diese hätten aus ihren Mieterträgen genug Mittel zur Verfügung. 
Der Wiener Anwalt Reinhard Pesek, Spezialist für Immobilienrecht, erwartet als eine mögliche Folge des neuen Gesetzes eine Zunahme von Verfahren zur Erhöhung des Hauptmietzinses. Laut Gesetz kann ein Vermieter beim Bezirksgericht die Erhöhung der Mieten für größere Erhaltungsarbeiten beantragen. Allerdings muss er dafür präzise nachweisen, dass die erzielten Mieteinnahmen für die nötigen Investitionen nicht ausreichen. Insgesamt sieht Pesek einen politischen Zielkonflikt: „Klimaschutz und leistbares Wohnen sind nicht immer miteinander vereinbar.“

Abhilfe schaffen – zum Teil – Förderungen der öffentlichen Hand. Der Bund sponsert Privatpersonen mit 7500 Euro, wenn sie ihre Gasheizung gegen Fernwärme oder Biomasse austauschen. Einkommensschwache Haushalte dürfen mit einer kompletten Übernahme der Kosten rechnen. Auch die Bundesländer fördern den Heizungstausch – erwartungsgemäß mit neun verschiedenen Regelungen. 

Groß-Siegharts im niederösterreichischen Waldviertel. Der 38-jährige Videoproduzent Christian Pfabigan wollte mit Partnerin und Kindern schon früh „Teil der Energiewende sein“. 2020 installierte die Familie eine Solaranlage am Dach des Einfamilienhauses. Kostenpunkt: 11.000 Euro. Förderung: 2000 Euro. Der noch größere Schritt folgte im Frühjahr. Gastherme raus, Luftwärmepumpe rein. Anfang März, nur wenige Tag nach Ausbruch des Ukraine-Krieges, kam der Installateur erstmals vorbei. Ende März bestellte Pfabigan die Pumpe. Seit Anfang Mai steht sie unscheinbar im Vorgarten. Bereit für den Winter. Kostenpunkt: 30.000 Euro. Förderung: 10.000 Euro.

Luftwärmepumpen werden mit Strom betrieben und heben Wärme aus der Umgebungsluft auf Heizungstemperaturen – selbst bei Minusgraden. Es gibt auch Pumpen für Erd- oder Grundwasserwärme, die weniger Strom brauchen, aber teurer sind. In Wohnungen kommen Luftwärmepumpen wegen ihrer Größe und Lautstärke seltener zum Einsatz. Für Einfamilienhäuser sind sie hingegen die mit Abstand beliebteste Alternative zum Gas. 

Nach einem profil-Aufruf auf Twitter berichteten etliche Hausbesitzer vom Umstieg auf Wärmepumpen –  oder ihrem Scheitern. Die seit Kriegsbeginn hohe Nachfrage nach Pumpen treibt die Preise, verlängert die Lieferzeit und überlastet das Handwerk. Viele Installateure würden nicht mehr das Telefon abheben, schildern etliche User. „Wir haben vom Installateur gleich mal keine Antwort bekommen. Die Preise plus die Wartezeit haben uns für den Moment resignieren lassen“, schreibt eine Wienerin mit Einfamilienhaus im Kleingarten. Falls Putin das Gas im Winter komplett abdreht, hat sie Infrarotpaneele bestellt. „Nicht vor Februar 2023“, erwartet Brigitte S. aus Brunn am Gebirge ihre Wärmepumpe. Ein Fotograf aus Lockenhausen im Burgenland hat sie erst gar nicht bestellt. „20.000 Euro abzüglich der Förderungen, ich scheitere an der Summe.“

Christian Pfabigan stemmte die Investition in die Unabhängigkeit. Von seiner Therme im Heizraum bleiben nur Konturen an der Wand, der silberne „EVN-Gas“-Kasten vor dem Haus wird bald entfernt. „Wir haben seit Jahresbeginn knapp 1000 Gaskunden verloren“, sagt EVN-Sprecher Stefan Zach. „Der Großteil wechselt zur Wärmepumpe.“ 230.000 niederösterreichische Haushalte heizen aktuell noch mit Gas. In den Ballungsräumen ortet die EVN einen „totalen Boom“ Richtung Fernwärme. 

Anders als in Wien werden Fernwärmenetze in niederösterreichischen Städten meist nicht mit Müll oder Gas befeuert, sondern mit Hackschnitzel. Das Problem: Die Fernwärme versorgt meist nur die Ortskerne, Gewerbegebiete und dichter besiedelte Bereiche. Und für eine Erweiterung der Netze fehlt das Baumaterial. „Wir haben lange Wartezeiten für Leitungsrohre und technische Anlagenteile“, schildert Zach. Damit sich Netzerweiterungen rechnen, müssten außerdem genügend Abnehmer mitmachen. „Wir müssen immer wieder Kunden enttäuschen, die sagen, eure Leitung liegt doch gleich da drüben, schließt uns an. Doch oft geht das nicht. Weil die erforderliche Leitung am Ende doch recht lang wäre und die Kosten für den einzelnen Haushalt dadurch irre hoch.“ Entlang der bestehenden Leitungen schließe die EVN „extrem viele“ Kunden an.

In Oberösterreich zählt die Energie AG noch 43.000 Gaskunden. Die Linz AG ist mit ihrem Gas- und Fernwärmenetz ein weiterer großer Player. Wärmepumpen sind in Oberösterreich ein Renner. „Neue Gasanschlüsse für Häuser gehen gegen null. Wurden vor dem Ukraine-Krieg rund 150 Zähler pro Monat abmontiert, waren es im Mai 290“, schildert der Sprecher der Energie AG, Michael Frostel. Erstaunlich: Selbst neue, höchst effiziente Gasheizungen werden getauscht. 

Kaum eine Rolle in den Überlegungen des Klimaschutzministeriums spielt das sogenannte grüne Gas (Biogas aus der Vergärung organischer Stoffe, aber auch klimafreundlicher Wasserstoff, der aus Wind- und Sonnenenergie gewonnen wird). Für Haus- und Wohnungseigentümer wäre grünes Gas allerdings die billigste Variante, da es ohne Umrüstung in bestehende Gasnetze eingespeist werden könnte. „Diese Option ist im geplanten Gesetz durchaus zulässig. Eine Förderung gibt es aber nur, wenn die alte Gasheizung ganz entfernt wird. Das ist technologiefeindlich“, sagt Elisabeth Berger, Geschäftsführerin der Vereinigung Österreichischer Kessellieferanten. 

Die Ökobilanz von Biogas ist allerdings ziemlich durchwachsen. Um es in großer Menge zu erzeugen, müssten „Energiepflanzen“ wie Mais, Hirse oder auch Zuckerrübe extra dafür angepflanzt werden. Damit entsteht aber eine große Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Viele Klimaexperten mahnen deswegen zur sparsamen Nutzung. Sie empfehlen die Nutzung von Biogas vorwiegend für Bereiche, in denen sich Gas schwer ersetzen lässt, etwa in der Industrie. 

Auch die Stadt Wien will bei der Umrüstung der Haushalte nicht auf Biogas setzen. Wiens Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky meinte jüngst, grünes Gas sei „dafür zu wertvoll“ und werde „für industrielle Prozesse benötigt“. Das Land Salzburg investiert offensiv in die Entwicklung der Technologie.

Die große Herausforderung der Wärme-Wende besteht im Mikromanagement. Für jedes Gebäude, jede Straße, jede Siedlung muss ein maßgeschneidertes Heizsystem gefunden werden. „Das ist eine Herkulesaufgabe, aber die technologischen Lösungen liegen auf dem Tisch. Wir müssten nur beherzter an die Sache herangehen“, sagt Tobias Pröll, Professor an der Universität für Bodenkultur Wien.

Laut Klimaministerium müssen jährlich 70.000 Gasheizungen ausgetauscht werden, um 2040 die letzte Gastherme abzuhängen. Allein in Wien werden durchschnittlich 55 Wohnungen pro Tag von Gas auf Fernwärme umgestellt. Und auch Wärmepumpen kommen verstärkt zum Einsatz. Eine davon steht am Dachboden eines Genossenschaftshauses im 2. Wiener Gemeindebezirk. Am Dach selbst ist eine Solaranlage installiert, die zusätzlich Strom für die Pumpe liefert. Über die Kamine heizt die Wärmepumpe sechs der 21 Wohnungen. Die restlichen Wohnungen werden spätestens bei einem Mieterwechsel angeschlossen. Alle 8000 Wohnungen der Sozialbaugenossenschaft, die bisher noch auf Gas angewiesen sind, sollen bis 2040 zentral übers Dach geheizt werden.

Lieferengpässe bei Leitungen, Pumpen, Solarpaneelen: Auf manche Faktoren, die für das Tempo des Gas-Exits entscheidend sind, hat Österreich bedingt Einfluss. Der Ausstieg bis 2040 sei „ambitioniert, aber machbar“, heißt es aus dem Klimaschutzministerium. Haus- oder Wohnungseigentümer, die den Austausch ihrer Gasheizung verweigern, müssen mit Verwaltungsstrafen rechnen.

Beschlossen wird das Erneuerbare-Wärme-Gesetz voraussichtlich im Herbst. Ein Detail bleibt aber ungeklärt. Das Gesetz regelt zwar das Heizen mit Gas, allerdings nicht das Kochen. Wer will und über einen Anschluss verfügt, darf sein Schnitzel auch nach dem Jahr 2040 auf einem Gasherd brutzeln lassen.