Präsidentschaftswahl 86: Kurt Waldheim

Waldheim und die SA

Seine Wehrmachtskameraden können es nicht glauben, er selbst dementiert, doch die Akten sprechen eine klare Sprache: Kurt Waldheim war bei der SA und beim nationalsozialistischen Studentenbund.

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Zeleny, Leiter der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt, wollte die Dokumentenöffnung nicht versäumen. 40 Jahre lang war das Wehrstammbuch des Oberleutnants der Reserve Kurt Waldheim unter Verschluß im Kriegsarchiv gelegen. Zu Jahresanfang war es nach Weisung des Bundeskanzlers gemeinsam mit den Wehrmachtsunterlagen Kurt Steyrers in den Tresor des Generaldirektors des Staatsarchivs, Rudolf Neck, transportiert worden.

Jetzt, es war der 21. Februar, kürz nach elf Uhr vormittags, sollte das verstaubte Aktenstück zur Einsicht freigegeben werden. Waldheim selbst hatte, ohne zu zögern, profil die Einschau bewilligt. Zeleny und Neck beaufsichtigten die Dokumentenöffnung. Der VP-Präsidentschaftskandidat hatte seinen Büromitarbeiter Ferdinand Trauttmansdorff beigestellt. Viel war ja nicht zu erwarten. Höchstens Aufschluß über Waldheims Kriegseinsätze, Verletzungen, Beförderungen seine Einheiten. 

Mehr stand beim ersten Durchsehen tatsächlich nicht in dem 45seitigen Wehrstammbuch: Leutnant der Reserve 1949, Oberleutnant 1942, Kavallerieschule 1938, drei Typhusimpfungen 1939. 

Doch dann gab es noch ein Zweites angeheftetes Dokument: die Wehrstammkarte.

Datum der Erfassung: 2. Juni 1939. Geburtsjahr: 1918. Familienname: Waldheim. Vorname: Kurt. Erlernter Beruf: Student jus. Beruf des Vaters: Bezirksschulinspektor i. R. Fremdsprachen: engl, franz., ital., latein. Und: Zugehörigkeit zu Gliederungen usw. siehe Anleitung: SA., N.S.D.StB. Eintritt: 1938. 

Ferdinand Trauttmansdorff erblaßte.

Sechs Stunden später wurde Waldheim in seinem Büro mit der Eintragung in der Wehrstammkarte konfrontiert. Er dementierte, sagte, er könne sich das nicht erklären. Er sei nie beim Studentenbund und nie bei der SA gewesen. Er sei während seines Studiums an der Konsularakademie oft ausgeritten. Vielleicht seien unter den Reiterkameraden SAler gewesen, und daraus sei der Schluß gezogen worden, daß er auch dazugehöre.

Gerüchte gab es schon vor mehr als 15 Jahren. Damals; im Oktober 1970, hatte sich Waldheim entschlossen, gegen den amtierenden Bundespräsidenten Franz Jonas zu kandidieren. Und bereits damals begannen nationale Kreise zu zündeln. „Ist die ÖVP bereit“, fragte das freiheitliche „Salzburger Volksblatt“ am 24. Oktober 1970, „in aller Öffentlichkeit zu dementieren, daß Kurt Waldheim bei einer SS-Reiterstandarte in Wien gewesen ist?“ Der einzige, der reagierte, war der ÖVP-Bundesrat Hans Heger, ein Jugendfreund des Kandidaten: „Einer SS-Einheit gehörte er nie an, war auch keiner solchen etwa zur Dienstleistung zugewiesen.“ 

Danach war Ruhe im Land. Waldheim unterlag im April 1971 Jonas, wechselte 1972 als UN-Generalsekretär nach New York und blieb dort zehn lange Jahre. Selten war von seiner Zeit im Dritten Reich die Rede, nur in Randbemerkungen spöttischer US-Kommentare: „Er hat nichts von Bedeutung getan, außer nachgiebig zu allen Ankommenden zu sein, angefangen bei den Nazis, denen er im Zweiten Weltkrieg diente“ (Joseph Kraft in der „Washington Post“). Erst der Entschluß des gebürtigen Niederösterreichs, sich neuerlich um das Präsidentenamt zu bewerben, brachte seine Vergangenheit wieder ins Spiel: Im Herbst vergangenen Jahres, anläßlich der Vorstellung des Waldheim-Prominentenkomitees im Wiener Presseclub „Concordia“ fragte der frühere „stern“-Reporter Georg Karp, ob die Proponenten wüßten, wie Waldheims 1944 verfaßte Dissertation laute und daß er beim nationalsozialistischen Studentenbund gewesen sei.

Kurze Zeit später erhielt profil ein Foto von der 1. Mai-Feier 1938 auf dem Wiener Heldenplatz. Der junge Mann in der ersten Reihe als zweiter von links vor einer Hakenkreuzfahne, mit Pumphose, weißem Hemd und Armbinde, sei der junge Waldheim, behauptete der Informant. Kurt Waldheim, den wir mit dem Bild aus dem Nachlaß des Fotostudios „Hilscher“ (Wien 1, Schmerlingplatz 3) konfrontierten, erkannte sich nicht wieder. Tatsächlich gab es Ähnlichkeiten zwischen dem Präsidentschaftskandidaten und dem jungen Nationalsozialisten, zwingend waren sie aber nicht. Kurz danach erschien in der Grazer „Aula“, einer extrem rechten, nationalen Monatsschrift, eine Waldheim-Karikatur anläßlich der Auseinandersetzung zwischen dem Kabarettisten Hans-Peter Heinzl und dem national-freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Otto Scrinzi um das Lied „Der Kandidat“. Sie zeigte Waldheim als strammen SA-Reiter. Untertitel: „Den Scrinzi hat er (Heinzl, Anm. d. Red.) nicht gemeint, da bleibt nur einer, wie es scheint.“

Die Kette der NS-lastigen Gerüchte, die Sozialisten und Freiheitliche nährten, riß nicht ab: Waldheim sei Adjutant des Chefs der Heeresgruppe E, Alexander Löhr, gewesen. Und Löhr wurde nach dem Krieg in Jugoslawien hingerichtet. Der Ex-UN-Generalsekretär sei auch rechte Hand des Kosaken-Generals Hellmuth von Pannwitz gewesen. Dieser wurde von den Sowjets gehängt. All das schien Methode zu haben: Weil Pannwitz Regiment im März 1945 der Waffen-SS eingegliedert wurde, fand sich Waldheim plötzlich in unmittelbarer Nähe der Schutzstaffeln wieder. Daß sich Pannwitz und Waldheims Wege bereits Weihnachten 1941 schieden, wurde nicht erzählt. Höhepunkt der Propaganda: Demnächst würde in einer amerikanischen Zeitung belastendes Material über den VP-Kandidaten erscheinen, mit Fotos von Säuberungen und Erschießungen. All das zeitlich so platziert, daß Waldheim nicht mehr rechtzeitig dementieren könne und als brauner Bomber die Wahl verlieren würde.

Tatsächlich gibtes einen Mann, der Kurt Waldheims Vorleben gut und gern ein Jahr lang recherchierte: ein freier österreichischer Journalist, der behauptet, das ausgekundschaftete Material einer amerikanischen Zeitung verkauft zu haben. Im übrigen, so sagt dieser Mann, habe er nicht im Auftrag der SPÖ gehandelt. Was er zutage gebracht habe, sei für Waldheim eine Katastrophe.

Kurt Waldheim hat es sich auch selbst zuzuschreiben, wenn seine Vergangenheit zum Wahlkampfthema wird. Seine bisherigen Aussagen waren oft unvollständig, ungenau, manchmal auch falsch. In einem Interview mit dem Hamburger „Spiegel“ sagte Waldheim 1972: „Schon 1941 wurde ich verwundet und war fortan nicht mehr kriegsdienstverwendungsfähig.“ An dieser Aussage stimmt nur die Verwundung. Der Rest ist einfach nicht wahr. In einer Wahlkampfbroschüre (Nr. 2/1986) gab er zu Protokoll: „Nach meiner Kriegsverletzung bin ich lange Zeit nicht frontfähig gewesen. Das gab mir die Möglichkeit, mein Rechtsstudium 1944 mit einer Dissertation abzuschließen.“ Tatsächlich rückte Waldheim bereits drei Monate nach seiner Verwundung zur Wehrmacht ein. Auch in seiner Autobiographie „Im Glaspalast der Weltpolitik“ suggeriert der heute 67jährige eine Weltkriegsabsenz: Nach seiner Verwundung habe es „noch mehrere Monate“ gedauert, bis der Fuß richtig heilte, „trotzdem hinkte ich arg und wurde für nicht fronttauglich erklärt. Ich stellte einen Antrag auf Studienurlaub, um mein Rechtsstudium abzuschließen. Zu meiner Überraschung wurde das Gesuch bewilligt.“ Daß er bereits Ende März 1942 zum Armeeoberkommando 12 nach Saloniki versetzt wurde und erst im November des selben Jahres einen Studienurlaub erhielt (bis März 1943), erwähnt Kurt W. mit keinem Wort.

Kurt Waldheim beschreibt sich obendrein als „politisch unzuverlässig“. Waldheim: „Jemand, der wie ich als politisch unzuverlässig galt, hätte als mittelloser Wehrpflichtiger nicht die geringste Chance gehabt, das Land zu verlassen. Außerdem brachte die Wehrmachtsuniform für meinen Bruder und mich einen gewissen Schutz vor der Geheimen Staatspolizei.“ Montag vergangener Woche war Waldheim in einem ausführlichen profil-Gespräch bereit, detailliert Auskunft zu geben. Immerhin müßte er den im Wehrstammbuch dokumentierten Vorwurf entkräften, er sei 1938 Mitglied der SA und des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes geworden.

Waldheims schriftliche Antwort:

  • „Die in der ‚Wehrstammekarte‘ enthaltenen Eintragungen über meine angebliche Zugehörigkeit zu NS-Organisationen entsprechen nicht den Tatsachen. Ich habe keiner der Organisationen angehört.
  • Ich nahm während meiner Studienzeit vereinzelt an Reitsportveranstaltungen der damaligen Konsularakademie teil, was keinerlei Mitgliedschaft zu derartigen Organisationen bedingte.“

Demgegenüber stehen in österreichischen Ministerialakten Waldheims Eintrittsdaten in die beiden NS-Organisationen.

Danach ist er am 1. April 1938, also nur wenige Tage nach dem Anschluß, dem NS-Studentenbund beigetreten. Am 18. November 1938 wurde er in die SA aufgenommen. In die Reiterstandarte 5/90. Das war der 5. Sturm der Reiterstandarte 90. Eine irrtümliche Eintragung Waldheims in die NS-Studentenbund-Liste halten ehemalige Studentenfunktionäre wie das frühere Mitglied der Gau-Studentenführung Robert Katschinka für wenig wahrscheinlich: „Das kann man sich kaum vorstellen, aber denkbar ist es schon in einer so wirren Zeit.“

Wenig plausibel scheint auch eine irrtümliche Mitgliedschaft bei der SA zu sein. Zitat aus dem Organisationshandbuch der NSDAP über die Aufnahmebedingungen:

„Das 18. Lebensjahr muß vollendet sein, charakterlich einwandfrei und willens, sich für die Idee des Führers und die Aufgaben der SA. aus Idealismus und Selbstlosigkeit bis zum letzten einzusetzen. Nachweis der arischen Abstammung. (Nach den Bestimmungen der NSDAP). Würdig zur Aufnahme in die NSDAP. Nachweis der deutschen Reichsangehörigkeit. Körperlich geeignet für alle Anforderungen des SA.-Dienstes. Einwandfreier Leumund, keine Vorstrafen. 

Der Vorgang bei der Aufnahme ist folgender: Der Freiwillige meldet sich zunächst bei dem Führer des SA.-Sturmes, der in seinem Stadtviertel, seinem Wohnort oder seinem Bezirk seinen Standort hat. Vor dem Sturmführer stellt er den freiwilligen Antrag um Aufnahme in die SA durch Ausfüllung des SA.-Aufnahme- und Verpflichtungsscheines. Sind die Aufnahmebedingungen erfüllt, erfolgt die Aufnahme. in die SA. als SA.-Anwärter durch den Sturmführer. 

Nach Ableistung einer Anwärterzeit von sechs Monaten (in besonderen Ausnahmefällen bereits nach kürzerer Zeit) und erfolgreicher Ablegung einer Anwärterprüfung erfolgt die endgültige Aufnahme in die SA. als SA.-Mann.“

Aufgabe der Reiter-SA laut Organisationshandbuch:

„Als Hauptstütze des Nationalsozialistischen Reiterkorps (NSRK.) obliegt der SA.-Reiterei die Reit- und Fahrausbildung der deutschen Jugend vor der militärischen Dienstzeit sowie die reiterliche Fortbildung der bereits gedienten Männer. Die SA.-Reiterei pflegt ferner den Reit- und Fahrsport innerhalb der SA.“

Im Mai 1938, also genau in jenen Tagen, als Waldheim den Richtlinien entsprechend SA-Anwärter geworden sein muß, wurde die SA-Reiterei auf Befehl des Obergruppenführers Hermann Reschny umgegliedert in sechs Standarten im Gruppenbereich Österreich. In Wien wurde die Reiterstandarte 90 aufgestellt mit sechs Stürmen. Im fünften war Kurt Waldheim. Sitz der Reiterstandarte war die Schüttelstraße 19 im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Zu den verbrecherischen Organisationen wie die SS wurde die SA nie gezählt. Zitat aus dem Urteil des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses: 

„Bis zu der am 30. Juni 1934 eingesetzten Säuberung war die SA zum großen Teil eine aus Raufbolden und Draufgängern zusammengesetzte Gruppe, die an den Nazi-Ausschreitungen in dieser Zeit teilnahmen. Es ist jedoch nicht dargetan worden, daß diese Roheitsakte Teil eines besonderen Planes zur Führung eines Angriffskrieges waren und der Gerichtshof ist daher nicht der Meinung, daß diese Tätigkeit verbrecherisch im Sinne des Statutes war. Nach der Säuberung war die SA auf den Stand einer unbedeutenden Nazi-Anhängergruppe zurückgegangen... Aus diesen Gründen sieht der Gerichtshof davon ab, die SA als eine im Sinne des Artikels 9 des Statutes verbrecherische Organisation zu erklären.“

Innerhald der NSDAP hatten die SA-Reiter keinen besonderen Ruf. Der ehemalige Gau-Studentenführer von Wien, Hubert Freisleben: „Wer bei einer solchen SA-Teilorganisation war, wurde als nicht sehr aktiv beurteilt. Die waren dabei, damit sie irgendwo dabei waren. Wenn jemand reiterlich war, ist er halt dort hingegangen. Die zählten nicht zu den Engagiertesten.“

Reiterlich war Kurt Waldheim schon lange. Er war im Herbst 1936, nach der Matura in Klosterneuburg, zum Dragonerregiment 1 in Stockerau eingerückt. In ein Traditionsregiment aus k. u. k. Zeiten mit elitärem Ruf. Kurt Waldheim stammt aus einer christlich-sozialen Familie. Sein Vater Walter, ehemals Direktor an der Knabenbürgerschule Wieselburg, war seit 1924 Bezirksschulinspektor in Tulln, zuerst provisorisch, ab 1928 definitiv. Der Sohn war Mitglied der katholischdeutschen Mittelschulverbindung „Comagena“ in Tulln und beim „Jungvolk“. Die Familie war immer anti-nationalsozialistisch. Waldheim selbst erzählt, und schreibt, daß er immer wieder mit Nazis aneinandergeraten sei. Er sei kurz vor dem Anschluß beim Verteilen von Flugblättern erwischt „und erheblich zusammengeschlagenworden“. 

Das war auch der Gauleitung Niederdonau bekannt, die noch 1940 über ihn festhielt: Er sei wie sein Vater „ein Anhänger des Schuschnigg-Regimes“ gewesen und habe „in der Systemzeit durch Angeberei seine Gehässigkeit zu unserer Bewegung unter Beweis gestellt“. Vater Waldheim bekam die Konsequenzen unmittelbar nach dem Anschluß zu spüren. Er wurde laut Vermerk der Parteileitung als Bezirksschulinspektor durch den Fachlehrer Lothar Eyer ersetzt. So erging’s mit zwei Ausnahmen allen Bezirksschulinspektoren in Niederösterreich. Walter Waldheim, erzählt Kurt, war von der Gestapo verhaftet worden. Die Gauleitung Niederdonau versetzte ihn in den Ruhestand.

Kurt Waldheim war zu dieser Zeit Student. Er hatte im Wintersemester 1937/38 an der Universität Wien Jus inskribiert und war seit September 1937 externer Hörer an der Konsularakademie in der Boltzmanngasse. Die Vorlesungen begannen dort am Donnerstag, den 7. Oktober, um 8 Uhr früh. Studiengebühr: 800 Schilling pro Jahr.

Waldheim war ein außerordentlich guter Student. Zitat auseinem Aktenvermerk der Konsularakademie vom 8. März 1939: „Kurt Waldheim, ordentlicher Hörer der Konsularakademie (2. Jahrgang), hat von den zehn Prüfungen des ersten Jahrgangs die Hälfte mit ausgezeichnetem, den Rest mit gutem und genügendem Erfolg abgelegt. Die diesjährigen Prüfungen aus Dogmengeschichte der politischen Ökonomie, Sozialpolitik und Konsularwesen hat er. mit Auszeichnung bestanden. Er ist überdurchschnittlich begabt, wissenschaftlich sehr interessiert und eifriger Besucher der Vorlesungen.“ Seine Studienerfolge brachten ihn sogar in die engere Auswahl einer Förderungsaktion des „Studentwerkes Wien“, das am 24. Juni 1938 der Akademieleitung schrieb: „Besonders begabten Kameraden steht die Reichsförderung offen. Sie stellt eine Spitzenförderung dar, und ihre Aufgabe ist es, außerordentlich befähigte Studenten, die ihren politischen Glauben durch Einsatz unter Beweis gestellt haben, in ganz besonderem Maß zu fördern.“ Waldheim war einer von acht von der Akademiedirektion namhaft gemachten Kandidaten, kam aber nicht in den Genuß der Förderung.

Zu dieser Zeit war Waldheim laut Aktenlage bereits Mitglied des NS-Studentenbundes und mutmaßlich SA-Anwärter. Waldheim über diese Zeit: „Es hat in der Konsularakademie einen Tennisclub gegeben, eine Reitergruppe, eine Motorradgruppe. Und nachdem ich ja bei der österreichischen Kavallerie im Jahr 1936 als Einjährig-Freiwilliger gedient habe und weil ich mein Studium ungehindert fortsetzen wollte, habe ich mich eben mit dem Reitsport beschäftigt. Das war jedenfalls eine völlig harmlose Angelegenheit, die nichts mit irgendeiner Mitgliedschaft zu tun hatte. Wir waren alle ohne Uniform und sind dort eben geritten. Das war im Prater, es waren vielleicht drei oder vier Leute, die das gemacht haben.“ Mit der Studentenbund-Mitgliedschaft sei das nicht anders. Waldheim: „Das muß damit zusammenhängen. Das muß irgendein eifriger Mann oder eine Frau ich weiß ja nicht, wer das getan hat eingetragen haben. Das muß man überprüfen. Wieso das ins Wehrstammbuch kommt, kann ich nicht überprüfen.“

Und Waldheims Büroleiter Peter Marboe: „Hier ist irgendetwas nicht in Ordnung. Da ist möglicherweise eine riesige Schweinerei dahinter.“ Tatsächlich sind auf der Wehrstammkarte zwei Schriften zu erkennen. Doch das, sagen Historiker, sei nichts Außergewöhnliches. Noch etwas spricht gegen eine Fälschung: In der Nazi-Zeit wurde die Sturmabteilung mit SA. abgekürzt. In der Gegenwartsliteratur wird auf den Punkt verzichtet: Kürzel in der Wehrstammkarte: SA.!

Der Anschluß machte jedenfalls vor der Konsularakademie nicht halt. Alle jüdischen Studenten wurden entfernt (16. Mai 1938). Am 20. April 1938 dankte der Akademiedirektor Generalkonsul Friedrich Hlavac von Rechtwall anläßlich des Führer-Geburtstages in bewegten Worten, daß Österreich endlich heim ins Reich geholt wurde. Kurt Waldheim stand in der Gunst des Akademiedirektors. Als er sich im Mai 1939 für ein Italien-Stipendium bei der Akademischen Auslandssielle Wien Leiter war das Mitglied der Gau-Studentenführung Robert Katschinka bewarb, war ihm ein Empfehlungsschreiben vor Hlavac sicher: Waldheim, so der Direktor am 6. Mai 1939, habe eine „sehr gute“ Seminararbeit über das Thema ‚„Presse- und Propagandawesen“ geliefert. Das zweite Referenzschreiben stammte vom Hauptschriftleiter der „Amtlichen Wiener Zeitung“, Lambert Haiböck, der nebenbei auch an der Akademie Vorlesungen hielt. Haiböck am 11. Mai 1939 über Waldheim: „Er verkörpert den Studententyp unserer Zeit und unseres Landes in guter Weise.“

Der Widerständler von 1937 hatte sich offenbar arrangiert. Entweder aus Karriere-Opportunismus oder aus Schutz vor weiteren Verfolgungen. Die italienische Reise kam nicht mehr zustande. Waldheim rückte bei der Aufklärungsabteilung 45 der 45. Infanteriedivision ein. Er leitete im Rußlandfeldzug den ersten Zug der Reiterschwadron. Leiter der Aufklärungsabteilung war Hellmuth von Pannwitz, ein preußischer Offizier. Chef der Reiterschwadron war Hans Kwisda. Kwisda über Wäldheims SA-Mitgliedschaft: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist mir. unverständlich.“ Nazis seien in seinem Regiment höchst unbeliebt gewesen. Kwisda über Waldheim, seinen Stellvertreter im Rußlandfeldzug: „Er war ein ganz normaler, anständiger Soldat. Man kann sagen, er war strebsam, aber kein Streber.“

Waldheim hatte immer wieder heikle Aufträge zu erfüllen aber nie gegen Partisanen. Das tat die nachrückende SS. Mitte. Dezember 1941 wurde der Leutnant der Reserve, Kurt Josef Waldheim, durch Granatsplitter am rechten Knöchel verletzt. Eine Sepsis war die Folge, Waldheim wurde nach einigen Tagen mit einer Ju-52 nach Frankfurt/Oder ausgeflogen und kehrte von dort nach Wien zurück. Am 24. März 1942 rückte er beim Armeeoberkommando 12 (ab 1: Jänner 1943 Heeresgruppe E) ein.

Als Ordonnanzoffizier des Icin Saloniki: „Dieser“, erläutert Waldheim, „hat da jeweilige Feindbild erarbeitet. Wir haben Meldungen sortiert und dem Chef vorgelegt.“ Die Heeresgruppe E war Besatzungmacht und zuständig für Kreta, Serbien und Kroatien. Vordringliche Aufgabe: Partisanenbekämpfung. Im November 1942 wird Waldheim ein Studienurlaub bewilligt. Er wohnt bei seinen Eltern, die mittlerweile nach Baden übersiedelt sind, arbeitet an seiner Dissertation „Die Reichsidee bei Konstantin Frantz“ und kehrt am 31. März 1943 nach Saloniki zurück. 

Der Oberleutnant der Reserve schließt im Sanatorium Wolfsbergkogel am Semmering seine Dissertation ab. Ende April ist er wieder bei seinem Stab. Im Frühjahr 1945, erzählt er, wird er zu einer Infanteriedivision bei Triest versetzt und schlägt sich am Ende des Krieges zu seiner Frau in die Ramsau durch.

Nach einem vierwöchigen Aufenthalt in einem US-Lager bei Bad Tölz meldet sich Kurt Waldheim, mittlerweile Doktor juris, bei seiner Dienststelle in Wien. Dem Oberlandesgericht Wien. Dort wird er seit 1940 als Rechtsanwaltsanwärter geführt. Waldheim wird dem VP-Außenminister Karl Gruber, einem Widerständler, als Sekretär zugeteilt. Irgendwann zum Jahreswechsel 1945/46 wird Gruber mit Gerüchten konfrontiert, daß Waldheim eine Nazi-Vergangenheit habe. Gruber schaltet sofort den sozialistischen Innenminister Oskar Helmer und die Staatspolizei ein. Gruber: „Helmer hat mir mitgeteilt, daß es gegen eine Anstellung Waldheims keinen Einwand gibt.“ Tatsächlich wurde Kurt Waldheim Ende Jänner/Anfang Februar 1946 nach einer Anzeige entnazifiziert. Er selbst verteidigte sich damals, daß seine SA-Mitgliedschaft nur sportlichen Aktivitäten gedient habe. Ansonsten legte er Schreiben des Bürgermeisters von Tulln, der lokalen SP- und VP-Führung vor, die ihm und seiner Familie die antinazistische Haltung bestätigten.

Waldheim auf die Frage, wozu er diese Schreiben benötigt habe: „Das war im Zusammenhang mit den Gruberschen Überprüfungen.“ Und: „Wir sind übersiedelt, wir waren nicht mehr in Tulln ansässig. Wenn man sich erinnert, was sich damals in den Nachkriegsjahren zugetragen hat, vor allem 1945/46, so weiß man, daß diese Unterlagen sehr wichtig waren. Für jeden damals.“

Aus dem Archiv (profil 10/1986)