Vizekanzler Werner Kogler

Werner Kogler: "Die Republik ist auf Grüne in der Regierung noch nicht eingestellt"

Werner Kogler will nicht Vizekanzler genannt werden, hält Kritik an der grünen Performance für eine Twitter-„Blasenentzündung“ und ist stolz auf die geplante Ökologisierung des Steuersystems.

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INTERVIEW: EVA LINSINGER, ROSEMARIE SCHWAIGER

profil: Vor einem Jahr haben wir uns zu einem Gespräch im Volksgarten getroffen. Sie hatten ein Stoffsackerl mit einem Hemd zum Wechseln dabei, kein Büro und so gut wie keine Mitarbeiter. Jetzt sind Sie Vizekanzler. Wie verkraftet man so eine Veränderung in so kurzer Zeit? Kogler: Damals hatte ich zwei Sackerl dabei, eines mit Hemd und eines mit Unterlagen. Ich hätte immer noch lieber mein Büro im Café Eiles.

profil: Kann man von dort aus regieren? Kogler: Den halben Tag schon. Aber ich will die Beachtlichkeit der Geschichte gar nicht abstreiten. Innerhalb von zwei Jahren sind wir erst aus dem Nationalrat geflogen, dann wussten wir ein Jahr lang nicht, wie es weitergeht, dann hatten wir zwei Wahlkämpfe, und die Regierungsverhandlungen waren auch nicht harmlos. Andererseits war das alles so intensiv, dass mich das hier jetzt nicht besonders flasht.

profil: Joschka Fischer, Ihr deutscher Parteikollege, hat einmal gesagt, die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauere länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt. Können Sie dem beipflichten? Haben Sie sich schon verändert? Kogler: Klingt schlau. Ich merke noch keine Veränderungen. Wir müssten in zwei Jahren darüber reden – wenn die Regierung so lange hält. Aber davon gehe ich aus. Wissen Sie, ich fremdle mit den Begriffen „Amt“ und „Vizekanzler“. Das klingt ähnlich barock wie die Bude, in die sie mich setzen wollten und in der auch der Strache gesessen ist.

profil: Das Wort Vizekanzler mögen Sie auch nicht? Wie soll man Sie sonst nennen? Kogler: Wenn’s sein muss. Minister reicht völlig. Diese Titelwirtschaft wie zum Beispiel ‚Herr Vizekanzler’ ist in Österreich schon besonders ausgeprägt.

profil: Die Regierung hat gerade ihre Pläne für eine ökologische Steuerreform konkretisiert. Greenpeace beschwert sich, dass der Zeitplan zu wenig konkret sei. Wie zufrieden sind Sie? Kogler: Der Zeitplan ist fix: Die ersten Maßnahmen starten am 1.1.2021. Diese Zeit werden wir brauchen.

profil: Aber ist die Einsetzung einer Taskforce nicht ein bisschen wenig für die Rettung der Welt? Kogler: Wir drehen in Summe ein richtig großes Rad, das wird die erste ökologische Umsteuerung. Die Flugticketabgabe wird die Welt nicht herausreißen, aber sie ist immerhin ein positives Signal, wenn gleichzeitig der Öffi-Verkehr billiger wird. Darüber hinaus wird es ein Antidumpingpaket für die Billigfluglinien geben. Die Normverbrauchsabgabe wird abgasarme Autos relativ billiger machen und die großen Dieselstinker spürbar teurer. Wir werden die Lkw-Maut so weit ökologisieren, wie das im EU-Recht möglich ist. Es war nicht einfach, die ÖVP davon zu überzeugen. Den Lkw-Tanktourismus kann man vermutlich auch mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen eindämmen. Sonst muss man andere Schritte setzen. Früher oder später würde das dann zur Aufhebung des Dieselprivilegs führen.

Insgesamt müssen wir halt damit leben, dass die ÖVP gefühlt schon seit dem Zweiten Weltkrieg regiert.

profil: Weiß das die ÖVP schon? Kogler: Sicher.

profil: Und ist sie einverstanden? Kogler: Das ist ja eine Frage der Alternativen. Man kann die Lkw auch daran hindern, von der Autobahn abzufahren. Dann müssen sie den teureren Diesel halt dort tanken. So, dann haben wir noch das Pendlerpauschale, das man komplett ökologisch umbauen kann. Und bei diesen ganzen Firmenautoflotten geht auch total viel.

profil: Die ÖVP ist fast drei Mal größer als die Grünen. Wie stark lässt man Sie das spüren? Kogler: Wir haben in den Kabinetten erst ein Drittel oder Viertel der Leute, die wir brauchen. Dafür sind wir nicht schlecht unterwegs. Insgesamt müssen wir halt damit leben, dass die ÖVP gefühlt schon seit dem Zweiten Weltkrieg regiert …

profil: Genau genommen seit 1987. Kogler: Ja eh. Früher hab ich an dieser Stelle immer gesagt, die ÖVP regiert gefühlt seit den Babenbergern.

profil: Und von dieser ÖVP-Maschinerie werden die Grünen jetzt überfahren? Kogler: Mag sein, dass es für manche so wirkt. Ich scrolle ja auch gelegentlich durch die Twitter-Blase …

profil: Da sind nicht alle glücklich mit der Performance der Grünen. Kogler: Da muss man locker bleiben. In dieser Twitter-Blase entzünden sich viele Diskussionen. Für mich hat der Begriff Blasenentzündung eine ganz neue Bedeutung bekommen. Aber wenn man einen Schritt vor die Tür auf den Gehsteig setzt, ist das gleich ganz anders. Trotzdem nehme ich die Kritik ernst, ich führe diese Debatten auch teilweise. Morgen fahre ich nach Tirol und diskutiere mit vielen Mitgliedern.

profil: Ein Punkt, den die Tiroler kritisieren, ist der Umgang der Grünen mit dem Thema Sicherungshaft. Der sei „schwer zu verdauen“, schrieb der Innsbrucker Gemeinderat Dejan Lukovic. Kogler: Ich weiß eben nicht, was letztlich bei ihm angekommen ist. Man muss unterscheiden, ob man da mit einer Verfassungsänderung loslegt oder einmal schaut, was im Rahmen der Verfassung sinnvoll ist.

profil: Eine Verfassungsänderung wird es mit den Grünen nicht geben? Kogler: Ich meine Nein. Aber gemessen an dem, was wir sonst alles tun, ist diese Diskussion völlig übertrieben.

Allein die vielen Maßnahmen für den Klimaschutz gibt es nur, weil die Grünen in der Regierung sind.

profil: Die Kritik fällt auch deshalb hart aus, weil sich alle vorstellen können, welche geharnischten Presseaussendungen die Grünen früher zu dem Thema gemacht hätten. Kogler: Da kann ich helfen, ich hab selber eine gemacht. Ich hab geschrieben, der Kickl sei dabei, eine Art Kollektivhaft für ganze Gruppen einzuführen. So klang der Plan damals auch. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir von in Holland hören: Wenn jemand schon zwei, drei Mal verurteilt wurde, wieder einreist, einen Asylantrag stellt, gleichzeitig Drohungen ausspricht und keine anderen Paragrafen helfen, dann kann man eine vorübergehende Haft anordnen. So etwas kommt vielleicht ein Mal in einer Legislaturperiode vor. Also bitte schön: Alle auf dem Boden bleiben.

profil: Die ÖVP war in den ersten drei Regierungswochen mit ihren Themen einfach sehr präsent. Man konnte das Gefühl haben, es wird Türkis-Blau fortgesetzt, nur halt mit einem anderen Koalitionspartner. Kogler: Aus meiner Sicht waren das oft nur Leuchtraketen, die von der ÖVP abgeschossen wurden.

profil: Gut, aber grüne Leuchtraketen gab es nur wenige. Kogler: Würde ich nicht sagen. Allein die vielen Maßnahmen für den Klimaschutz gibt es nur, weil die Grünen in der Regierung sind. Und das Transparenzpaket wird ganz groß.

profil: Alle Regierungsparteien bisher haben sich bemüht, wichtige Jobs mit den eigenen Leuten zu besetzen. Im Verfassungsgerichtshof ist aktuell eine Stelle frei. Werden Sie darauf pochen, dass ein Grüner sie bekommt? Kogler: Ich glaube, es wäre günstig, diese Stelle mit einer sehr gut geeigneten Frau zu besetzen. Egal, ob sie ein grünes Parteibuch hat oder nicht.

profil: Das heißt, Sie haben schon eine Kandidatin im Auge? Kogler: Nein, aber wir werden das nicht der ÖVP allein überlassen, sondern auch Vorschläge machen.

Ich bin nicht einer, der herumrennt und kontrolliert, wer aufgrund von FPÖ-Connections Karriere gemacht hat.

profil: Wäre Eva Plaz eine Idee? Kogler: Ich rede nicht über Namen. Ein anderes Beispiel: Wir waren strikt gegen Generalsekretäre als parteipolitische Aufpasser. Aber wir haben bei uns im Ministerium Eva Wildfellner zur Generalsekretärin gemacht. Das war gescheit, sie koordiniert die sehr unterschiedlichen Sektionen, sie ist eine junge dynamische Frau. Ich habe sie nicht gefragt, ob sie ein Parteibuch hat. Und wissen Sie was: Sie hat sogar eines, aber kein grünes.

profil: In etlichen Ministerien sitzen von der FPÖ installierte Sektionschefs mit Schmissen. Halten Sie es für notwendig, sie auszutauschen, um regieren zu können? Kogler: Das werden wir uns anschauen. Ich bin nicht einer, der herumrennt und kontrolliert, wer aufgrund von FPÖ-Connections Karriere gemacht hat. Aber wir werden beobachten, wer wie arbeitet. Es muss ja nicht alles schlecht sein, nur weil es blaue Postenbesetzungen gab.

profil: Wenn der Vorsitz des ORF-Stiftungsrates vakant wird: Würde das die Grünen interessieren? Kogler: Ich bin jedenfalls daran interessiert, dass der Stiftungsrat dazu beiträgt, den öffentlich rechtlichen Rundfunk zu erhalten und zu stärken. Da hat die ÖVP sicher andere Vorstellungen. Der Vorsitz des Stiftungsrates hat keine besonderen Kompetenzen, ist aber vom Außenauftritt her wichtig. Da gilt dasselbe wie für den Verfassungsgerichtshof: Ich werde sicher nicht herumrennen und nach dem Parteibuch Ausschau halten.

profil: Interims-Kunstministerin Karoline Edtstadler hat Christian Konrad aus dem Albertina-Kuratorium abberufen. Warum tragen die Grünen die Abberufung mit? Kogler: Damit habe ich mich noch nicht eingehend beschäftigt, für mich ist das auch alles neu. Ich werde mich der Sache aber zeitgerecht annehmen.

profil: Kommen wir zum Auftritt der Regierung. Gerhard Schröder hat zur rot-grünen Koalition gesagt: Der Größere ist Koch, der Kleinere ist Kellner. Sehen Sie die Rollenverteilung zwischen Sebastian Kurz und Ihnen so? Kogler: Ich kenne viele Koch-Kellner-Vergleiche und auch Witze – aber in einer Koalition Koch und Kellner? Das Bild sehe ich für eine Regierung nicht.

profil: Die Kommunikationsberaterin Heidi Glück meinte, ÖVP und Grüne gehen miteinander um wie zwei Igel, die Liebe machen. Kogler: Das wäre mir jetzt auch noch nicht eingefallen. Ist nicht unwitzig, aber das will ich mir jetzt auch nicht vorstellen. Vom Liebesleben der Igel weiß ich nichts.

profil: Welches Bild würden Sie wählen? Kogler: Diese Koalition ist für die Republik strategisch hochwichtig – denn die Alternative wäre eine ÖVP-Minderheitsregierung mit blauer Duldung, gefolgt vom raschen Wiedereintritt der FPÖ in die Regierung. Dagegen entsteht Türkis-Grün aus einem Motiv der Verantwortung. Da habe ich gar keinen Bedarf nach einem Bild.

profil: Wie ist das Arbeitsverhältnis zwischen Sebastian Kurz und Ihnen – freundschaftlich, Vater-Sohn? Kogler: Vater-Sohn käme mir am wenigsten in den Sinn, so etwas hat die ÖVP in ihrem mächtigen Erfolgslauf nicht notwendig. Wir beide sind ähnlich unterschiedlich wie die Programme unserer Parteien. Das, was uns jedenfalls verbindet, sind unsere überraschend hohen Wahlerfolge. Und die Einsicht, dass es gescheit ist, wenn die Wahlsieger regieren.

Wir sind zwar jetzt in der Regierung, aber ich helfe der SPÖ gerne beim Antragschreiben.

profil: Sie hatten bei den ÖVP-Grün-Verhandlungen 2003 auf Abbruch gedrängt, Parteichef Alexander Van der Bellen wollte regieren … Kogler: Wir diskutieren bis heute, was klüger gewesen wäre. Auch diesmal, als wir vom Sondieren ins Verhandeln kamen, war klar, dass sich nie die reine Lehre durchsetzen wird. Die Frage ist daher: Was sind Kompromisse und was vertritt jeder selber? Für unsere Art der Kompromissfindung gibt es in Österreich keine große Übung. Aber damals, 2003, hatte ich das Gefühl: Da wäre fast nichts übrig geblieben, kaum etwas in der Umweltpolitik, nichts in Sozialpolitik, kein einziger Eurofighter wäre abbestellt worden. Die ÖVP hat damals nichts hergegeben – kein Vergleich zu jetzt.

profil: Sie sind eingefleischter Parlamentarier: Wie geht es Ihnen, wenn SPÖ und NEOS Ihnen vorhalten, Sie verhindern Aufklärung im U-Ausschuss? Kogler: Da sage ich ganz überzeugt: Bevor ein Durcheinander herauskommt und jedes Ressort unbestimmt irgendwelche Akten anliefert, sollten wir schauen, dass das Ganze der Verfassung entspricht. Sonst verzettelt sich der U-Ausschuss. Daher soll der VfGH entscheiden. Noch dazu ist der Antrag diffus formuliert. Wir sind zwar jetzt in der Regierung, aber ich helfe der SPÖ gerne beim Antragschreiben.

profil: Sie geben Oppositions-Nachhilfe? Kogler: Das klingt überheblich. Der VfGH soll entscheiden, inzwischen kann der U-Ausschuss bei den klar formulierten Punkten schon zu arbeiten beginnen.

profil: Sind Sie schon so weit, zuzugeben, dass Opposition einfacher ist als Regieren? Kogler: Da muss ich nichts zugeben, das war mir von Anfang an klar.

profil: Sie sagten gestern, Sie brauchen nicht mehr Spielraum von der ÖVP, Sie brauchen Schlaf. Ist Regieren so anstrengend? Kogler: Das bezog sich auf den Schladminger Nachtslalom. Ich hatte wegen der umständlichen Fahrerei nur zweieinhalb Stunden geschlafen.

profil: Mit Verlaub: Ein Vizekanzler hat doch einen Chauffeur? Kogler: Da wiehert der Amtsschimmel: Der Chauffeur darf nicht mit einem Leihauto fahren. Wir brauchten aber ein Leihauto, weil die im Ministerium verfügbaren Elektroautos zu wenig Reichweite für die Fahrt nach Schladming haben. Daher sind mein Kabinettschef und ich selbst gefahren. Sie sehen, die Republik ist auf Grüne in der Regierung noch nicht eingestellt.

profil: Wie sehr sind Sie auf Regieren eingestellt? Gehen Sie zum Opernball? Kogler: Das weiß ich noch nicht. Es hängt davon ab, ob ich zum steirischen Bauernbund-Ball gehe. Stimmt das, dass beim Opernball Frackzwang ist?

profil: Ja. Kogler: Einen Frack habe ich natürlich nicht, ich habe nicht einmal eine Fliege.

profil: Peter Pilz hat gegen den Opernball demonstriert, Sie auch? Kogler: Das war eine der wenigen Demos, wo ich nie dabei war. Ich habe die Motive für die Demo verstanden, allerdings wurde sie dann zur blöden Folklore. Ich überlege mir das mit dem Ball. Ich hatte schon die Krawatten-Debatte bei der Angelobung: Wenn 50 Prozent der Bevölkerung den Vizekanzler gern in Krawatte sehen, würde ich mir vielleicht eine umbinden.

profil: So viel Populismus muss sein? Kogler: Ist Krawatte jetzt Populismus – oder ist Nicht-Krawatte Populismus? Puh, mit welchen Problemen man sich als Vizekanzler herumschlagen muss!

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin