Österreich

Wie es Politikern beim Rücktritt geht - und warum Sobotka bleibt

ÖVP und Grüne wechselten gleich elf Spitzenpolitiker aus. Ausgerechnet einer der umstrittensten Politiker bleibt aber: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Was in Menschen vorgeht, die Macht abgeben – und wann der Druck zu groß wird.

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Der Gedanke an Rücktritt kam Ulrike Lunacek zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, nämlich vor laufender Kamera. Es war der 17. April 2020, Corona hatte die Republik zum Erlahmen gebracht, und die Kultur-Staatssekretärin trat gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler auf. Schrecklich sei die Pressekonferenz gewesen, „und schlecht geplant“, erinnert sich Lunacek. „Wir hätten sie absagen sollen, denn wir hatten kaum Positives zu verkünden, fast nur Verbote. Das war das erste Mal, dass ich mir gedacht habe: Da geht nichts mehr.“

Vier Wochen arbeitete der Gedanke in ihr, bis sie ihn tatsächlich aussprechen konnte. Mitte Mai bat sie per SMS ihre Regierungskollegen zu einem Gespräch am späten Abend. Am Tag danach lud sie die Medien zu einer „Persönlichen Erklärung“, dem Code für „Rücktrittsansprache“.

Ausgerechnet Österreich, eigentlich berühmt-berüchtigt wegen mangelhafter Rücktrittskultur, erlebte in den vergangenen Jahren regelmäßig Wechsel von Ministerinnen, Parteichefs, sogar Kanzlern. Sichtbar wird das bei den Bildern von der Angelobung der schwarz-grünen Koalition im Jänner 2020: Seither kam es gleich zu zehn Rücktritten. Kanzler Sebastian Kurz, Finanzminister Gernot Blümel, Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, Arbeitsministerin Christine Aschbacher, Bildungsminister Heinz Faßmann und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck sind auf ÖVP-Seite nicht mehr im Amt, Alexander Schallenberg nicht mehr Kanzler, Michael Linhart ersetzte ihn nur kurz im Außenamt. Die Grünen wechselten neben Lunacek zwei Mal den Gesundheitsminister, Rudolf Anschober und Wolfgang Mückstein. In der Opposition war die Verweildauer kaum länger: Die FPÖ tauschte Parteichef Norbert Hofer aus, die SPÖ Pamela Rendi-Wagner.

Doch ausgerechnet einer der umstrittensten Politiker Österreichs bleibt: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka verharrt trotz aller Kritik und Anschuldigungen auf seiner Position als Nationalratspräsident, dem zweitwichtigsten Staatsamt nach dem des Bundespräsidenten. Und betont fast trotzig, die Vorwürfe, er habe versucht, Ermittlungen gegen die ÖVP abzudrehen, seien in „keinster Weise“ richtig. Sobotka denkt nicht an Rücktritt.

Was geht in Menschen vor, die Macht abgeben – und wann wird der Druck von außen zu viel?

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin