Interview

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig: „Nicht sinnvoll, der FPÖ nachzuhecheln“

Bürgermeister Michael Ludwig verlangt proeuropäische Haltung und wehrt sich dagegen, dass die SPÖ in Migrationsfragen nach rechts rückt. Die Wohn-Pläne von Hans Peter Doskozil hält er für falsch. Und erzählt, warum er eine Stichwahl für sinnvoll gehalten hätte.

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Waren das die schlimmsten Wochen für die SPÖ, die Sie je erlebt haben?
Ludwig
Es gab in der Geschichte der SPÖ schon manche schwierige Phasen. Aber es ist nicht zu verhehlen, dass es derzeit eine starke Polarisierung gibt, und zwar auf inhaltlicher, persönlicher und politischer Ebene. Auch deshalb habe ich lange und mit guten Argumenten Pamela Rendi-Wagner den Rücken gestärkt.
Mit Ihnen unterstützten viele SPÖ-Granden Rendi-Wagner, dennoch wurde sie bei der Mitgliederbefragung nur Dritte. Was lief falsch?
Ludwig
Es gab einen starken innerparteilichen Wahlkampf, an dem sich Rendi-Wagner nicht beteiligen wollte. Ich habe sie dennoch unterstützt. Erstens, weil Solidarität zu den Grundwerten der Sozialdemokratie gehört. Das schließt Loyalität mit ein. Zweitens halte ich sie für eine intelligente, moderne, beruflich erfolgreiche Frau. Sie stand für eine moderne Sozialdemokratie der Zukunft und kam in der Bevölkerung, insbesondere in Wien, sehr gut an. Es gibt gute Gründe, sich bei ihr zu bedanken, dass sie in einer schwierigen Phase die Parteiführung übernahm. Sie hätte sich sicher mehr Unterstützung verdient.
Stattdessen kamen regelmäßige Querschüsse von Hans Peter Doskozil. Ist Rendi-Wagner daran gescheitert?
Ludwig
Es ist zulässig, dass sich verschiedene Personen um Funktionen, auch um die Parteiführung, bewerben. Aber es wäre vernünftig, wenn das transparent erfolgt, etwa auf einem Parteitag. Leider waren die letzten Jahre von einer nicht so transparenten Diskussion geprägt. Das war für Rendi-Wagner sehr belastend und für die ganze Partei schwierig. Denn egal, welch spannende Inhalte die SPÖ bei einer Pressekonferenz präsentieren wollte – die Fragen zur Parteispitze haben immer alles überschattet. Das ist für eine Partei auf Dauer nicht hilfreich.
Die Untertreibung des Jahres. Sie sind einer der mächtigsten Männer der SPÖ, haben Sie zu lange zugeschaut?
Ludwig
Nein, ich habe nicht zugesehen, ich habe viele Gespräche geführt. Leider ohne Ergebnis.
Ist die SPÖ eine Macho-Partei?
Ludwig
Die SPÖ ist ein Querschnitt der Bevölkerung. Auch andere Parteien mussten sich damit beschäftigen, wie sie mit einer Parteivorsitzenden umgingen – die Grünen etwa können durchaus mitreden. Andere Parteien können nicht mitreden, weil sie nie eine Frau an der Parteispitze hatten.
War die Mitgliederbefragung ein Fehler?
Ludwig
Jemand hat geschrieben, dass die SPÖ in den Prozess hineingestolpert ist – das ist nicht ganz unrichtig. Am wenigsten schuld daran ist Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, er hat nur umgesetzt, was die Gremien beschlossen haben. Die Mitgliederbefragung war der Versuch, einen Kompromiss zu finden, weil Hans Peter Doskozil nicht auf einem Parteitag gegen Rendi-Wagner antreten wollte, wie es eigentlich vom Statut vorgesehen ist.
Wäre das gescheiter gewesen?
Ludwig
Die Mitgliederbefragung war ein interessanter Versuch. Aber sie musste ständig an neue Gegebenheiten angepasst werden, das ist natürlich alles andere als ideal. Nachträglich betrachtet hätte man vieles anders machen können, vor allem, weil die Mitgliederbefragung die Konflikte nicht gelöst hat.

 

Sie waren dann für eine zweite Mitgliederbefragung als Stichwahl zwischen Andreas Babler und Hans Peter Doskozil.
Ludwig
Irgendwie mussten wir ja damit umgehen, dass alle jeweils ziemlich gleich große Gruppen hinter sich hatten und es keine klare Entscheidung für einen Kandidaten gab. Daher hätte ich eine Stichwahl als klare Entscheidung für sinnvoll gehalten – und mit mir viele andere Teile der Partei.
Nach der Erfahrung mit der Basisdemokratie Mitgliederbefragung: Soll dieses Experiment wiederholt werden?
Ludwig
Die stärkere Einbindung von Mitgliedern macht auf jeden Fall Sinn. Aber bei personellen Fragen hat die Direktwahl ihre Tücken. Aus gutem Grund war die SPÖ schon 1929 skeptisch zur Direktwahl des Bundespräsidenten. Ich bin daher noch nicht restlos überzeugt von der Direktwahl des Parteivorsitzes per Mitgliederentscheid.
Wir führen dieses Interview vor dem Parteitag. Egal, wer gewinnt – wie sollen die beiden Parteilager vereint werden?
Ludwig
Daran müssen alle arbeiten.
Sind Sie ein Marxist?
Ludwig
Marxistische Positionen haben in philosophischen, ökonomischen und politischen Auseinandersetzung immer eine große Rolle gespielt. Aber ich würde mich nicht als Marxist bezeichnen. Dazu sind zu viele Theorien von Karl Marx überholt. Viele Positionen des Marxismus wurden genauso widerlegt wie Positionen des Neoliberalismus.

 

Hat Sie an Andreas Babler mehr sein Bekenntnis zum Marxismus gestört oder seine EU-Skepsis?
Ludwig
Selbstverständlich kann man die EU kritisieren. Auch ich bin dafür, dass die EU stärker sozialpolitische Wege beschreitet und sich nicht nur auf ökonomische Fragen konzentriert. Aber die EU ist eine Friedensordnung, gewann aus gutem Grund den Friedensnobelpreis und ist die einzige Möglichkeit, wie wir im internationalen Wettbewerb bestehen können, gerade als kleines Land wie Österreich. An der Spitze der SPÖ braucht es eine proeuropäische Haltung!
Sind die Positionen von Doskozil in der Migration zu rechts für die SPÖ?
Ludwig
Ich habe ein Papier mitbeschlossen, das die Namen der Landeshauptleute Doskozil und Peter Kaiser trägt und den Titel „Integration vor Zuwanderung“ hat. Die Positionen darin wurden breit diskutiert. Daran müssten sich jetzt nur alle halten. Heuer im Jänner gab es dann eine Klausur zum Thema Migration …
Bei der Doskozil nicht war.
Ludwig
Wie leider bei vielen anderen Veranstaltungen der Bundespartei auch nicht. Wenn jemand etwas zusätzlich zum Papier zu sagen hat, sollte er versuchen, das innerparteilich mehrheitsfähig zu machen.
Die Wiener SPÖ hat ganz andere Positionen als Doskozil: Sie wollen etwa den Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtern.
Ludwig
Die wirtschaftlichen Schranken sind ungerecht: Menschen müssen nach Abzug aller Fixkosten wie Miete oder Energie mehr als 1100 Euro zur Verfügung haben, um Staatsbürger zu werden. Das ist für hart arbeitende Menschen in manchen Branchen fast unmöglich, zum Beispiel im Reinigungsdienst oder im Pflegebereich. Die sind fleißig, können oft gut Deutsch, der Weg zur Staatsbürgerschaft ist aber verwehrt. Das sollten wir ändern.
Warum ist das Thema Migration für die SPÖ so schwierig?
Ludwig
Die Diskussion erschöpft sich oft in Überschriften, und es wird viel polemisiert. Eine Partei trägt dieses Thema seit Jahrzehnten vor sich her und hat damit leider auch Erfolg – die FPÖ. Manche in der SPÖ fühlen sich bemüßigt, da nachzuhecheln. Das halte ich aber für nicht sinnvoll. Diese ständige Polemik hilft niemandem.
Sie teilen also nicht die Theorie, dass die SPÖ nach rechts rücken muss, um Wahlen zu gewinnen?
Ludwig
Nein, das halte ich für nicht zweckmäßig. Man muss einen sehr pragmatischen Kurs einschlagen: Probleme, die es gibt, sei es im Wohn- oder im Schulbereich, ansprechen, aber Lösungen anbieten, nicht Probleme hochstilisieren und damit polemisieren.
Im Bereich Wohnen fordert Doskozil, dass man Sozialwohnungen im Eigentum kaufen können soll. Sind Sie dafür?
Ludwig
Nein, da bin ich strikt dagegen und auch restriktiv bei gefördertem Eigentum. Die Verwendung von öffentlichen Geldern zur Eigentumsbildung halte ich für nicht zweckmäßig. Das mag in kleineren Gemeinden anders sein, aber für Städte macht es Sinn, Wohnbaufördermittel gezielt für Menschen zu verwenden, die geförderte Wohnungen benötigen.
In diesen Punkten unterscheiden Sie sich inhaltlich von Doskozil. Woher rührt Ihre Verstimmung mit ihm – aus der Corona-Zeit?
Ludwig
Es gibt inhaltlich andere Positionierungen, die ich kaum in der Öffentlichkeit austrage, weil es wenig Sinn macht, dass sich Sozialdemokraten öffentlich messen. Da hätte ich mir mehr interne inhaltliche Diskussion gewünscht. Das setzt aber voraus, dass man auch zu Sitzungen kommt, was Doskozil selten tat. Wir müssen Kräfte bündeln und gemeinsam nach außen auftreten.
Kann jemand wie Doskozil die SPÖ wieder einen?
Ludwig
Ich war begeisterter Erwachsenenbildner und Volksbildner. Lebensbegleitendes Lernen ist immer wichtig, setzt aber voraus, dass Menschen bereit sind, sich weiterzuentwickeln und sich zu verändern.
Manche in der SPÖ zweifelten laut daran, dass Doskozil einen kann. In der SPÖ-Vorstandssitzung hat Doskozil sogar deswegen mit Rückzug gedroht.
Ludwig
Nachdem er den Rückzug angeboten hat, habe ich mich bei ihm bedankt, dass er diesen Schritt setzt und ihm dafür großen Respekt gezollt. Er hat den Rückzug aber sehr schnell wieder revidiert. Man braucht halt an der Spitze einer Partei sehr viel Resilienz und muss mit unterschiedlichen Meinungen umgehen können.
Es gab in Wien eine Kampfabstimmung zwischen Andreas Schieder und Ihnen. Was kann die Bundes-SPÖ daraus lernen?
Ludwig
In Wien waren die Voraussetzungen anders, denn Michael Häupl trat aus eigenen Stücken nicht mehr an. Und es gab auch nicht den sehr intensiven innerparteilichen Wahlkampf wie jetzt im Bund. Der birgt viele Risken, weil sich die politischen Mitbewerber die jeweiligen Argumente gut anschauen. Daher sollte man verantwortungsvoll mit innerparteilichem Dialog umgehen. Es gibt immer eine Zeit nach der Entscheidung. Da müssen alle wieder zusammengeführt werden, das setzt viel Integrationskraft voraus. In Wien gelang das, Andreas Schieder und ich verstehen uns sehr gut.
Fürchten Sie eine Spaltung der SPÖ im Bund?
Ludwig
Nein, aber ich sehe die Notwendigkeit, dass wir intensive parteiinterne – und zwar wirklich interne – Gespräche führen.
In Salzburg und Graz gewann die KPÖ, die Bierpartei punktet. Muss sich die SPÖ vor Konkurrenz von links wappnen?
Ludwig
Die SPÖ ist gut beraten, die Parteienlandschaft genau zu beobachten. Der Wählermarkt ist viel mobiler als früher, dazu gibt es viele Krisen. Es hat einen Grund, warum in Wien die KPÖ nie eine Rolle gespielt hat, weder in der Ersten noch in der Zweiten Republik: Das liegt an der Integrationskraft der Sozialdemokratie – und unserem starken Schwerpunkt auf der sozialen Frage in allen Bereichen. Leistbares Wohnen etwa, genauso Bildung mit der nun kostenfreien Ganztagsschule. Das gibt es nur in Wien.
Sie regieren in Wien mit den NEOS. Doskozil und Babler plädieren für eine Ampelkoalition im Bund. Ist das der richtige Weg für die SPÖ?
Ludwig
Ich bin nie für große Koalitionsspekulationen. Wir sollen für die Positionen der SPÖ eintreten. Wir schließen nur eine Koalition mit der FPÖ klar aus. Aber sonst würde ich vor der Wahl keine Koalition ausschließen.
Ist es möglich, dass die SPÖ für die Wahl neben dem Parteichef einen Kanzlerkandidaten aufstellt?
Ludwig
An und für sich haben wir die Diskussion so geführt, dass der Parteichef auch Spitzenkandidat für die SPÖ sein soll.
Immer wieder wird Ihr Name genannt. Schließen Sie aus, dass Sie 2024 im Bund antreten?
Ludwig
Das schließe ich aus. Ich war immer in der Kommunalpolitik, und dort bleibe ich. Ich bewundere das Selbstbewusstsein, das vor allem manche Männer an den Tag legen, die sehr unvermittelt in die Bundespolitik einsteigen. Aber für mich schließe ich das aus.
Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin