Interview

Jim Rogers: "Es kommen sehr schlechte Zeiten auf uns zu"

Der nächste Bärenmarkt wird der Schlimmste in der Börsengeschichte, prophezeit Investoren-Legende Jim Rogers im Gespräch mit profil.

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Der "Entdecker" der Wiener Börse über aktuelle Blasen und den Machtwechsel in der Weltwirtschaft.

Mister Rogers, wir würden Sie hier in Wien dringend zur Wiederbelebung der Börse brauchen. Der Leitindex ATX ist seit Jahresbeginn zweistellig im Minus.
Jim Rogers
Nahezu jeder Börsenplatz der Welt ist derzeit im Minus. Nicht nur Wien.
Vor genau einem Jahr, also bevor Putin die Ukraine angegriffen hat, erzählten Sie zu meinem Unverständnis, dass Sie in eine Kohlemine in Indonesien und in Uran investiert hätten und sich von den viel zu teuren Aktienmärkten in den USA und Europa verabschiedet hätten. Haben Sie eine Glaskugel?
Jim Rogers
Ich mache viele Fehler, aber manchmal liege ich auch richtig.
Sind Sie immer noch in Kohle und Uran investiert?
Jim Rogers
Ja, natürlich. Denn es sieht so aus, als ob die Welt noch mehr Uran und Kohle braucht. Ich befürchte, dass sich die Dinge in den nächsten zwei Jahren nochmals deutlich verschlechtern. Rund um den Globus gibt es sehr viel Pessimismus. Und normalerweise, wenn so viel negative Stimmung herrscht, passiert etwas, und die Menschen werden wieder kurzfristig optimistisch. Nicht, dass ich damit rechne, aber wenn es Frieden in der Ukraine gäbe, würden alle Hurra schreien, und die Börsen würden steigen. Ich denke, es wird zumindest noch eine Börsenrally geben, womöglich die Letzte. Es kommen sehr schlechte Zeiten auf uns zu.
Nähern wir uns jetzt wirklich dem von Ihnen seit 2018 heraufbeschworenen Crash-Zeitpunkt, an dem Sie kurz zuvor noch Ihre Dollars in Gold umtauschen werden?
Jim Rogers
Noch habe ich sehr viele US-Dollar! Dabei hat der Dollar große Probleme, weil die USA der größte Schuldner der Geschichte sind. Doch die Investoren halten den Dollar für einen sicheren Hafen. Deshalb ist er überbewertet. Wenn sich die wirtschaftliche und politische Lage noch weiter verschärft und die Anleger nur noch in den Dollar flüchten, könnte eine Blase entstehen. Dann verkaufe ich meine Dollars-wobei ich auch noch nicht weiß, was ich damit kaufe. Ich habe nun seit mehr als einem Jahr keine Edelmetalle mehr gekauft, aber ich werde weiteres Gold und Silber kaufen, wenn die Stimmung depressiv wird.
Der Dollar hat gegenüber dem Euro in den letzten zwölf Monaten zehn Prozent zugelegt. Er war eines der wenigen Investments, mit dem man verdient hat.
Rogers
Einige Rohstoffe sind auch gestiegen-Agrarrohstoffe, Öl und Gas. Wenn viel Geld gedruckt wird, kann man sich dagegen nur mit Assets schützen, die mit der Inflation steigen. Das sind Realwerte und Rohstoffe. Nur würde ich sie jetzt nicht kaufen. Erst wenn sie wieder eine Weile fallen, wenn sich das Weltbild kurzfristig wieder erhellt. Ich investiere immer nur in bestimmte Assets, wenn sie schwach sind.
Sie waren unter den Ersten, die in China investierten. Sehen Sie uns schon im chinesischen Jahrhundert-trotz der Probleme, die China gerade hat?
Rogers
Ich sehe zumindest niemand anderen im 21. Jahrhundert in Poleposition. Amerika war die Weltmacht im 20. Jahrhundert und hatte jede Menge Probleme wie die Große Depression. Ein Unternehmen oder auch ein Staat hat in der Wachstumsphase Probleme. So wie China. Ein guter Zeitpunkt, zu investieren.
 In welchen Sektoren könnte das sein?
Rogers
In China, aber auch in Korea und Japan bedeuten Katastrophe und Chance dasselbe. So denke ich auch. Ich schaue mich um, wo das Virus sich katastrophal ausgewirkt hat: bei Airlines, in der Unterhaltungsindustrie, im Tourismus. Regional gefällt mir gerade auch Usbekistan. Die Sowjets haben das Land ruiniert, aber die jetzige Regierung macht Dinge, die ich auch machen würde, um die Wirtschaft wiederzubeleben. In Kambodscha schaue ich mich gerade um, bin ich aber noch nicht investiert. In Usbekistan habe ich einige Aktien gekauft, das geht in Kambodscha oder Pakistan noch nicht. Da beteilige ich mich direkt an Unternehmen.
Und Europa?
Rogers
Ich habe Europa noch nicht aufgegeben. Und ich werde sicher noch europäische Aktien in Zukunft kaufen. Doch ich glaube, dass Europa in den nächsten Jahren große Probleme haben wird. Wie gesagt: Es wird dort vielleicht eine große Rally geben, wenn es Frieden gibt. Deshalb wette ich auch nicht gegen Europa. Aber ich sehe nicht genug Gründe, warum ich jetzt in Österreich, Deutschland oder anderswo in Europa investieren sollte.
Was machen Sie mit Ihren russischen Investments wie Aeroflot? Abschreiben?
Rogers
Als Amerikaner kann ich momentan leider nicht in Russland investieren, auch nicht in der Ukraine. Ich habe im Lauf der Jahre gelernt, dass man, wenn man kurz vor Ende des Krieges oder kurz danach investiert, hohe Ertragschancen hat.
Wo sehen Sie die großen Gefahren in naher Zukunft für die Kapitalmärkte?
Rogers
2008 hatten wir die Finanzkrise wegen der hohen Schulden. Seit 2009 ist die Verschuldung weltweit noch stark gestiegen, selbst in China. Die Staaten können also nicht mehr gegensteuern. Deshalb wird der nächste Bärenmarkt der Schlimmste sein, den ich je gesehen habe. Auch in China.
Wie sorgen Sie unter diesen Umständen für Ihre beiden jungen Töchter vor?
Rogers
Sie werden eines Tages meine Aktien erben, und ich hoffe, sie können sagen: Oh, er war wirklich clever.
Womöglich werden Ihre Töchter nicht verstehen, dass Sie in fossile und nicht erneuerbare Energien investiert haben.
Rogers
Ich investiere nicht in Alternativenergien, weil sie ohne Subventionen noch nicht wirtschaftlich und damit nicht wettbewerbsfähig sind. Noch nicht. Wenn der Ölpreis einmal bei 200 Dollar pro Fass liegt, dann wird Windkraft wettbewerbsfähig. Ähnliches gilt für Solarenergie. Nur wenige sind hier schon effizient genug, um ohne Förderung konkurrenzfähig zu sein.
Da werden Ihnen wohl jüngere Finanzexperten vehement widersprechen. Apropos: Gibt es junge Investoren, denen Börsen-Legenden wie Sie, wie Warren Buffett oder Ihr früherer Hedgefonds-Kompagnon George Soros Ihr Wissen weitergeben? Hört die Wall Street noch auf Sie?
Rogers
Natürlich gibt es junge Börsen-Genies, aber ich kenne sie nicht persönlich. Ich tingle auch nicht herum, um sie kennenzulernen, tausche mich mit anderen Investoren nicht so viel aus. Ich weiß aber, dass es einige smarte, junge Investoren gibt.
Wenn Sie denen als alter Investment-Fuchs einen Rat auf den Weg geben würden. Was wäre das?
Rogers
Investments wie Zucker, die 70 bis 80 Prozent von ihren All Time Highs entfernt sind, werden sich wieder erholen. Das war bisher immer so. Irgendwann wird es wieder einen Bullenmarkt geben. Ich suche gezielt nach Assets, wo ich das Geschäftsmodell verstehe und die am Boden liegen. Und dann bin ich geduldig.
Was ist mit Immobilien? Sie wollten sich immer etwas in Österreich kaufen.
Rogers
Wenn wir sehr schlechte Zeiten haben, verlieren auch sie an Wert. Auch Eigentum in Österreich. Interessant ist nur Agrarland.
Sehen Sie schon Blasen an den Kapitalmärkten?
Rogers
Bei Anleihen. Noch niemals in der Geschichte waren sie so teuer wie jetzt, und das weltweit. Das musste ja passieren. Die Zentralbanken waren verrückt, so massiv Anleihen aufzukaufen.
Sind hingegen die Kurse von soliden Tech-Aktien wie Amazon, Microsoft oder Alphabet nicht schon genug gefallen?
Rogers
Nicht für mich. In Bärenmärkten verlieren gute Aktien oftmals 70 bis 80 Prozent ihres Wertes. Während der Dot.com-Blase 1999 und 2000 verloren Aktien wie Amazon 80 bis 90 Prozent ihres Wertes, und Amazon gibt es immer noch.
Investieren Sie nur in Einzelaktien oder auch in Indizes?
Rogers
Ich bin in japanische Indizes investiert, weil die japanische Zentralbank diese Indizes kauft und sie deutlich mehr Geld hat als ich. Momentan kaufe ich aber keine mehr zu.
Cash ist also für Sie fesch?
Rogers
Ich halte viele Dollars in kurzfristigen Geldmarktpapieren. Ja, natürlich, ich bekomme kaum Zinsen, und die Inflation ist hoch, aber lieber nur drei Prozent verdienen als zehn Prozent pro Jahr verlieren. Neben dem Dollar besitze ich noch, in geringerem Ausmaß, den chinesischen Renmimbi und Euro.

Cannabis hat eine große Zukunft. Selbst die UN empfiehlt die Legalisierung.

Jim Rogers

Man sollte also derzeit besser an der Seitenlinie stehen und nicht zu aktiv sein.
Rogers
Korrekt. Aber das Wichtigste ist, was ich immer wieder sage: Nur in das investieren, worin ich mich auch persönlich auskenne. Investoren sollten nicht auf mich hören. Sie sollten auf niemanden hören. Jeder möchte heiße Tipps hören, aber die ruinieren dich. Wenn du etwa viel von Mode verstehst, investiere in Mode. Wenn nicht, dann nicht.
Lautet eine weitere Grundregel nicht, das Risiko auf möglichst verschiedene Finanzprodukte zu streuen?
Rogers
Diversifikation haben die Aktienhändler erfunden, damit sie nicht geklagt werden. Wenn du reich werden willst, musst du dich fokussieren. Ja, du steckst alle Eier in einen Korb. Es muss der richtige Korb sein, und du musst ihn ganz genau beobachten. Diversifikation macht dich nicht reich.
Ist dieses eine Ei momentan bei Ihnen der Dollar?
Rogers
Das größte Ei.
Wie geht es Ihren Cannabis-Investitionen? Jetzt, wo selbst Deutschland den Verkauf legalisiert?
Rogers
 Ja, die besitze ich noch. Cannabis hat eine große Zukunft. Selbst die UN empfiehlt die Legalisierung. Wenn du hier ein gutes Unternehmen und vor allem das richtige Management findest, ist Cannabis ein gutes Investment.
In Krypto will derzeit niemand investieren. Eine Kaufgelegenheit?
Rogers
Krypto interessiert mich nicht. Ich bezweifle, dass ich jemals noch in Kryptos investieren werde. Die Regierungen werden diese niemals als Währung zulassen.
Können Sie Junginvestoren zum Abschluss noch Lesestoff empfehlen, wie man erfolgreich investiert?
Rogers
"Intelligent Investieren" von Benjamin Graham ist ein Klassiker. Auch wenn das Buch einige Jahrzehnte alt ist, lernt man zu verstehen, wie Unternehmen und wie die Börse funktionieren. Man muss die Basics beherrschen, bevor man losinvestiert.
Und welchen Ihrer eigenen Bestseller würden Sie als Erstlektüre empfehlen?
Rogers
Wahrscheinlich mein letztes Buch mit dem Titel "Street Smarts",wo ich den Leser durch die Highlights an den Finanzmärkten und auch meinen eigenen Roadtrip führe. Es erzählt viel über das Investieren und die Abenteuer dabei.

Wo Jim Rogers nicht recht hat

"Green Energy ist bereits kompetitiv",widerspricht Walter Hatak, Head of Responsible Investment der Erste Group, vehement Jim Rogers: "Erneuerbare Energieträger konnten in den letzten zehn bis 15 Jahren deutlich ihre Stromgestehungskosten reduzieren. Man sollte hier vielmehr die massiven Subventionen für fossile Energieträger überdenken, die keine zukunftssichere Energieversorgung ermöglichen, wie wir im Zuge des Ukraine-Krieges besonders schmerzvoll erfahren mussten."Hatak beruft sich auf die Studie der International Renewable Energy Agency IRENA. Demnach sind die Kosten für Strom aus Photovoltaik (PV) zwischen 2010 und 2020 um 85 Prozent gesunken. "Die Analyse legt nahe, dass die Betriebskosten von 800 Gigawatt bestehender Kohlekapazität höher sind als die von neuen Solar-PV-und Onshore-Windkraftwerken, einschließlich 0,005 USD/kWh für Integrationskosten. Der Ersatz dieser Kohlekraftwerke würde die jährlichen Systemkosten um 32 Milliarden US-Dollar pro Jahr senken und die jährlichen CO2 Emissionen um etwa drei Gigatonnen CO2 reduzieren",kontert Walter Hatak der Investmentlegende.