Panorama

Risiko ohne Kapital

Österreichs Startup-Investoren planen weniger Finanzierungen. Das trifft vor allem frühphasige Unternehmen.

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Hohes Risiko, hohe Renditen-dieses Prinzip zeichnet Wagniskapitalfonds aus, und deshalb investieren diese Fonds vor allem in Start-ups: Hightech-Unternehmen in der Wachstumsphase, die noch keine Gewinne abwerfen und somit große Wetten in die Zukunft sind. Die Suche nach sogenannten Einhörnern-Start-ups mit Milliardenbewertung-erreichte in den USA im Jahr 2021 den Höhepunkt: Risikokapital in Höhe von 302,5 Milliarden Euro floss damals laut der Analyseplattform Pitchbook in Start-ups, fast doppelt so viel wie im Jahr davor. Vergangenes Jahr ließ dann die Investorentätigkeit mit 264,3 Milliarden Euro spürbar nach. In Europa sieht der Trend ähnlich aus, hier fielen die Start-up-Finanzierungen laut der Datenbank Crunchbase vom Rekordwert von 109 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 82,5 Milliarden Dollar. Die zurückhaltende Stimmung macht sich auch unter den österreichischen Start-up-Investorinnen und -investoren breit: 2021 finanzierten sie laut dem EY Start-up Investment Barometer 1,23 Milliarden Euro, vergangenes Jahr nur noch eine Milliarde Euro. Was sowohl aus den internationalen als auch aus den lokalen Zahlen hervorgeht: Der Einbruch bei den Investments passierte vor allem im zweiten Halbjahr 2022.

Start-up-Krisen trüben Stimmung

Nina Wöss vertritt als Vorsitzende der Austrian Private Equity and Venture Capital Organisation (AVCO) die heimische Risikokapitalszene und begründet die Zurückhaltung so: "Ich würde die aktuelle Stimmung als vorsichtig beschreiben, unter anderem auch deswegen, weil die Entwicklungen in den USA-Stichwort Silicon Valley Bank-die VC-Branche besonders getroffen haben. Auch die veränderte Zinslandschaft und die aktuellen konjunkturellen Aussichten machen die Branche naturgemäß vorsichtiger." Dieses Gefühl hat die Interessensvertretung gemeinsam mit der Austrian Angel Investors Association (AAIA) und dem Austria Wirtschaftsservice (AWS) im kürzlich veröffentlichten Austrian Investing Report 2022 in Zahlen gepackt: Dieses Jahr sind weniger Finanzierungsrunden und mehr Veräußerungen der Beteiligungen geplant, geht aus der Umfrage unter institutionellen Investoren und Business Angels hervor. Ein Aspekt unterscheidet die beiden Investorengruppen: Während die Business Angels, die vorwiegend in Frühphasen einsteigen, die durchschnittliche Investmentsumme von 420.000 Euro im Jahr 2022 auf 380.000 Euro reduzieren wollen, planen die institutionellen Fonds mit 7,57 Millionen Euro Kapital 25 Prozent mehr als im Vorjahr.

Der größte österreichische Start-up-Fonds Speedinvest hat eigenen Angaben zufolge vergangenes Jahr 75 Millionen Euro in 60 europäische Start-ups investiert. "Wir erwarten ein ähnliches Investitionsvolumen auch 2023, wobei sich die Taktung bei Neuinvestments etwas verlangsamt hat und mehr Fokus auf die Unterstützung unseres existierenden Portfolios gelegt wird", sagt Geschäftsführer Oliver Holle über seine Strategie für das laufende Jahr. Erst Ende des Jahres kündigte er einen neuen Fonds in Höhe von 500 Millionen Euro an: "Mit diesen neuen Mitteln, vorrangig aus dem neuen Fonds, soll über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren in circa 100 Neubeteiligungen investiert werden",so Holle. Auch wenn Speedinvest im gleichen Ausmaß wie bisher investieren will, erkennt der Investor Zurückhaltung: "Gerade größere Folgeinvestitionen finden im Moment nur bei den allerbesten Projekten statt. Die meisten unserer Start-ups konzentrieren sich darauf, mit den verfügbaren Geldern gut hauszuhalten und ihr Geschäft aufzubauen." Speedinvest ist bei den österreichischen Vorzeige-Start-ups GoStudent und Bitpanda investiert. Beide galten als erste Einhörner des heimischen Ökosystems, mussten aber vergangenes Jahr massive Einsparungsmaßnahmen mit Kündigungswellen treffen. Die Krisen bei den Scaleups, wie Start-ups in der Wachstumsphase genannt werden, ist ein weiterer Faktor für die Vorsicht bei den Geldgebern. Laut Daniela Haunstein, Geschäftsführerin der AAIA, wirken die Beispiele von Umstrukturierungen wie Bitpanda oder GoStudent auf die Start-up-Szene belastend. "Ein weiteres Problem ist sicher, dass letztes Jahr die Investoren auch in anderen Assetklassen ihres Portfolios wie Aktien und Krypto herbe Verluste einstecken mussten",ergänzt die Vertreterin der Business Angels: "Grundsätzlich aber wäre es die beste Zeit, wenn man über ausreichende Liquidität und ausreichende Risikobereitschaft verfügt."

2023 werden weniger Gründungen stattfinden als in den vergangenen Jahren.

Oliver Holle

Geschäftsführer Speedinvest

Investorenfreundliches Umfeld

Die Krise habe zu einem gesunden Korrektiv der Bewertungen geführt, findet nicht nur Haunstein von der AAIA, sondern auch AVCO-Vorsitzende Wöss: "Dabei geht es für VCs weniger um günstige Deals als um die Einschätzung, welche Business-Modelle auch in Zukunft tragfähig und werthaltig sind und welche Unternehmen auch in Zukunft Anschlussfinanzierungen abschließen können." Den institutionellen Investoren gehe es mehr um Megatrends als um kurzfristige Trends, sagt Wöss: "Die wesentlichen Trends wie künstliche Intelligenz, Quantencomputer und CO2-Reduktion bleiben auch im aktuellen Marktumfeld unverändert wichtig." Energietechnologien stehen laut dem Austrian Investing Report bei Business Angels mit 41,2 Prozent an erster Stelle bei den Themenfeldern, die institutionellen Investoren interessieren sich mit 45,5 Prozent am meisten für künstliche Intelligenz. Das bestätigt Oliver Holle von Speedinvest: "Die heißen Themen 2023 sind Energie, Climate Tech und auch neue Ansätze zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen. Natürlich sind auch KI und andere Deep-Tech-Themen wie Quantum Computing oder Neue Materialien extrem interessant, jedoch investieren wir in diese Bereiche bereits seit Jahren."

Während die Jahre vor 2022 mit hohen Firmenbewertungen laut den Analysten von Pitchbook als "gründerfreundlich" galten, ist der jetzige Markt ein "investorenfreundlicher". Dementsprechend bleibt Oliver Holle positiv: "Man darf nicht vergessen, wie langfristig Venture Capital funktioniert. Die Firmen, in die wir jetzt investieren, werden wir erst 2030 oder noch viel später verkaufen."Die aktuelle Wirtschaftslage sei für die Entscheidungen der Wagniskapitalfonds deshalb nur bedingt relevant. AVCO-Sprecherin Nina Wöss stimmt zu, dass Investoren nicht leicht abzuschrecken seien: "Die VC-Branche ist über Jahrzehnte aus den diversen Krisen gestärkt hervorgegangen und hat über lange Zeiträume immer exzellente Renditen erwirtschaftet." Nachholbedarf sieht Wöss aber bei der Mobilisierung von Vermögen in Österreich, um dieses in Risikokapitalfonds zu bewegen: "Hier liegt es vor allem am Staat, endlich zum Rest von Europa aufzuschließen und attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen." Daniela Haunstein vom AAIA schlägt etwa steuerliche Erleichterungen und staatliche Zuschüsse für Start-up-Investments vor.

Bei den Business Angels, die kleinere Summen in kleinere Unternehmen investieren, sieht Haunstein die Stimmung weniger entspannt als bei den Institutionellen: "Großes Thema ist die Absicherung des persönlichen Portfolios, um sicherzugehen, dass das investierte Kapital nicht abgeschrieben werden muss." Dass das Geld der Investoren weniger locker sitzt, spürt auch die staatliche Förderbank AWS: "Die Liquidität ist teurer geworden. Die Einreichzahlen für unsere Förderprogramme steigen, beim Eigenkapital-Hebel haben wir 20 Prozent mehr Nachfrage",verweist Geschäftsführer Bernhard Sagmeister auf das Angebot für Kreditgarantien. Der Austrian Investing Report prognostiziert, dass es frühphasige Unternehmen heuer schwerer bei der Finanzierung haben werden als reifere Unternehmen. Damit rechnet auch Speedinvest-Manager Holle: "Insgesamt werden in Europa 2023 sicher weniger Gründungen stattfinden als in den vergangenen Jahren."Das veränderte Investorenverhalten wird also auch die bisher boomende Start-up-Branche in Österreich einbremsen.