Panorama

Spekulatives Design: Zukunft zum Selbermachen

Was in fünf, zehn oder 30 Jahren passieren wird, lässt sich nicht vorhersagen – aber erforschen und gestalten. Wie geht das?

Drucken

Schriftgröße

Die Zukunft beginnt in Berlin. Auf 5000 Quadratmetern findet man Robotermenschen, begrünte Hochhäuser und interaktive Displays. Das Futurium, ein Glaskomplex mit Energiekollektorendach am Spreeufer, stellt bei freiem Eintritt diverse Zukunftsentwürfe vor. Sie alle münden in der Frage: Wie wollen wir leben? An die Antworten sollen sich die Besucherinnen und Besucher spielerisch annähern, indem sie ausprobieren, entdecken und diskutieren. Das Futurium ist kein klassisches Museum, sondern ein "Haus der Zukünfte". "Wir möchten ein 'dritter Ort' sein, an dem Menschen über Zukunftsoptionen nachdenken und miteinander ins Gespräch kommen", erläutert Direktor Stefan Brandt auf Anfrage per E-Mail. Was ist Zukunft überhaupt, und welche Optionen haben wir?

Menschen, die sich mit Zukunft auseinandersetzen, sagen unisono: Es gibt nicht die eine Zukunft, die unaufhaltsam auf uns zurollt, die Bandbreite an möglichen Zukünften ist vielmehr vielfältig. Auch diese sind immer nur Ausschnitte, abhängig davon, wer sich Gedanken darüber macht und warum. Und: Zukunft ist offen und deshalb aktiv gestaltbar. Dafür braucht es aber eine Vorstellung davon, was kommen könnte und wie wir damit umgehen wollen.

Wie Zukunftsforscher arbeiten

"Die Zukunftsforschung kann herausfinden, was beeinflussbar ist und wo Potenziale liegen, um aktiv fundierte und informierte Entscheidungen zu treffen", erklärt Sascha Dannenberg, Programmkoordinator des im deutschsprachigen Raum einzigartigen Masterstudiengangs Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Studierende lernen hier seit dem Jahr 2010, ob sich Zukunft mit wissenschaftlichen Methoden erforschen lässt, und wie. Verkürzt heißt das: Sie analysieren Daten, erkennen Signale, erstellen Szenarien, kreieren mögliche Zukünfte und leiten daraus Handlungsempfehlungen ab. Zukunftsforschung sei aber komplex, betont Dannenberg. Sie beginne damit, neue Fragen zu stellen und Blickwinkel abseits von routinierten Annahmen einzunehmen. Erst dadurch gelinge es, andere Möglichkeiten als bisher wahrzunehmen und Antworten auf den Umgang damit zu finden.

Als Vehikel, um mögliche Zukünfte greifbarer zu machen, dienen etablierte und neu entstehende Methoden. "Wir können die Zukunft nur über Sprache erfassen-also über Bild, Ton und Schrift", erklärt Studiengangsleiter Dannenberg. Bei unvorhersehbaren Themen funktioniert das über kreative Prozesse wie etwa Spekulatives Design (siehe Interview).Für konstantere, gut messbare Themen eignen sich datengetriebene Verfahren wie Szenarioanalysen, etwa zur Zukunft des Gesundheitswesens nach der Corona-Pandemie. So entsteht Neues, das sich nicht einfach erdenken lässt. Dieses Neue vor Augen, kann man dann die Frage stellen: Was ist zu tun, um dorthin zu gelangen? Einer, der sich schon früh, aktiv und öffentlich mit Zukunftsgestaltung auseinandersetzte, ist der vor 110 Jahren in Berlin geborene Robert Jungk. Er gilt als einer der ersten Zukunftsforscher. "Die Zukunft ist kein Schicksal", lautet eines seiner bekanntesten Zitate. Was für Jungk im Lauf seines bewegten Lebens als Wissenschaftsjournalist und Friedensaktivist zur Leidenschaft wurde, hat die UNESCO zur essenziellen Fähigkeit des 21. Jahrhunderts erklärt: Zukunftskompetenz, auf Englisch Futures Literacy. Die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur initiiert weltweit Zukunftslaboratorien und vergibt Lehrstühle für Futures Studies und Futures Literacy an Forschungseinrichtungen, Unternehmen und NGOs. Das soll fördern, positive und kreative Zukunftsstrategien zu entwickeln.

Angst vor dem Ungewissen

Zukunftsfit zu werden, ist aber herausfordernd. Sich mit Unbekanntem auseinanderzusetzen, ist schwer. Warum wirft die meisten Menschen alles Neue, Überraschende und Verändernde aus der Bahn? "Das liegt an der neuronalen Struktur unseres Gehirns", erklärt Thomas Druyen, Direktor des Instituts für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien. Das menschliche Gehirn sei auf Gewohntes gepolt, weil es damit am wenigsten Aufwand hat. "Sobald Unvorhergesehenes geschieht-egal ob Negatives oder Positives-,entstehen sofort Angst und Unruhe."Die Folge: Man kann nicht mehr aus dem gewohnten Repertoire schöpfen, sucht Schutz, geistige Beruhigung oder einen Schuldigen. Zukunftskompetenz bedeute im ersten Schritt die Einsicht: Die Zukunft ist das Ergebnis der eigenen Handlungen. Im zweiten Schritt müsse man die aktive Auseinandersetzung mit dem Ungewohnten, Überraschenden und noch nicht Eingetretenen trainieren, um neue neuronale Netzwerke zu knüpfen. Das gelinge am besten, wenn früh damit begonnen werde. Druyen plädiert deshalb dafür, Zukunftskompetenz in allen Bereichen der Gesellschaft zu etablieren, allem voran in Kindergärten, Schulen und auf Universitäten. Auch ein eigenes Zukunftsministerium hält er für angebracht. Wie Unternehmen zukunftsfähig werden, damit befasst sich das Zukunftsinstitut mit Standorten unter anderem in Frankfurt und Wien. Es beschreibt Megatrends wie Globalisierung oder Neo-Ökologie und erarbeitet mit Firmen und Organisationen neue Handlungsstrategien. "Mit der Konstruktion von Zukunft kompetent umzugehen, heißt, ein inneres Selbstverständnis zu entwickeln: "Das ist unsere Zukunft", formuliert es Geschäftsführer Harry Gatterer. Dafür müsse man sich bewusst machen, dass Zukunft nicht im Außen entstehe, sondern in einem selbst. "Natürlich gibt es äußere Veränderungen und Bedingungen, die wir nicht wirklich beeinflussen können. Aber die Vorstellung darüber, wie wir darauf reagieren, haben wir selbst in der Hand."Sich mit Zukunft zu befassen, sei kein "Workshop, bei dem man tolle Bilder malt",sondern ein Wechselspiel zwischen Innen und Außen: Welche Veränderungen und Trends sind erkennbar? Wie relevant sind sie für das eigene Unternehmen? Dafür brauche es Mut, sich aus der Komfortzone locken zu lassen, Offenheit und eine optimistische Einstellung zum Leben. Dass das nicht einfach ist, weiß Gatterer aus Erfahrung. "All diese Dinge klingen super fancy, aber das in den Alltag zu installieren, ist sehr anspruchsvoll, weil der Mensch auf Gewohntes und Wiederholungen gepolt ist."

Aus der Komfortzone lockt auch Simone Engelhardt ihre Klientenschaft. Die studierte Architektin hat 2022 die Münchener Zukunftsagentur shape of new mitbegründet. Sie begleitet Unternehmen und Organisationen bei Produktinnovationen, Teamveränderungen und strategischen Entscheidungen. Als Werkzeuge dienen ihr die kokreativen Methoden des "Futures Thinking"-Ansatzes. Dabei durchlaufen Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen gemeinsam einen zukunftsorientierten Prozess. "Die dafür nötige Ergebnisoffenheit ist gerade für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger oft ungewohnt", erzählt sie. Wer sich mit Zukünften befasse, müsse sich offen für die Signale der Veränderung zeigen, Ungewissheit aushalten und als Chance begreifen können. Engelhardt nennt es "den Zukunftsmuskel trainieren": "Je öfter man sich mit der Zukunft beschäftigt hat, desto besser geht das auch." Am Anfang solcher Prozesse seien die Teilnehmenden oft skeptisch, selbst etwas beitragen zu können. Die Zukunft überlasse man lieber Expertinnen und Experten. "Meistens wird aber schon bald klar, dass jede und jeder sich einbringen kann",sagt Engelhardt. "Gemeinsam über die unterschiedlichen Vorstellungen zu reden, bringt die Menschen aus der passiven Haltung heraus, es entwickelt sich ein Diskurs, neue Perspektiven und Handlungsoptionen tun sich auf-das hat auch etwas Befreiendes."

Kritik an neuen Zukunftsagenturen

Als Klassiker der partizipativen Zukunftsgestaltung gilt die Zukunftswerkstatt-eine international angewendete Methode. Mitbegründet wurde sie vom bereits erwähnten Zukunftsdenker Robert Jungk, der ab 1971 in Salzburg lebte. Vor fast vier Jahrzehnten rief er eine Stiftung ins Leben, die bis heute in Form der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (JBZ) besteht. Diese umfasst 16.000 Medien, lädt laufend zu Diskussionen ein, leitet Zukunftswerkstätten an und bildet darin aus. Dabei kommen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, um in einem moderierten Prozess neue Lösungen für konkrete Herausforderungen zu entwickeln. Etwa: Wie lassen sich Klimathemen besser im Unterricht verankern? Oder: Wie kann man Kinder und Jugendliche vor Gewalt schützen? "Der große Mehrwert dieser partizipativen Methode ist, dass alle Beteiligten mit ihren unterschiedlichen Perspektiven miteinbezogen werden",erklärt die Soziologin Carmen Bayer, die bei der JBZ für die Zukunftswerkstätten mitverantwortlich ist. "Das schafft ein demokratisierendes Moment-nur so kommt eine tragfähige Lösung zustande."

In Salzburg ist auch Reinhold Popp zu Hause. Mit dem akademischen Hintergrund aus Politikwissenschaft, Pädagogik, Psychologie und Philosophie erforscht er heute quasi die Zukunftsforschung. Als Leiter des Institute for Futures Research in Human Sciences an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien beschäftigt er sich mit der Frage, ob und wie seriöse Aussagen über zukünftige Entwicklungen möglich sind: "In den meisten Fällen geht das nur in Form von Szenarien, also Wenn-dann-Aussagen über eine breite Möglichkeit an Zukünften."Aus seiner Sicht gibt es die Zukunftsforschung per se ohnehin nicht. Jede Disziplin betreibe ihre eigene zukunftsorientierte Forschung. Eine seriöse, interdisziplinäre Zukunftsforschung sei nur denkbar, wenn Forschende aus mehreren Disziplinen kooperieren würden. Von Trend-und Zukunftsunternehmen wie dem Zukunftsinstitut hält er wenig. "Sie eignen sich das Forscher-Image an, obwohl sie nicht wissenschaftlich forschen." Darauf angesprochen, verweist Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut auf die Entstehungsjahre und betont, dass heute durchaus mit wissenschaftlichen Methoden gearbeitet werde. Man sei aber keine akademische Forschungseinrichtung, sondern ein Unternehmen, das Auftragsarbeit leiste.

Für die Zukunftsforschung, wie sie Dannenberg von der Freien Universität Berlin versteht, reicht der Einsatz legitimierter Methoden jedenfalls nicht aus. Es sei genauso wichtig, sich kritisch-konstruktiv mit einer Wissensgemeinschaft auszutauschen und transparent zu machen, wie Aussagen entstehen. Die Qualität von Zukunftsforschung kritisch zu hinterfragen, findet er zwar wichtig, zielführender sei es aber, viele unterschiedliche Zugänge zuzulassen: "Das ist notwendig für die Auseinandersetzung mit Zukunft, weil es unglaublich viele Möglichkeiten gibt, sich ihr zu nähern." Eine davon lässt sich ab März 2023 erkunden, in Berlin. Dann startet ein neuer Schwerpunkt im Futurium, mit der Frage: Welche Zukünfte hat die Demokratie?

 

"Provokation statt Innovation"

Spekulatives Design ist ein forschungsorientierter und experimenteller Designansatz, der seit rund zehn Jahren praktiziert wird. Dabei werden mögliche, glaubhafte, wahrscheinliche und wünschenswerte Zukunftsvisionen entworfen, erklärt Maja Dika. Sie hat Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin studiert, arbeitet aktuell im "New Ventures Lab" des Tech-Unternehmens Hoerbiger und ist Mitgründerin des Speculative Futures Vienna Chapter. Es ist Teil der 2015 in San Francisco gegründeten Design Futures Initiative, die Zukunftsdesign etablieren will.
 

Was ist Zukunftsdesign und wie kann es uns weiterbringen?
Maja Dika
Sich Zukünfte vorzustellen, braucht viel Fantasie und Denkkraft. Mithilfe von Design ist das einfacher. Gestaltung hilft uns dabei, ein Bild von möglichen Zukünften zu bekommen. Je mehr davon existieren, desto eher wird uns klar, welche Zukunft wir wirklich haben möchten. Zukunftsbilder beeinflussen, wie wir im Heute handeln. Wer sein eigenes, wünschenswertes Zukunftsbild hat, kann gezieltere Schritte in genau diese Zukunft setzen.
Welche Rolle kann Spekulatives Design dabei spielen?
Dika
Spekulatives Design legt Projekte zwischen Realität und Fiktion an, damit Diskussionen über verschiedene Zukünfte angeregt werden. Die dafür geschaffenen Räume oder Gegenstände dienen als Schnittpunkt zwischen Forschung, Technologie, künftigen Entwicklungen und der Frage, wie wir als Menschen damit umgehen. So werden mögliche Zukünfte ganz konkret, erlebbar und fühlbar. Im Mittelpunkt steht die kritische Auseinandersetzung mit dem Status quo. Es geht nicht um Innovation, sondern um Provokation.
Worin liegt der Unterschied zu herkömmlichem Design?
Dika
Herkömmliches Design basiert auf Problemen, die gelöst werden wollen: Man versucht ein Produkt zu entwickeln, das Konsumierende verwenden können. Zuerst wird recherchiert, dann entworfen. Beim Spekulativen Design ist es umgekehrt: Hier geschieht Recherche durch Design. Man versucht nicht, Probleme zu lösen, sondern sucht mithilfe von Design nach neuen Problemen. Es geht vielmehr darum, Fragen zu stellen, als sie zu beantworten.