„Abtasten auf Augenhöhe“

Vergesst abgedroschene Checklisten: Personalexpertin Martina Pitterle von der Managementberatung Accenture Österreich verrät pra

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Allerdings, hier kommt der Haken: „Talente müssen vor allem selbst aktiv werden.“ Die Hoffnung auf den wundersamen Talentscout, der nach dem Studium mit einem dicken Vertrag in der Hand an die Wohnungstür klopft, könne man abhaken. Stattdessen empfiehlt Pitterle die Beachtung folgender sieben Punkte:

Erstens: Basisarbeit mit Hirn
Punkt eins heißt gezielte Basisarbeit und sollte im Idealfall während des Studiums beginnen. Ein Praktikum gilt als besonders geeignete Vorbereitung für spätere Karrieren: Ein temporärer Mitarbeiter kann seine bereits existierenden Fähigkeiten im Praxistest erproben und gleichzeitig checken, ob das jeweilige Unternehmen respektive die gewählte Branche tatsächlich seinen Vorstellungen entspricht. Als weiterer Katalysator bieten sich Karrieremessen an. Dort treffen kommende Überflieger auf mögliche namhafte Arbeitgeber, die auf solchen Events gerne ihre Fühler nach geeignetem Personal ausstrecken. „Man kann dort mit Verantwortlichen sprechen, sich ein Bild vom Unternehmen machen und seinen Lebenslauf abgeben. Kurzinterviews sind ebenfalls oft möglich“, sagt Pitterle. In akademischen Ausbildungsstätten lässt sich die kommende Laufbahn ebenfalls relevant beschleunigen – auch und nicht zuletzt durch stetige Entwicklung heute gefragter Eigenschaften wie analytisches Denken, Führungsqualitäten, Entscheidungsfreudigkeit oder Teamfähigkeit. Die konkrete Teilnahme an Uni-Projekten oder Wettbewerben bietet jedenfalls Chancen, neben dem rein fachlichen Wissen solche Qualitäten zu festigen.

Zweitens: Soziale Netze
Gezielte Basisarbeit ermöglicht auch das immer noch gehypte Web 2.0, laut Pitterle bereits ein klassisches Recruiting-Tool. Anvisierte Wunschunternehmen sind dort relativ leicht zu finden: Viele Betriebe haben spezielle Human-Resources-( HR-)Seiten bei Facebook eingerichtet und posten Stellen oder Informationen. Eigenwerbung ist umgekehrt genauso möglich: Sollten beispielsweise im Social Network veröffentlichte Studien perfekt zur gerade aktuellen Seminararbeit passen, könnte sich eine Anfrage beim Autor lohnen – damit steht ein womöglich ausbaufähiger Erstkontakt in die Geschäfts- oder Expertenwelt. Eine Warnung ergeht hingegen an alle, die hinter Social Media eine geschützte Werkstatt für Selbstdarsteller vermuten. Personalisten sind im Netz dabei, sehen promillehaltige Partyfotos und lesen politisch unkorrekte oder heikle Statements. Laut einer Studie von Eurocom Worldwide unter Technologieunternehmen sagt bereits jedes fünfte Unternehmen in Europa Bewerbern aufgrund ihres Social-Media- Profils ab. Weiters überprüfen immerhin 40 Prozent der Verantwortlichen sehr wohl, welche digitalen Spuren Bewerber in Social Networks hinterlassen. „Absolventen sollten schon aufpassen, was sie über sich preisgeben. Dieses Material ist öffentlich und auch für Entscheider zugänglich“, so Pitterle.

Drittens: Berufliche Erfahrung
Noch interessierter jedoch zeigen sich Hüter von Arbeitsplätzen an der realen Praxistauglichkeit ihrer Kandidaten. Hier sind die Anforderungen nachhaltig gestiegen und haben sich auch verschoben: Rasches Absolvieren eines Studiums mag vordergründig beeindrucken, bedeutet aber längst keine Freifahrt mehr zu guten Gehältern und dicken Firmenautos (siehe auch Geschichte Seite 18). Es sind Aspekte wie Auslandserfahrung, Zusatzqualifikationen und solide Joberfahrung während der Ausbildung, die gefragt sind. Pitterle: „Wenn jemand in fünf Jahren die Universität geschafft hat, bedeutet das wenig für den Alltag in Betrieben. Wer hingegen Abläufe kennt und in unterschiedlichen Bereichen tätig war, besitzt eindeutig Vorteile.“

Viertens: Schönheitswettbewerb
Überblick kann auch direkt nach dem Abschluss nicht schaden, wenn es endlich um die Wahl erster interessanter Anlaufstellen für Bewerbungen geht. Hier hilft die Wirtschaft mit dem Konzept des so genannten „Employer Branding“: Unternehmen präsentieren sich in der Öffentlichkeit mit Plakaten, Spots oder zielgerichteten Events im Zusammenhang mit Markenprodukten, um für potenzielles Personal attraktiv zu erscheinen – und um sich von Konkurrenten abzuheben sowie gleichsam Magnetismus für Könner zu entwickeln. Alles Umstände, welche der Accenture-Österreich-Personalchefin zufolge eine grundlegende O rientierung ermöglichen, ob Werte, Erscheinungsbild oder Strahlkraft in das persönliche Konzept passen oder ob gar noch mehr geboten wird als eine konventionelle Leiter für den Aufstieg zu Spitzengagen und Chefetagen.

Fünftens: Innere Werte
Denn der Trend geht zum betrieblichen Mehrwert: Immer öfter fragen Kandidaten selbst aktiv nach, ob der Arbeitgeber seiner Belegschaft gelebte soziale Anteilnahme ermöglicht, sei es durch O rganisation karitativer Projekte oder spezielle Auszeiten für solche Vorhaben. Das gute Gewissen wirkt eben gut, auch bei den Talenten: Jobanwärter mit sozialer Ader versprechen zumindest auf dem Papier Engagement und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung.

Sechstens: Klare Worte
Im Ernstfall namens Bewerbungsgespräch rückt allerdings die Corporate Social Responsibility in den Hintergrund. Gefragt sind Professionalität und kundiges Auftreten, weshalb die Expertin akribische Recherche empfiehlt, bevor die Polstertür zum Büro des Personal-Managers aufgeht, um Peinlichkeiten und Leerläufe samt unerquicklichen Konsequenzen tunlichst zu vermeiden. Pitterle: „Dazu gehört auch, dass ich weiß, wie ich mir selbst das Jobprofil vorstelle und wo noch spezifische Fragen auftreten, die für meine Entscheidung wesentlich sind. So kommt man aus der traditionellen Rolle des Bittstellers heraus. Es soll ein Abtasten auf Augenhöhe sein. Sowohl Unternehmen wie Absolvent haben ja etwas zu bieten. Nur wenn es für beide passt, kann eine erfolgreiche längerfristige Zusammenarbeit entstehen.“ Das sollte der Absolvent in einem Gespräch auch gut verkaufen können – fußend auf solider Vorbereitung. Trockentraining in den eigenen vier Wänden oder sogar vor einer Videokamera könnte die Nerven im Vorfeld beruhigen. Als sinnvoll gilt weiters die Konzentration auf einen thematischen Schwerpunkt, damit bestimmte Kompetenzen im Gespräch herausgestrichen werden können. Wichtig ist es auch, gut zuzuhören und gestellte Fragen konkret zu beantworten. Ein paar Sekunden Nachdenkzeit sind effizienter, als unstrukturiert zu plappern.

Siebtens: Mobilität, Flexibilität, Authentizität
Pitterle: „Das betrifft nicht nur die Bereitschaft, sich immer wieder auf komplett neue Situationen einzustellen – ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Arbeit in internationalen Unternehmen. Es betrifft auch geografische Anforderungen. Wer sich auf ein bestimmtes räumliches Gebiet beschränkt, könnte es sehr schwer haben. Wer hingegen sagt, ich möchte zwar ein Home Office, bin aber bereit, jederzeit beruflich zu reisen, verfügt über eine viel bessere Ausgangsposition.“ Diese lässt sich durch Rollenspiele der fragwürdigen Art rasch wieder verschlechtern. Auftritte bei der Bewerbung als Superheld mit Alleskönner-Attitüde gehen rasch nach hinten los, spätestens im beruflichen Alltag. Pitterle: „Was zählt, ist Authentizität. Ein Absolvent darf auch durchaus Schwächen zugeben. Ehrlichkeit ist viel wert. Verstellen hingegen entwickelt sich rasch zum Bumerang.“