Im Übermorgenland

Abu Dhabi: Vom Wüstendorf zur Weltmetropole

Abu Dhabi. Die reichste Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate entwickelte sich in Rekordgeschwindigkeit

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Von Florian Wörgötter

Eine rote Rakete schießt durch die Wüste Abu Dhabis. In der Ferrari World, dem weltweit größten überdachten Freizeitpark, wartet eine Menschenschlange, ängstliche Gesichter darunter, auf eine Runde in der schnellsten Achterbahn des Globus. Eine Italienerin in Minirock nimmt in den Schalensitzen der "Formula Rossa“ neben einer verhüllten Araberin in schwarzer Abaya Platz, die Muslimin stülpt eine Filzmaske über ihr Kopftuch, nur noch ihre Augen sind zu sehen. Beide Mitfahrerinnen pressen ihre Köpfe in die Lehnen, klammern sich am Sicherheitsbügel fest. Tiefes Durchatmen, ein Starren auf sechs rote Lichter. Die Ampel springt auf Grün. In fünf Sekunden beschleunigt der Ferrari auf Schienen von null auf 240 Stundenkilometer.

In durchaus vergleichbarem Schwung katapultierten immense Erdölfunde Abu Dhabi vom Beduinendorf in Richtung Weltmetropole. Der britische Abenteurer Wilfred Thesiger beschrieb das Abu Dhabi von einst als "schäbigen und baufälligen Ort“. Während Staaten wie Kuwait früh über Nacht reich wurden, sprudelte in Abu Dhabi erst 1959 das schwarze Gold. "Wenn alle Erdöl haben, brauchen wir es in Abu Dhabi auch“, kolportiert der englische Schriftsteller Roderic Owen in seinem 1957 entstandenen Roman "The Golden Bubble“ ein Wort des damaligen Scheich Shakhbut. Die Burg Quasr Al Hosn, in der Owen einst vom Herrscher zur Audienz empfangen wurde, besteht bis heute, das einzige Relikt aus einer Zeit ohne Elektrizität und fließendes Wasser.

Lage von Abu Dhabi, Vereinigten Arabischen Emirate

Das im 18. Jahrhundert besiedelte Abu Dhabi liegt im Südosten der Arabischen Halbinsel am Persischen Golf, den Kern der Stadt bildet eine kleine Insel am Mangrovengürtel. Der Blick von oben zeigt ein Schachbrettmuster, nach dem hier Hochhäuser und Straßen angelegt sind. Politisch hinkt der Staat der Ökonomie drastisch hinterher: Ein autokratisches Regime um einen indirekt gewählten Präsidenten regiert die bundesstaatliche Föderation, politische Parteien sind verboten. Des Scheichs Credo - Was fehlt, muss schleunigst her - bestimmt das Geschehen in der Hauptstadt des größten und reichsten der sieben Emirate, die vor vierzig Jahren zum gleichnamigen Staatsgebilde zusammengefasst wurden. "Wir schaffen in einer Generation, wofür andere Jahrhunderte brauchen“, so die gängige Devise. Kamelpfade verwandelten sich in vierspurige Autobahnen bis weit in die Wüste hinein, von Palmen umsäumt. Aus Lehmhütten wurden postmoderne Wolkenkratzer mit Glasfronten, die selbst Kameras mit extremem Weitwinkelobjektiv Probleme bereiten. Das Nomadendasein wurde von einem Leben in Luxus abgelöst - zumindest für eine kleine Oberschicht; nur jeder fünfte der 820.000 Bewohner der Landeshauptstadt Abu Dhabi ist auch emiratischer Staatsbürger. Das Nebeneinander islamischer Werte und westlicher Konsumgier kennzeichnet den Lebensstil im Übermorgenland, Baukräne sein Erscheinungsbild.

Auf der Literaturlandkarte Abu Dhabis sind dagegen in der Mehrzahl weiße Flecken zu entdecken, zumal was Spuren österreichischer Poesie in dem Land betrifft. Man muss in der Vergangenheit lange suchen, um überhaupt Spurenelemente davon zu finden. Der in Galizien geborene Leopold Weiß beispielsweise, der nach seinem Wechsel zum Islam den Namen Muhammad Asad annahm, lebte im südwestlichen Nachbarstaat Saudi-Arabien. 1954 veröffentlichte er "Der Weg nach Mekka“: Kein anderes Buch, der Koran ausgenommen, habe - so ist im Vorwort zu lesen - mehr Menschen den Weg zum Islam gewiesen. Asad zog es aber ebenso wenig in die Emirate wie den Pionier der Wiener Orientalistik, den 1865 verstorbenen Steirer Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall, den Übersetzer der "Märchen aus 1001 Nacht“.

Judith Hornok ist eine der wenigen Österreicherinnen, die es seit einiger Zeit zum Schreiben in die Arabischen Emirate verschlagen hat. Sie sitzt im Café des Emirates Palace Hotels, einem Palast wie aus 1001 Nacht. In der Luft schwebt der Duft von Weihrauch, Myrrhe und Sandelholz. Was im - ein weiterer Superlativ à la Abu Dhabi - ehemals teuersten Hotel der Welt glänzt, ist Gold. Selbst die Flocken im hauseigenen Cappuccino sind aus 24-karätigem Edelmetall. Hornok bestellt stilles Wasser, vortemperiert. Sie spricht schnell, man muss ihr nur wenige Fragen stellen, um viele Antworten zu bekommen.

"Der Alltag ist hier von Multikulturalität geprägt“, so die quirlige Wienerin. "Pakistanis, Deutsche, Inder, Briten, Amerikaner und Araber leben in Abu Dhabi im Grunde friedfertig miteinander.“ Zur arabischen Welt hielt Hornok zuvor lange Distanz, zu sehr war ihr Bild von Terrorismus, Diktatur und Unterdrückung verstellt. "Ich habe mich ehrlicherweise ein wenig geängstigt und war dann umso überraschter über die Freiheiten, die Frauen in Abu Dhabi genießen, über die Gastfreundschaft und Großzügigkeit.“

In ihrem Buch "Moderne arabische Frauen“, erschienen 2011 im Molden Verlag, beschreibt Hornok eine Frauengeneration der Vereinigten Arabischen Emirate, die sich durch eine neue Art zu denken auszeichnet. Hornok traf erfolgreiche Frauen aus Kunst und Literatur, Wirtschaft und Politik, interviewte sogar eine professionelle Rennfahrerin - und blickte buchstäblich hinter den Schleier. Vieles davon, so will es nicht nur die offizielle Geschichtsschreibung, geht auf Visionen zurück, die Regent Zayed bin Sultan Al Nahayan in den vierziger Jahren überkamen, als er die sieben Emirate zu einem Staat einte. Bisweilen vergleicht Hornok Scheich Zayed mit Formel-1-Impresario Bernie Ecclestone. Zayed hätte aber, so Hornok, weniger Millionen in Überzeugungsarbeit stecken müssen.

Vor seinem Tod 2004 gab der Herrscher die nach ihm benannte Scheich-Zayed-Moschee in Auftrag. Das drittgrößte Gotteshaus der islamischen Welt bietet 40.000 Gläubigen Platz und ist das wichtigste religiöse Bauwerk der Emirate, das auch eine Bibliothek mit 50.000 wertvollen Büchern beherbergt. Die Frage, ob sich denn auch österreichische Literatur in die Regale verirrt habe, entringt dem Bibliothekar ein mildes Lächeln: "Only German.“ Mit Lesestoff aus Austria, aus "An-Nemsa“, wie der arabische Volksmund Österreich nennt, könne er beim besten Willen nicht dienen. Was wohl stimmt, und dann auch wieder nicht. Auf einem Podium nahe dem Eingang zur Bibliothek ist ein Buch mit goldenen Lettern platziert: "Alt-orientalische Teppiche“. Im Buchinneren sind Farbdrucke einer bedeutenden Teppichsammlung zu finden, auf der ersten Seite der Hinweis: "Herausgegeben vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie. Erschienen 1926 im Verlag von Anton Schroll & Co in Wien“.

Der Wiener Hugo Wetscherek wäre wohl erfreut über einen Fund wie diesen. Wetscherek führt das Wiener Antiquariat "Inlibris“, die literarische Spurensuche ist sein Beruf, sein Befund klar: "Es gibt definitiv nicht viele Autorinnen und Autoren aus Österreich, die in ihrem Werk den Weg an den Arabischen Golf fanden.“ Wetscherek hingegen reist einmal pro Jahr mit einem Koffer voller Raritäten nach Abu Dhabi, Ziel des Händlers ist die internationale Buchmesse. Ein Glanzstück seiner Sammlung ist einer der wenigen erhaltenen Originaldrucke von Gasparo Balbis "Viaggio dell‘ Indie Orientiali“ (1590), in dem neben den Arabischen Emiraten auch die Stadt Abu Dhabi erstmals namentlich erwähnt wird. Ein weiteres Juwel aus Wetschereks Sammlung ist ein Band mit Lithografien, "The Finest Work on Falconry“, eine Sammlung handkolorierter Illustrationen lebensgroßer Falken aus dem 19. Jahrhundert, die von 150.000 Euro aufwärts kosten. Der Wiener Antiquar weiß um die Liebe des Scheichs zum Falken, der in Abu Dhabi als Statussymbol und Wappentier zugleich fungiert. Die Vögel leben als Teil der Familien, sie reisen mit eigenem Pass und kommen im Krankheitsfall ins eigens errichtete Falkenspital Abu Dhabi.

Auch Judith Hornok plant, dieses Jahr auf der 22. Abu Dhabi International Book Fair, die vom 28. März bis 4. April stattfinden wird, zu Gast zu sein. Die ortsansässige Kulturbehörde veranstaltet die Buchleistungsschau gemeinsam mit der Frankfurter Buchmesse. Abseits der Buchmesse werden rund 100 deutschsprachige Werke pro Jahr ins Arabische übersetzt, darunter Rainer Maria Rilke, Erich Fried, aber auch Zeitgenössisches von Daniel Kehlmann, Arno Geiger und Michael Köhlmeier.

Abu Dhabi und seine Sucht nach Superlativen lockte einst auch Genoveva Kriechbaum. Die Wiener Medienkünstlerin und Fotografin hegt ein Faible für architektonische Mammutprojekte. Sie hat der Scheich-Zayed-Moschee deshalb eine kürzlich eröffnete Fotoausstellung mit dem Titel "The Grand Mosque - Spirit in the Making“ im vis-à-vis gelegenen Hotel Fairmont gewidmet. "Als gelernte Österreicherin“, lacht die Künstlerin, "bewundere ich Scheich Zayeds Glauben an die Zukunft.“ Mit ihrer Kamera schlich Kriechbaum über vier Jahre hinweg immer wieder in den Rohbau der Moschee, lange bevor diese 2008 für Touristen offen stand. Kriechbaum dokumentierte den Prozess der Entstehung, am fertigen Prunkbau ist sie weniger interessiert. Die Fotos zeigen neben Kuppeln und Mauerbögen auch Windtürme, die mittlerweile abgerissen wurden. Die Fotoarbeit selbst, erinnert sich Kriechbaum, sei von etlichen Hindernissen geprägt gewesen: "Es kam öfters vor, dass ich mich am Metallgehäuse der Kameras, die sich in der extremen Sonne erhitzt hatten, verbrannte.“

Eine Gruppe von Männern schlendert durchs Hotelfoyer, betont achtlos an den Arbeiten Kriechbaums vorbei. "Mit Kunst wird hier bisweilen eher unsensibel verfahren“, kommentiert Kriechbaum. "Kunst muss in Abu Dhabi Markenzeichen sein.“

Den Beweis dafür soll dereinst Saadiyat Island antreten. Auf der Wüsteninsel sollen Museen, darunter Dependancen von Guggenheim und Louvre, das neue kulturelle Zentrum der Stadt bilden. Derzeit ist an Fertigstellung jedoch nicht zu denken. Die Wirtschaftskrise ist selbst im Märchenland Abu Dhabi zu spüren. Genoveva Kriechbaum wird ihre Arbeiten weiterhin in Galerien präsentieren. Ihre nächste Ausstellung dürfte in Abu Dhabi, dem Land im Geschwindigkeitsrausch, allerdings mehr Interesse erwecken. "Poetry of Speed“ ist das Projekt überschrieben.

Reise. Viele österreichische Autoren haben weit über die Landesgrenzen hinaus ihre biografischen und literarischen Spuren hinterlassen: Die Klagenfurter Dichterin Ingeborg Bachmann lebte und starb in Rom; der k. u. k. Literat Franz Werfel thematisierte in seinem 1933 veröffentlichten Historienepos "Die vierzig Tage des Musa Dagh“ den Völkermord an den Armeniern durch die türkischen Belagerer; die Indien-Visiten von Büchnerpreisträger Josef Winkler finden sich als vielfältiges literarisches Echo in dessen Werk. Nach der 2008 unternommenen Erkundung zentraler literarischer Schauplätze der Donaumonarchie und den 2010 und 2011 publizierten poetischen Spurensuchen - etwa in Tel Aviv, Kopenhagen, Kairo, Costa Rica, China, Rio de Janeiro und Istanbul - begibt sich profil in einer neuen mehrteiligen Serie auf die Fährte der historischen und gegenwärtigen Spuren, die Österreichs Literatur im Ausland hinterlassen hat: unter anderem in Sri Lanka, Abu Dhabi, Griechenland und Thailand.