Das Dilemma des guten Einkaufs: Ist "bio" wirklich noch "bio"?

Um eine Veränderung der festgefahrenen Strukturen in der Landwirtschaft herbeizuführen, ist nicht nur bewusster Konsum gefragt, sondern auch politisches Bewusstsein. Georges Desrues über das Dilemma des guten Einkaufs.

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Als im Frühjahr 2013 ein Video im Internet auftauchte, das verwahrloste und misshandelte Legehennen auf dem Hof von Deutschlands größtem Bio-Eier-Erzeuger zeigte, war plötzlich auch das letzte Argument infrage gestellt, das bislang für biologische Lebensmittel gesprochen hatte. Bereits vor dem Skandal belegten Studien immer wieder aufs Neue, dass solche Lebensmittel weder besser schmecken würden noch der Gesundheit zuträglicher seien als konventionell erzeugte. Nun war also auch klar, dass der Verbraucher sich nicht darauf verlassen konnte, dass Produkte mit Bio-Siegel zwangsläufig dem Wohl der Nutztiere und der Umwelt zugute kommen.

Symposium zum Thema "bio"

All das zusammengenommen führte dazu, dass das durchwegs positive Image, das biologischen Lebensmitteln einst anhaftete, heute stark angekratzt ist. Bei dem kurz vor Ostern abgehaltenen Symposium "Anständig essen - Ist bio tatsächlich besser?“ ging es darum, herauszufinden, welchen Platz biologisch erzeugte Lebensmittel heute tatsächlich noch in unserem Konsumverhalten einnehmen - oder einnehmen sollten. Gesprochen haben auf Einladung und unter Moderation des Autors und ehemaligen profil-Chefredakteurs Christian Seiler die Agrarwissenschafterin Andrea Heistinger; die Handelswissenschafterin und Geschäftsführerin der Bio-Marke "Ja! Natürlich“, Martina Hörmer; der Koch Walter Eselböck sowie der Schauspieler Roland Düringer. Vor allem letztere zwei plädierten stark dafür, Lebensmittel direkt beim Erzeuger zu erstehen, anstatt auf die oftmals beschönigenden Werbestrategien des Handels zu hören.

Dass bio bei einer informierten und kritisch denkenden Schicht von Verbrauchern inzwischen "out“ ist, liegt gleich an mehreren Faktoren. Zum einen tragen Betrugsfälle wie der eingangs genannte Schuld an der Verunsicherung der Konsumenten - wenngleich auch zahlreichen vorbildhaft arbeitenden Landwirten damit Unrecht getan wird. Zum anderen liegt es an der Lebensmittelindustrie und dem Großhandel, die den Begriff "biologisch“ häufig als Marketingtool missbrauchen, um einen Mehrwert für ihre Produkte zu erzielen. Schließlich ist auch der Bio-Anbau selbst verantwortlich für sein ramponiertes Image: Um eine gesteigerte Nachfrage zu befriedigen, hat er sich in den vergangenen Jahren zunehmend industrialisiert, weswegen man heute von einer Konventionalisierung des Biolandbaus spricht.

Der größte Fehler der Neuzeit aber sei es gewesen, sagt der italienische Soziologe, Slow-Food-Gründer und Autor Carlo Petrini, "die Logik der industriellen Produktion auf die Landwirtschaft“ zu applizieren. Dadurch habe man ein System der Nahrungsmittelerzeugung geschaffen, bei dem es in erster Linie darum geht, höchstmöglichen Ertrag bei möglichst geringem Input von Wareneinsatz, Arbeitskraft und Zeitaufwand zu erzielen. Dies führte nicht nur zu einem dramatischen Qualitätsverlust der erzeugten Lebensmittel, sondern auch zu einer verstärkten Belastung der Umwelt und zur Verschlechterung der Bedingungen in der Nutztierhaltung.

Handelsketten setzen auf billigere Importware

Was zuerst nur die konventionelle Landwirtschaft betraf, ist in der biologischen Landwirtschaft inzwischen längst zum Standard geworden. In Zeiten der Globalisierung tritt zudem die Situation ein, dass sich die Handelsketten mit biologisch erzeugter Importware versorgen, wenn diese billiger erhältlich ist, statt auf die von heimischen Landwirten erzeugte Ware zurückzugreifen. Wodurch sich die Frage stellt, ob es tatsächlich im Sinne eines verantwortungsvollen und umweltbewussten Konsums ist, wenn man aus Ländern wie beispielsweise Ägypten Kartoffeln bezieht, die zwar dank dort praktizierter Billiglöhne weniger kosten, gleichzeitig aber mehr wertvolles Wasser im Anbau und mehr Treibstoff im Transport verbrauchen. Ganz abgesehen davon, dass die Standards in diesen Ländern weit schwerer zu überprüfen sind.

Natürlich würden die meisten Verbraucher sich darüber freuen, gäbe es ein kennzeichnendes Siegel, dem man ohne lange nachzudenken vertrauen könnte, um beim Einkauf stets zum "besten“ verfügbaren Lebensmittel zu greifen. Leider ist es aber so, dass die Sachlage viel komplizierter ist, als dass eine solche Kennzeichnung Abhilfe schaffen könnte. In die Pflicht genommen gehört aber nicht nur der Konsument, sondern in erster Linie die Politik. Sie ist es, die durch Anreize und Subventionen eine umweltfreundliche und zukunftstaugliche Form der Landwirtschaft fördern sollte. Für den Einzelnen würde das die ernüchternde Erkenntnis bedeuten, dass es weniger sein korrektes Verhalten als Verbraucher ist, das den Unterschied macht, sondern vielmehr seine politische Mündigkeit, mit der er der Politik die richtigen Entscheidungen, etwa in Bezug auf Saatgutgesetze, abzuverlangen hat. Was ihn freilich vor eine ungemein größere Anforderung stellt, als beim Einkauf einfach nur nach dem richtigen Bio-Siegel Ausschau zu halten.

Georges Desrues lebt als Food-Journalist in Italien und ist Co-Autor des alljährlich erscheinenden Guide "Slow Food“ (Echomedia Buchverlag)