Der Klang des Geldes

Der Klang des Geldes: Legendäre Schallplatten als Sammlerschatz

Musik. Legendäre Schallplatten als Sammlerschatz

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Von Christian Prenger

They never come back, lautet ein eisernes Dogma im Boxsport. Die Welt der Unterhaltung tickt anders – auch was ihre Hardware betrifft. Denn seit Kurzem feiert ein Tonträger sein unerwartetes Comeback, den bis auf nostalgische Hardliner fast alle Profi-Auskenner längst als musealen Staubfänger abgelegt hatten: die Schallplatte.

Nach der digitalen Revolution, die von der Compact Disc eingeläutet wurde, sah deren Zukunft tatsächlich trist aus. Im Schatten der zum modernen Heilsbringer erklärten CD führte Vinyl seither wirklich nur mehr ein karges Dasein, von Konsumenten hämisch als Auslaufmodell betrachtet für den Althippie-Dino-Park.

Jetzt hat der Zeitgeist den Oldie aber wieder aus der Versenkung geholt: LPs und Singles gelten zunehmend als schicke Antithese zur sterilen Download-Welt oder als imagefördernde Ziergegenstände für Bobo-Wohnungen. Tendenz steigend: In Österreich etwa betrug der Umsatz mit Vinyl 2011 laut dem Branchenverband IFPI 1,5 Millionen Euro, 2013 waren es 2,5 Millionen Euro. „Vinyl wird endlich ein ähnlicher Stellenwert eingeräumt wie anderen Kunstgenres. Vor allem deshalb, weil die Käufer ein Alter erreicht haben, in dem wertvolle Objekte für sie auch leistbar geworden sind“, weiß Jörg Lauermann, Besitzer des Wiener Plattenladens Record Shack.

Vinyl als Anlageform
Der Griff in die Tasche erfolgt jedoch keineswegs immer nur wegen der schönen Rundungen oder Rückführungen in sonnige Jugenderinnerungen – sondern aus schnödem, materiellem Kalkül. Denn jenes im öffentlichen Kurs stark gestiegene Speichermedium eignet sich heute auch als Anlageform.

Besitzer von seltenen Scheiben können nämlich mit ihren Schätzen beim Weiterverkauf ordentlich Geld einsacken. Und auch für ehemalige Plattenfans, die sich längst ihrer Sammlungen entledigt haben, ist die Basisprozedur einfach: Sie beginnt mit dem Aufspüren interessanter Schallplatten, in die es sich zu investieren lohnt. Danach wartet man den richtigen Zeitpunkt ab und verkauft sie an hungrige Sammler mit gutem Gewinn. Welch finanzielle Dimensionen das Business rund um schwarzes Gold annehmen kann, zeigt eine Ikone der Musikwelt.

Im Jahre 1963 wurde eine kleine Auflage des Albums „The Freewheelin’ Bob Dylan“ nicht an den Handel ausgeliefert, weil der Musiker vier Songs nicht veröffentlicht sehen wollte. Die fehlten dann auf der modifizierten Scheibe. Jene LP ist heute ein wahrer Diamant und Fans und Sammlern bis zu 30.000 Euro wert.

Solche Summen stellen natürlich keineswegs die Regel dar – aber sie demonstrieren das oft erstaunliche monetäre Potenzial hinter dem Handel mit Klangkonserven. Im Gegensatz zu manchen Wertpapieren erweist sich Vinyl auch als stabiler Faktor für den musikbeflissenen Anleger, der lieber an Pink Floyd denkt als an die nächste Krise.

Sofern der Besitzer echte Schätze im Schrank bunkert. Nicht jedes beliebige Objekt ist eine potenzielle Goldmine, nur extrem rare und sehnsüchtig gesuchte Platten stellen tatsächlich Gewinne in Aussicht: Mini-Auflagen mit ein paar hundert Stück, streng limitierte Spezialpressungen, Fehlpressungen, farbiges Vinyl sowie Exemplare für die Presse-Promotion mit einigen unveröffentlichten Songs.

„Echte Raritäten verzeichnen bereits Wertsteigerungen von 20 Prozent pro Jahr“, erklärt Thomas Epple, der mit www.vinyltom.at einen renommierten Online-Marktplatz für Sammler betreibt. „Solche Zahlen machen Schallplatten eben für Leute interessant, die Geld investieren wollen.“
Auf den Künstler selbst kommt es natürlich gleichermaßen an. Bei No-Names wird trotz aller Spezialauflagen ein Investment überwiegend in die Hose gehen, weil immer nur wenige Newcomer den Sprung zum Kultstatus schaffen. Blue Chips bilden hingegen die Granden des guten Klanges: Beatles, Stones, Elvis, Jimi Hendrix oder Beach Boys gelten als feine Adressen und Dauerbrenner für den Anleger, sollte dieser die richtigen Exemplare besitzen.

So wie „Necrophilia“, das sagenumwobene Werk der Rolling Stones von 1972, das nie regulär in den Handel kam. Hier wurde angeblich der Plattenfirma die Sache aufgrund gewagter Texte zu heikel. Der vermeintliche Aufreger wanderte ins Archiv – bis auf fünf Testpressungen für das Management der Stones.

30.000 für den Mythos
Über 30.000 Euro legen Käufer für einen solchen Mythos heute auf den Tisch. Oder noch mehr. Begleitet wird diese LP nämlich von einer Legende: Ein heimischer Sammler soll einst eine Million Schilling (ca. 73.000 Euro) für jene Platte gelöhnt haben.

Neben Big Names sind es weiters populäre Labels, die Goldrausch-Fantasien nähren. Blue Note, ein Heiligtum der Jazz-Szene, gilt bei frühen Mono-Werken als Fast-Automatismus für hohe Preise. Die 1958er-LP „The Congregation“ von Saxofonist Johnny Griffin etwa ist kaum noch unter 1200 Euro zu bekommen.

Trotz aller Verheißungen zeigt der Vinyl-Anlagemarkt aber seit Kurzem feine Kratzer. Eine Unmenge teilweise offizieller, teilweise aber auch illegaler Wiederveröffentlichungen von wertvollen Platten aus allen Stilrichtungen drückt die Preise teilweise radikal nach unten. Vor allem bei Produkten, wo Cover und Medium wie das Orginal aussehen. Preisbewusste Käufer bringt so etwas freilich zum Denken. Deren Überlegung ist einleuchtend: Warum hohe Summen ausgeben, wenn der Klon um 20 Euro auch gut gemacht ist. Das macht manch gesuchtes Objekt automatisch zum Regalhüter, die Nachfrage sinkt zumindest unter echten Puristen – womit Hoffnungen auf Gewinne vorläufig auf die lange Wartebank geschoben sind.

Solche Neuveröffentlichungen, die nicht selten aus dubiosen Quellen stammen, betreffen derzeit häufig eine Richtung namens Krautrock. Diese abwertende Bezeichnung verpasste die englische Presse deutschen Rockbands der frühen 1970er-Jahre, die aus deren Sicht zweitklassige Trittbrettfahrer darstellten. Tatsächlich war das Etikett „Made in Germany“ damals alles andere als ein Turbo für Erfolge.

Heute jedoch ärgern sich viele, die LPs von Bands wie Baumstamm, Ash Ra Tempel, Lava, Odin, Eloy oder King Pin Meh in Billig-Wühlkisten versauern ließen. Als dann 1980er-Jahre-Superstars wie Blondie oder Depeche Mode besagte deutsche Kollegen plötzlich als Einfluss nannten, hat sich das Blatt gewendet. Über Nacht wurden aus Underdogs absolute Liebkinder. Ein Originalexemplar der gleichnamigen Platte von Subject Esq. kostet mittlerweile mehrere hundert Euro – in einem Genre, in dem für manche Objekte teils Manager-Monatsgehälter verlangt werden, ist das schon fast ein Geschenk. Denn Krautrock-Pressungen, meist nur in minimaler Stückzahl produziert, sind gesucht wie der berühmte Bissen Brot. Der Besitzer des gleichnamigen Albums von Analogy etwa kann 3500 Euro von Interessenten verlangen. Zu jener Seventies-Spezies wird übrigens auch eine ziemlich teure Austro-Band gezählt: Für das 1972er-Album von Paternoster löhnen Sammler bis zu 2000 Euro.

Sensible Sammler
Sofern die Qualität stimmt. Fette Summen erzielen nur Exemplare, die sich unabhängig von ihrem Alter noch in einem erstklassigen Zustand befinden. Dicke Kratzer, Schmutz, zerschlissene Hüllen, Zigarettenspuren oder launige Notizen auf dem Cover mindern den Wert bis hin zu null, so selten das Stück auch sein mag. Vinylton.at-Betreiber Epple: „Sammler sind eben sehr sensibel, da kann der kleinste Fleck auf dem Cover oder ein Kratzer im Vinyl aus dem vermeintlichen Goldstück einen Ladenhüter machen, weil niemand für eine Schallplatte in schlechtem Zustand so viel bezahlt.“
Anlagen in diesem Bereich erfordern eben oftmals Geduld, bis der Kurs steigt, besonders, wenn es sich um Exemplare handelt, die abseits der Superstar-Liga rangieren. Das richtige Know-how ist ein weiterer wichtiger Faktor: Der Einsteiger benötigt kompaktes Wissen über Bands, Genres, Epochen oder Underground-Größen, denen kleine Zirkel große Huldigung schenken. Wer also bei Kraan eher an eine Baufirma statt an eine deutsche Gruppe der Rock-Frühzeit denkt, dürfte bei traditionellen Fonds doch besser aufgehoben sein.

Die erforderlichen Kenntnisse muten manchmal wie eine Geheimwissenschaft an, das demonstrieren selbst so legendäre Bands wie The Beatles. Im Falle ihres berühmten weißen Albums geht es nämlich auch um Zahlen, die auf dem Cover verewigt sind. Die ersten vier Exemplare mit den Seriennummern 0000001 bis 0000004 gingen in den Besitz der Liverpooler über. 2008 wurde dann die LP 0000005 für knapp 23.000 Euro versteigert. Jede weitere niedrige Nummer finanziert auch einen Traumurlaub – sofern der Verkäufer über solche Mystizismen bei Sammlern Bescheid weiß.

Ein Lotto-Treffer dieser Dimension funktioniert eben nur über massive Insider-Kenntnisse. So wie bei „God Save The Queen“ von den Sex Pistols. Dass die Punk-Pioniere für ihre zweiten Tonträger zuerst bei der US-Firma A&M unterschrieben hatten, wurde nie an die große Glocke gehängt. Der Chefetage war offenbar spät aufgefallen, dass Sänger Johnny Rotten und seine Kollegen mit ihrem Skandal-Ruf nicht zum honorigen Image passten. Der Vertrag wurde aufgelöst, die wenigen nicht eingestampften Singles kosten oder bringen – je nachdem, auf welcher Seite man steht – vierstellige Euro-Beträge.

So viel Kleingeld muss aber grundsätzlich niemand in der Portokasse haben, wenn er als Vinyl-Anleger sein Glück versuchen will. Es muss ja nicht gleich der Überflieger aus den Sixties sein, für den man eine dicke Vorfinanzierung leisten muss – seit Vinyl nicht zuletzt auch wieder bei jungen Leuten zieht, haben die Tonträgerfirmen reagiert, der Markt ist komplett in Bewegung geraten. Immer mehr Alben von bekannten Acts erscheinen auch auf Platte, limitiert und sogar handnummeriert. Oder sie werden mit Bonustracks versehen, die nicht auf der CD zu finden sind. Solche Auflagen sind rasch vergriffen und stellen feine Rendite in Aussicht, falls Jahre später ein finanzkräftiger Audiophiler anklopft. Möglicherweise bei einem jener Events, die Spezialisten in Ekstase versetzen: Plattenbörsen wie jene des Tonträgergeschäftes Moses Records, die in Wien vier Mal im Jahr in der Berufsschule Längenfeldgasse im zwölften Bezirk stattfinden. Am 20 und 21. September öffnet jene Stätte der Begegnung der Vinyl-Freaks wieder ihre Pforten. Aussteller aus mehreren Ländern verkaufen hier Rares, Obskures und natürlich auch Gängiges aus allen Stilrichtungen.

Eine absolute Pilgerstätte für Händler, Fans, Sammler, Fetischisten und Anleger befindet sich eine halbe Zugstunde entfernt von Amsterdam. Auf der zwei Mal jährlich stattfindenden „Mega Record & CD Fair“ im holländischen Utrecht bieten weit über 400 Händler aus der ganzen Welt auf der größten europäischen Börse dieser Art ihre Waren an, darunter jede Menge ausgefallene und hochgradig seltene Objekte.

Die Spannung an diesen Orten wird durch Unvorhersehbarkeit gefördert: Niemand weiß bis zur Stunde X, ob er seinen Schatz findet oder jemand die Riesensumme für das angebotene Juwel bezahlt. Vielleicht ergeht es einem Glückspilz wie dem leidenschaftlichen Plattensammler Warren Hill: Für 75 Cent erstand er im New Yorker Stadtteil Chelsea beim Trödler eine alt aussehende Platte. Ein Händler in Oregon machte den Kanadier irgendwann aufmerksam, was er erstanden hatte: den Vorläufer von „The Velvet Underground & Nico“, mit dem die von Andy Warhol gepushte Band 1966 bei Plattenfirmen vorstellig wurde. Der Appetizer entpuppte sich als ein Exemplar der verschollenen Rohversion auf Acetat, worauf Lieder in anderen Fassungen enthalten sind als auf dem Debütalbum.

Jenes Fundstück wurde über das Online-Auktionshaus eBay für immerhin 25.000 Dollar versteigert. Mitbieter haben da vielleicht an den legendären Abba-Hit gedacht: The Winner Takes It All.

Infobox

Wertvolles Vinyl
Seltene Alben und ihre Preise (in sehr gutem Zustand)

Beatles
The White Album: LP Nr. 0000005 ist 23.000 Euro wert.

Velvet Underground
Die Demo-Version brachte via eBay 25.000 Euro.

Bob Dylan
The Freewheelin‘: (1963) kostet bis zu 30.000 Euro.

Johnny Griffin
The Congregration (1958): nicht unter 1200 Euro zu haben.

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Foto: Reiner Riedler für profil