Energiewirtschaft: "Beim Strom wird geurasst"

Eine falsche Förder- und ziellose Investitionspolitik blockiere die heimische Energiewirtschaft, bemängeln die Ökostromanbieter Cord Prinzhorn und Philipp Rehulka. Mit MeinAlpenStrom wollen sie stärkere Drehkraft in die festgefahrenen Turbinen bringen.

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profil: Wie "sprungbereit“ sind die Österreicher in Bezug auf Anbieterwechsel? Cord Prinzhorn: 80 Prozent der Österreicher haben noch nie gewechselt; da liegt das größte Potenzial für uns. Wobei es viel Lobbying gegen den Wechsel gibt, indem etwa Gerüchte gestreut werden, dass die Versorgung zusammenbrechen würde, wenn mal ein Baum auf eine Stromleitung fällt. Das ist Arbeiten mit der Angst.

profil: Bewegt sich nicht auch etwas aufgrund der immer stärker werdenden Bewusstseinsbildung via Öffentlichkeit? Philipp Rehulka: Die Wechselraten steigen, und sie steigen zu langsam. Aber es stimmt: Mehr Auseinandersetzung bringt mehr Wissen. Was uns wichtig wäre, ist, dass die Tarifkalkulatoren auch anderes berücksichtigen als ausschließlich die Preise. Ich finde es zum Beispiel nicht richtig, dass die Herkunft nicht angegeben ist. Man weiß nicht, ist das Strom, der mit norwegischem Öko-Strom gelabelt ist, oder kommt er wirklich aus Österreich? Solche Dimensionen kommen nicht vor, und das tut uns weh, weil wir genau diese Argumente in den Vordergrund stellen. Prinzhorn: Die Kunden werden diesbezüglich nämlich immer sensibler. Man merkt es bei der Nahrung: Die Leute achten darauf, dass sie regionale Produkte kaufen, denn man kann nicht ewig alles kreuz und quer über den gesamten Erdball transportieren. Das gilt auch für den Strom. Wir können unsere Qualität bis zu 20.000 Kunden ganz problemlos halten. Darüber hinaus gibt es in Österreich Hunderte Kleinkraftwerke, die derzeit alleine dastehen und nicht wissen, wohin mit ihrem Strom.

Die Leute achten darauf, dass sie regionale Produkte kaufen (...). Das gilt auch für den Strom.

profil: Das ist Ihre Ausweitungsstrategie? Prinzhorn: Genau. Wir würden Kleinwasserkraftwerke dazuschalten, die aus der Förderung rausgefallen sind und jetzt zu Spottpreisen in den Markt liefern müssen. Die könnten unter der Dachmarke MeinAlpenStrom ihren eigenen Strom vertreiben. Wir haben es aber nicht eilig, weil wir sind noch nicht ausverkauft. (lacht)

profil: Wenige Monate nach der MeinAlpenStrom-Gründung haben Sie in einem Interview 100 neue Kunden pro Woche angegeben. Trifft diese Zahl auch ein Jahr später zu? Rehulka: Wir haben knapp unter 4000 Kunden. Das ist der Erfolg des ersten Jahres. Wir sind dort, wo wir ungefähr sein wollen, aber man hat nie genug.

profil: Wo orten Sie das größte Potenzial? Prinzhorn: Die Schwerpunkte sind natürlich von der Steiermark ausgehend, aber wir bieten in ganz Österreich an. Starke Vorteile haben wir in jenen Bundesländern, in denen die Versorger besonders frech sind und sieben bis acht Cent pro Kilowattstunde verrechnen - wir machen ein Angebot von 4,5 Cent im ersten Jahr und 5,5 Cent ab dem zweiten.

profil: Im Vorjahr hatten Sie noch mehrfach kritisiert, dass sich die Stromanbieter vor allem im Osten wie ein "offenes Kartell“ gebärden würden. Hat sich an dieser Situation etwas geändert? Prinzhorn: Ich glaube, dass die großen Landesversorger ohne Förderungen gar nicht funktionieren würden. Denn wenn die Strompreise sinken, erhöhen sie einfach die Netzkosten. Das passiert derzeit so. Ich bin aber durchaus für Regulierungen - der Staat sollte Grenzen setzen, was Unternehmen machen dürfen, und was nicht. Die Netzbetreiber gehören in eigene Gesellschaften gefasst ebenso wie die Stromlieferanten, damit beide Seiten effizient arbeiten. Beim Strom wird aber geurasst: Es gibt Landesversorger, die haben einen eigenen Fußballclub oder schalten teure Werbung. Wozu Werbung, wenn die Leute ohnedies bei ihnen den Strom beziehen? Das alles zahlen ja die Kunden mit. Aber das sensibelste Thema für mich ist dieses Nicht-Trennen von Strom und Netz.

Beim Strom wird aber geurasst: Es gibt Landesversorger, die haben einen eigenen Fußballclub

profil: Mitte Oktober startet Ex-E-Control-Chef Walter Boltz mit einer Plattform, die Energieoptimierung für Haushalte anbietet - mit automatisch eingeleitetem Wechsel. Was halten Sie davon? Rehulka: Sollte es tatsächlich so sein, wäre das ein disruptives Modell, das ich cool fände. Grundsätzlich begrüßen wir jedes Konzept, das den Wechsel fördert. Prinzhorn: Die Frage bei dem Geschäftsmodell ist: Wo verdient Boltz? Irgendwo muss eine Provision drinnen sein - und das ist verdeckt. Wenn man über ein staatliches, nicht marktgeregeltes System eine Marktregelung drüberstülpt, muss man transparent machen, wo einer was verdient.

profil: Verbund-Chef Anzengruber kritisierte kürzlich, dass die Dauerförderung privater Kraftwerke, die Marktkräfte ausschalten würde. Polemik - oder hat er recht? Rehulka: Das Problem für uns alle ist die tarifliche Förderung, nicht die Investitionsförderung, die auch wir bezogen haben, etwa in der Höhe von zehn Prozent. Die Investitionsförderung ist ein guter Anreiz, in einen guten Standort zu investieren. Aber man schmeißt das Geld nicht beim Fenster hinaus, weil man 90 Prozent immer noch selbst bezahlt. Wenn ich hingegen beim Stromverkauf - wie zum Beispiel bei der Windkraft - statt drei Cent, auf 15 Jahre gesichert 9,2 Cent bekomme, gibt es keinen Anreiz, rational zu produzieren. Prinzhorn: Gerade bei der Windkraft wird es noch lustig. Vor 15 Jahren haben ja alle gedacht, das fördern wir jetzt, und dann haben wir in 15 Jahren quasi den Gratis-Strom. Jetzt ist es so: Entweder man baut ab oder man macht ein Revamping, indem man den Zylinder aufstutzt und eine neue Turbine draufsetzt. Nun sind die Abbaukosten aber so teuer, dass es sich nicht rechnet, aufzuhören. Also machen alle ein Revamping und bekommen eine neue Förderung. Dass es nach der ursprünglichen Förderung heute eine weitere Förderung braucht, zeigt, wie absurd die ganze Situation ist - da bin ich mit Anzengruber einer Meinung.

profil: Die fehlende Effizienz ist eine allgemeine, immer wiederkehrende Kritik beim Thema Ökostrom. Erst zuletzt wurde bemängelt, dass der Ausbau der Netze hinterherhinken würde und immer länger werdenden Transportwege immer höhere Kosten verursachen würden, was wiederum zu Lasten des Kunden gehen würde. Rehulka: Dieses Problem betrifft oft Wind- oder Photovoltaikanlagen, weil da die Stromproduktion nicht immer vorhersehbar ist. Damit stellen die alternativen Ökostromformen die Netze vor große Herausforderungen. Bei der Wasserkraft ist das einfacher, weil - wie in unserem Fall - die Mur so oder so fließt. Es gibt zwar die klassischen Schwankungen im Frühjahr, bei denen durch die Schneeschmelze etwas mehr und im Herbst etwas weniger Wasser fließt, aber wir arbeiten auf Basis berechenbarer Erfahrungswerte. Insofern sind wir von dieser Kritik nicht betroffen.

profil: Wie lässt sich das Dilemma lösen, dass man entweder einen kundennahen Standort hat oder einen idealen technischen Standort? Prinzhorn: Das ist ein Makro-Thema und betrifft eher Deutschland als uns, weil es dort vielleicht die Frage gibt: Wie kommt der Strom von den Windkraftwerken in Norddeutschland ins Schwabenland? Das Dilemma, das wir jedoch in Österreich haben, ist, dass wir dauernd in neue Mittel investieren. Stellen Sie sich vor: Sie haben ein Fahrrad, ein Motorrad und ein Auto ganz alleine für sich. Brauchen Sie noch ein Dreirad, weil Dreiradfahren total angesagt ist? Nein. Aber so ist es gerade in der Energie. Da wurde vor fünf Jahren um fast 600 Millionen Euro ein Gaskraftwerk nach Mellach gestellt, das jetzt abgeschrieben werden muss, weil es sich nicht rentiert. Das Schlimme ist: Wir kaufen uns permanent ein neues Fortbewegungsmittel, aber wir haben nur einen Popo, mit dem wir drauf sitzen und uns fortbewegen können.