Saubermacher mit heiklem Ruf

Erderwärmung: CO2 soll aus der Luft gefiltert und unterirdisch gespeichert werden

Erderwärmung. CO2 soll aus der Luft gefiltert und unterirdisch gespeichert werden

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Von Heike Wipperfürth

Nach einem Rundgang durch die Kemper County Energy Pilotanlage im US-Bundesstaat Mississippi Ende November war für Ernest Moniz die Sache klar. „Wir brauchen zehn solcher Projekte, nein, wir brauchen hunderte davon im ganzen Land“, rief der US-Energieminister mit der weißen Mähne vor den laufenden Fernsehkameras. Seine Euphorie ist groß, denn Kemper beginnt demnächst mit der Abscheidung von Kohlendioxid – als erstes „grünes“ Kohlekraftwerk Amerikas.

Die letzten Vorbereitungen des Stromerzeugers, der eine Geldspritze in der Höhe von 270 Millionen Dollar vom US-Energieministerium erhielt, sind in vollem Gang. Und es sieht ganz danach aus, als ob Ende des Jahres alles startbereit wäre – nach monatelangen Verzögerungen und Kostenüberschüssen rund um die Errichtung der Pilotanlage, die mehr als zwei Milliarden Dollar ausmachen.

Nun müssen mehr als 200.000 Kunden aus der Umgebung des Kemper County-Energy-Kraftwerks aufgrund dieser Mehrkosten tiefer in die Tasche greifen. Ihre Stromrechnung soll sich um gar 21 Prozent erhöhen. Dagegen wehrt sich nicht nur die konservative Tea Party, sondern auch die US-Umweltschutzorganisation Sierra Club. „Tausende von Familien könnten unter den hohen Kosten leiden“, beklagt Sierra-Club-Mitarbeiter Louie Miller.

Ausgeprägte Skepsis in Österreich
Er wird sich damit abfinden müssen. Denn Kemper ist ein Projekt mit nationaler Bedeutung. Mit der Abscheidung und Speicherung von CO2, im Fachjargon „Carbon Capture and Storage“, kurz CCS genannt, soll die vom US-Energieministerium mitentwickelte Technik dazu beitragen, Treibhausgase massiv zu senken, um die kommende Klimakatastrophe zu verhindern.
Allerdings konnte noch kein Land der Welt konkrete Erfahrung sammeln, wie gut dies tatsächlich funktioniert. In Österreich ist die Skepsis gegen das neue Verfahren besonders ausgeprägt. Hierzulande hat man vor drei Jahren CCS sogar gesetzlich verboten, denn die Verpressung und unterirdische Lagerung von CO2 über Jahrhunderte hinweg sei „technisch und auf ihre ökologischen Folgen noch lange nicht ausreichend erforscht und daher ein unzumutbares Risiko für Mensch und Tier“, wie der SPÖ-Umweltsprecher Hannes Weninger damals sagte.
Dass es auch anders geht, zeigt sich nun in den USA. Für die US-Regierung, Energieunternehmen, Forschungseinrichtungen und einige Umweltschützer ist klar: Abseits dieser Technik, bei der der Klimakiller CO2 aus der Luft gefiltert wird, gäbe es keine Lösung, um die globale Erwärmung zu stoppen. Denn der Hunger nach Kohle sei ungestillt, und der CO2-Ausstoß wachse daher unverdrossen weiter. Außerdem hofft die US-Regierung, einen größeren Markt für die neue Technologie aufzutun. US-Präsident Barack Obama hat bereits veranlasst, dass neue Kraftwerke nur noch sehr wenig CO2 ausstoßen dürfen und setzt nun auch auf strengere Grenzwerte für bestehende Anlagen. Seit fünf Jahren arbeitet das US-Energieministerium nun schon auf dieses Ziel hin, indem es mit Abscheidung und Speicherung von CO2 experimentiert und mehr als eine Milliarde Dollar in die Entwicklung von CCS-Kohlekraftwerken gesteckt hat. Von sieben neuen Anlagen, die es mitfinanziert hat, sind allerdings gerade einmal drei übriggeblieben.

Kemper County Energy gehört zu den wenigen Überlebenden. Der Plan, Kohle durch hohen Druck und hohe Temperatur in Gas zu verwanden und gleichzeitig 65 Prozent des Kohlendioxids auszuscheiden, lockt hohen Besuch wie jenen von Ernest Moniz an – auch wenn die Anlage derzeit immer noch einer riesigen Baustelle ähnelt. Es kann sogar gut sein, dass die USA den Wettkampf um die Fertigstellung des ersten CCS-Kohlekraftwerks in Nordamerika an ihren Nachbarn im Norden verlieren.

Vor allem im kohlereichen Westen Kanadas entwickelt sich die Aufgabe, CO2 abzutrennen zum Herzstück einiger Milliarden Dollar schwerer Kohlekraftwerke. So scharrt Saskpower in der Provinz Saskatchewan bereits jetzt schon in den Startlöchern: Noch in diesem Sommer will das Stromwerk, das ein altes Kohlekraftwerk zu einem 1,2 Milliarden Dollar teuren Demonstrationsprojekt umgebaut hat und von der kanadischen Regierung mit 240 Millionen Dollar unterstützt wurde, mit dem Einfangen von einer Million Tonnen CO2 jährlich beginnen.
Dies geschieht zu einer Zeit, in der auch das Europaparlament in Straßburg zu einer Einigung gekommen ist: Im Jänner dieses Jahres stimmte es für mehr Förderung der umstrittenen Technologie und reichte seine Empfehlung auch gleich an die EU-Kommission weiter – CCS solle in den nächsten Klimaschutzzielen, die kommendes Jahr entschieden werden, gleichrangig mit erneuerbaren Energien gefördert werden, notfalls auch gegen den Willen der skeptischen Bevölkerung.
Dabei bleibt CCS eine heikle Angelegenheit. Und das nicht nur wegen des hohen Energie- und Wasserverbrauchs dieses Verfahrens: Die Abscheidung von CO2 in einem Kohlekraftwerk verbraucht zehn bis 40 Prozent der im Kraftwerk erzeugten Energie. Und sie verbraucht 90 Prozent mehr Frischwasser als bisherige Techniken, wie die Umweltschutzorganisation Greenpeace errechnet hat.
Hinzu kommt, dass in den USA und Kanada vor allem die mächtige Ölbranche von den neuen Plänen profitiert. Denn die will das abgetrennte CO2 von den Kohlekraftwerken kaufen, um damit die letzten Tropfen des fossilen Energieträgers aus alten Bohrlöchern zu locken. Eine bewährte Methode, die im Fachjargon Enhanced Oil Recovery, oder kurz EOR genannt wird. Der Ölkonzern Chevron hat sie zum ersten Mal gewinnbringend in den 1970er-Jahren in einem Ölfeld in Texas angewandt. Weil die natürlichen Vorkommen von CO2 aber immer schwerer ausbeutbar sind, sollen sie nun mit abgetrenntem CO2 aus Kohlekraftwerken im großen Stil fortgesetzt werden.

Kampfansagen an den Umweltschutz
Befürworter wie Judi Greenwald, eine Mitarbeiterin im US-Energieministerium, versprechen sich viel von dieser Strategie. Ihrer Meinung nach lässt sich die Ausbeutung des Ölvorkommens mit Hilfe des CO2 aus CCS-Kraftwerken von 300.000 Barrel pro Tag auf drei Millionen Barrell täglich verzehnfachen. Ein großer Sprung – auch verglichen mit der gesamten US-Ölförderung, die laut US-Energieministerium bei etwa 7,5 Millionen Barrel pro Tag liegt.
„Mit der Nutzung des abgetrennten CO2 können wir die Ölproduktion erhöhen, die Wirtschaft ankurbeln, CO2-Emissionen senken und neue CCS-Technologien entwickeln“, sagte sie vor dem US-Kongress im vergangenen Sommer.
Auch was den Transport des CO2 angeht, gibt sich Greenwald optimistisch. CO2-Pipelines mit einer Gesamtlänge von über 7200 Kilometern durchkreuzen bereits die USA, weitere könnten gebaut werden, um das Gas direkt an die Ölfelder zu liefern. „Vor allem in Texas wird Kohlendioxid bei der Gewinnung von Öl gebraucht“, erklärte sie. „Aber auch in Wyoming, an der Golfküste, in Oklahoma und Michigan gibt es ähnliche Projekte. Wir können dort zehn bis 20 Miliarden Tonnen CO2 speichern.“

Solche Stellungnahmen sind Kampfansagen an den Umweltschutz. Denn klimafreundlich ist der Plan, CO2 für die Ölförderung zu benutzen, sicher nicht. So hat eine Studie der Carnegie Mellon Universität in Pennsylvania 2009 herausgefunden, dass diese Methode – angefangen bei der Kohlegewinnung und CO2-Abtrennung bis hin zur Umwandlung des Rohöls und dessen Verbrennung – mehr CO2 freisetzt, als in den Ölfeldern gespeichert wird. Und zwar bis hin zur vierfachen Menge. Zusätzlich zu den Befürchtungen, die die bisher noch nicht ausreichend erforschte Speicherung von CO2 unter der Erde auslöst, wächst die Angst vor leichten Erdbeben. Laut einer Studie der Universität von Texas kam es in der Gegend rund um ein Ölfeld in Nordtexas zu wesentlich mehr Erdstößen als bisher, nachdem CO2 in die Bohrlöcher injiziert wurde. Daher sei es besonders wichtig, Lagerstätten auf Bruchstücke im Gestein zu überprüfen, die sich gefährlich verlagern könnten, sobald riesige Mengen CO2 in die Tiefe gepumpt werden.

Problematisch ist auch, dass die US-Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency die sogenannten Gefährliche-Abfälle-Gesetze für die Ablagerung von CO2 in Ölfeldern gelockert hat, um die teuren Projekte voranzutreiben und Kosten zu sparen. Dabei kann mit dem heutigen Wissens- und Erfahrungsstand eine sichere und dauerhafte Lagerung gar nicht gewährleistet werden. Michael Gerrard, ein umweltengagierter Rechtsprofessor an der Columbia Universität, sieht das so: „Unsere Gesetze für gefährliche Abfälle sind veraltet und daher nicht geeignet für die Abspeicherung dieser Gase. „Sollte sich aber herausstellen, dass die Gefahr von Lecks besteht, brauchen wir raschest neue Gesetze.“

Genau solche Lecks sind aber bereits aufgetreten: Aus einem Bohrloch des texanischen Ölunternehmens Denbury Resources entwich im vergangenen Jahr CO2. Der Betreiber musste deswegen eine Strafe von mehr als 660.000 Dollar bezahlen. Laut Umweltschutzbehörde des US-Bundesstaates Mississippi entwichen aus einem 600 Meter tiefen Loch CO2 und Laugen, die zur Förderung des Öls benutzt wurden – und das gleich 37 Tage hindurch. Zu einer Verschmutzung des Grundwassers kam es angeblich dennoch nicht; Denbury hat das Problem inzwischen gelöst.
Das Unternehmen, das mit dem Slogan „Wir erwecken alte Ölfelder zu neuem Leben“ wirbt, sorgt aber noch für ganz andere Schlagzeilen: Es will den Großteil der 2,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr kaufen, die das Kemper County-Energy-Kraftwerk demnächst abtrennt und in seinen Ölfeldern speichern. Damit erhofft sich Kemper, als besonders sauberes Braunkohlekraftwerk zu gelten.

Dass der Bau von CCS-Anlagen trotz aller Probleme in den USA im großen Stil weitergeht, zeigt der Blick zum US-Südstaat Louisiana. Hier entsteht eine Petrolkoksanlage, die 90 Prozent des CO2 abscheiden will. Erbaut wird das 2,5 Milliarden Dollar teure Objekt, das von Steuergeldern in Millionenhöhe mitfinanziert wird, von einer Tochterfirma der New Yorker Investment Bank Leucadia. Sie bringt nicht nur Geld von der Wall Street mit, sondern auch gute Kontakte. Zum Beispiel zu Koch Carbon, einem Unternehmen, das fossile Brennstoffe herstellt. Es gehört den Brüdern Charles und David Koch. Die Milliardäre sind als die wichtigsten Geldgeber für die Zweifler am Klimawandel bekannt. Am CCS-Projekt nehmen sie teil, indem sie Petrolkoks liefern. Der Rückstand aus Ölraffinerien soll von der CCS-Anlage in Chemikalien wie Methan umgewandelt und an Kunden, unter anderem an eine Tochterfirma des Energiekonzerns BP, weiterverkauft werden.

Und wer kauft das abgetrennte CO2? Hier kommt wieder einmal der texanische Ölkonzern Denbury ins Spiel. Das kostbare Gut soll in einer 515 Kilometer langen Leitung zu seinen Ölfeldern an der Golfküste transportiert werden.