Euro im Tascherl, Schilling im Kopf: Währungsnostalgie in Österreich
Von Michaela Ernst
Die Frage kann er nicht mehr hören: "Rechnen Sie noch in Schilling?" Denn seit der österreichische Rockstar Austrofred vor wenigen Jahren sein Buch "Ich rechne noch in Schilling" herausbrachte, probierten "andauernd ungute Journalisten, mir eine gewisse wirtschaftliche Inkompetenz anzuhängen", wie er sich gegenüber dem Magazin "Datum", das ihn ebenfalls mit der unmöglichen Frage konfrontiert hatte, beklagte. "Dabei zeigt dieser Titel doch nur, wo meine Stärken als Wirtschaftstreibender liegen, nämlich in der Wirtschaft der Gefühle."
60 Prozent rechnen noch in Schilling
Der Sänger der Band Kreisky, der mit bürgerlichem Namen Franz Wenzl heißt, ahnte vermutlich nicht, wie recht er hatte. Fast zeitgleich mit der Erscheinung des Interviews wurde seine Aussage marktforscherisch belegt: Im November 2013 hatte das Linzer Meinungsforschungsinstitut market herausgefunden, dass 60 Prozent aller Österreicher nach wie vor in Schilling denken: 65 Prozent rechneten nur bei größeren Einkäufen um, 32 Prozent bei täglichen Besorgungen. Allerdings wünschen sich 76 Prozent weiterhin den Euro.
Dabei ist der Währungsrechner im Kopf das denkbar ungeeignetste Instrument, um sich einen gültigen Blick über die Preisentwicklung der vergangenen bald 13 Jahre, also seit Einführung des Euro als Bargeldwährung, zu verschaffen. "Das beginnt damit, dass keiner den Umrechnungskurs von Schilling in Euro von 13,7603 im Kopf berechnen kann. Die meisten runden dann auf 14 oder 15 auf; allein diese Unschärfe liegt schon deutlich höher als die Inflationsrate - denn die Differenz zwischen 13,7603 und 15 beträgt rund zehn Prozent", gibt Martin Taborsky von der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) zu bedenken. Auch Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, bestätigt die Irrelevanz solcher Berechnungen: "Der Schilling hat nichts mehr mit der heutigen Kaufkraft zu tun. Ich habe mir einmal die Wertentwicklung des US-Dollars in den vergangenen 25 Jahren angesehen und bin zu dem Resultat gekommen, dass er rund die Hälfte seiner Kaufkraft verloren hat. Wäre der österreichische Schilling heute im Umlauf, würde er in der Langzeit-Beobachtung kaum anders abschneiden."
Acht Milliarden Schilling versteckt
Aber er ist ja im Umlauf - stärker, als man gemeinhin glaubt. Natürlich nicht mehr im Handel, doch offenbar gut gebunkert in Privathaushalten: Noch immer liegen acht Milliarden Schilling in versteckten Portemonnaies. Diese Summe entspricht etwas weniger als drei Prozent des gesamten Schilling-Volumens vom Jahresende 2001. Die Oesterreichische Nationalbank geht davon aus, dass ein Drittel davon im Ausland, ein Drittel möglicherweise nicht mehr auffindbar ist und ein weiteres Drittel noch gewechselt werden könnte. "Allein im Jahr 2014 wurden, wenn man es hochrechnet, jeden Tag 250.000 Schilling in Euro umgetauscht", erzählt Taborsky. Das Geld wird teilweise in die Nationalbank gebracht, teilweise zum sogenannten Euro-Bus, der seit 2002 durch ganz Österreich tourt, um die Bevölkerung einerseits mit dem Euro vertraut (!) zu machen - bei der jüngsten Tour, die Mitte September endete, wurde etwa die neue Zehn-Euro-Banknote vorgestellt -, andererseits kann man dort auch alte Schilling-Noten in Euro umwandeln. "Als die OeNB ihre Aufklärungstour startete, ging man davon aus, dass dieses Projekt maximal fünf Jahre dauern würde. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich 13 Jahre nach dem Währungswechsel immer noch mit dem Euro-Bus unterwegs sein würde, hätte ich es nicht geglaubt", sagt Taborsky. Die Tour fürs kommende Jahr ist bereits in Planung.
"Komplizierter Umrechnungskurs"
Warum die Österreicher so stark an ihrer alten Währung hängen, hat mehrere Gründe. Zum einen demografische: "Der Altersaufbau der Gesellschaft bedingt, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung an den Schilling erinnert - und der komplizierte Umrechnungskurs hat sicher nicht dazu beigetragen, dass sich das so leicht ändert", meint Ökonom Helmenstein und zieht zum Vergleich Deutschland heran: "Dort mussten die Menschen das Verhältnis D-Mark zu Euro bloß mit 2:1 umrechnen, somit ist der Euro rascher in ihren Köpfen angekommen." Zum anderen dürfe man den emotionalen Wert des alten Geldes nicht unterschätzen: "Der Schilling war extrem positiv besetzt. Er wird mit den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs assoziiert und gilt immer noch als ,harte' Währung, selbst wenn heute eigentlich keiner mehr so richtig weiß, was das zu bedeuten hatte", so Taborsky.
Zuletzt diene der Schilling, den Währungsnostalgiker auch gern "echtes Geld" nennen, als beliebtes Ventil für Frustanstau: "Beim Erwerb von Kleinigkeiten wird er natürlich nicht zum Vergleich herangezogen, dafür aber bei Summen, die den Konsumenten ohnedies wurmen", weiß Taborsky. Ökonom Helmenstein machte ebenfalls die Beobachtung, dass der Schilling ausschließlich bei größeren Ausgaben wie der Anschaffung eines neuen Autos oder einer Wohnung herhalten muss - zumindest im Kopf. Die Frage, ob Menschen, die immer noch heimlich in Schilling rechnen würden, den besseren Zug zum Geld hätten, beantworten die beiden Experten daher mit einem kurzen und präzisen: "Nein." Denn Ärger sei nun mal kein guter Kaufberater.