Erntehelfer

Erntehelfer: Der Bauernhof wandelt sich zum Hightech-Areal

Der Bauernhof wandelt sich zum Hightech-Areal

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Unbemannte Flugobjekte, selbstständig agierende Maschinen, autonome Fahrzeuge: So mancher Streifen beackerten Landes dürfte bald wie die Kulisse eines Science-Fiction-Thrillers aussehen. Doch es gibt keinen Zweifel: Zwischen Scheune und Stall gedeihen die Früchte der neuen Technologien. Als Auslöser des Wertewandels am Bauernhof fungieren dabei nicht nur der Spaß an Innovationen und Kunden mit chronischem Hunger auf neue Produkte. Wichtig für die Digitalisierungsoffensive sind ebenso Rückverfolgbarkeit, Unbedenklichkeit von Nahrungsmitteln, Umweltauflagen sowie steigende Kosten für Rohstoffe wie Saatgut.

Letztlich bleiben kaum Alternativen, als die tägliche Arbeit zukunftsfit zu machen. Klischees vom Bauern, der im Schweiße seines Angesichts und auf sich allein gestellt die Felder bestellt, dürften bald nur noch Heimatromane schmücken. Die Realität fährt andere Wege, wenn smarte Traktoren mit satellitengesteuerten Lenksystemen ihre Runden drehen. Die motorisierten Datenzentralen fahren wie auf Schienen, kennen die Grenzen des Areals und wenden perfekt. Der Landwirt als Beisitzer kontrolliert und überwacht, etwa die Verteilung des Pflanzenschutzmittels durch das Gefährt. Experten orten eine Zeitenwende. „Ein Melkroboter etwa steigert nicht nur die Effizienz. Durch genaue Analyse gespeicherter Daten kann Tage zuvor sichtbar werden, ob sich bei der Kuh eine Erkrankung anbahnt. Das ermöglicht dann vorsorgende Prognosen“, weiß Andreas Gronauer, Leiter des Instituts für Landtechnik an der Wiener Universität für Bodenkultur.

Smart Feeding

Wer bei der Agrarrevolution mitmachen will, muss nicht in der Oberliga der klugen Geräte einsteigen. 59 Euro pro Monat kostet etwa einen Betrieb mit bis zu 700 Kühen der persönliche Fütterungs-Assistent. Die webbasierte Plattform des Start-ups Fodjan, geeignet für die Versorgung von Schweinen und Rindern, steht im Zeichen von Smart Feeding. Für Anwender werden fütterungsrelevante Infos auswertbar bereitgestellt. „Strukturwandel, steigende Futterkosten und sinkende Absatzpreise machen es in der Mastviehhaltung nötig, Rationen neu zu berechnen, Daten im Blick zu behalten und effizienter zu sein“, sagt Co-Gründer Carsten Gieseler. Das Credo hinter solchen Produkten: Es geht um verbesserte Abläufe, weniger Aufwand und reduzierte Kosten. Konzerne und Neueinsteiger schicken Systeme ins Rennen, die den Hof stückweise in ein High-tech-Areal verwandeln. IT-Dienstleister Atos beispielsweise hat mit dem Start-up TerraNIS eine Lösung kreiert, die biophysische Daten erfasst. Erdbeobachtungssatelliten und eine Analyse-Plattform liefern wertvolle Bodendaten; damit soll der Nutzer seine Methoden optimieren, etwa durch die Wahl von Fruchtarten oder der geeigneten Ernteperioden.

Die Hoffnung auf reiche Ernte durch Farming 4.0 wächst in der Landwirtschaft und bei den Lieferanten für die digitale Umstellung. Und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Drohnen zum Beispiel eignen sich perfekt für die Landwirtschaft, wiederholen Consulter mit schöner Regelmäßigkeit. Im Zentrum steht nicht nur die Kontrolle von Hof, Silos oder Lagerhallen. Spezielle Infrarotaufnahmen könnten alarmierende Entwicklungen in der Vegetation sichtbar machen. Falls irgendwo eine Bedrohung durch Unkraut auftaucht, ist das UFO über dem Acker ebenfalls im Bild. Die sogenannte Präzisionslandwirtschaft ist dann mehr als ein Schlagwort. „Bereits heute zeigt die Überwachung von Feldern, wo besondere Maßnahmen nötig sind. Aus der Luft lassen sich auch Krankheitsbilder erkennen und in den Griff bekommen“, erläutert Carsten Gerhardt, Experte der Managementberatung A. T. Kearney. So wie bei der Bekämpfung des Maiszünslers, eines kleinen, aber schädlichen Schmetterlings. Als Gegenmittel transportieren Drohnen Schlupfwespenlarven in das Feld.

Die Natur der Bürokratie macht heute vielen Akteuren zu schaffen, doch gegen organisatorischen Chaos-Befall hat New Economy ebenso Abhilfe parat. „Dokumentation wird im Agrarbereich immer komplexer. Mit einer Zettelwirtschaft wie früher entsteht für Bauern großes Risiko“, verkündet Maximilian von Löbbecke, Geschäftsführer des Unternehmens 365FarmNet, das Lösungen für digitales Hofmanagement bietet. Die digitale Aufzeichnung aller Aktivitäten könne Ressourcen und Geld sparen, wirtschaftliche Potenziale am Hof lassen sich besser auswerten. Längst existiert also kein Mangel mehr an praktischen Anwendungen der Digitalisierung – zum Beispiel „Eartag LIFE“: Diese vom Start-up Smartbow entwickelte Ohrmarke für Rinder, Schweine und andere Tiere wiegt 20 Gramm, hat eine Batterielebensdauer von sechs Jahren und verfügt über eine integrierte LED-Leuchte. Durch Sensoren lassen sich Verhalten der Zielgruppe und ihre Position festhalten. Über Empfänger im Stall oder auf der Weide gelangen die Daten an einen lokalen Computer, anschließend erfolgt mit Algorithmen die Analyse. Veränderungen bei einzelnen Tieren, wie Brunst oder Wiederkäuen, lösen einen Alarm via PC, Smartphone oder Tablet aus. Der Landwirt kann Nachrichten sofort an Mitarbeiter oder den Arzt weiterleiten. Ein Stallplan, ähnlich wie Google Maps, zeigt die Position der Vierbeiner im Sekundentakt an. „Der Grundgedanke ist, zu wissen, wie es jedem Tier geht – ohne jedoch ständig im Stall präsent sein zu müssen“, vermerkt Wolfgang Auer, Gründer von Smartbow. Das tierische Feelgood-Monitoring soll gleichzeitig die ökonomische Gesundheit des Betriebes stärken, lautet das Ziel hinter den weltweit mehr als 100.000 eingesetzten Ohrmarken.

Farming 4.0

Angesichts dieser Dynamik am technologischen Markt drängt sich der Eindruck auf, Farming 4.0 sei längst Realität. Wer näher schaut, sieht ein differenziertes Bild: Produkte und Ideen gedeihen, doch strukturelle Defizite wirken als Bremse für mehr Breitenwirkung. Die Gründe: Allzu komplexe Systeme, zu wenig nachvollziehbarer Mehrwert, Mangel an Know-how. Kenner der Materie merken an, dass so mancher Bauer gar kein Smartphone besitzt, um die wertvollen Daten zu nutzen. Jedenfalls lässt sich eine gewisse Zurückhaltung kaum kaschieren: Während andere Branchen mehr oder weniger erfreut das Techno-Tempo steigern, vertraut der Agrarsektor oftmals auf Abwarten. Indizien liefert eine Befragung des Deutschen Bauernverbandes, unterstützt vom Digitalverband Bitkom. Demnach investiert im Nachbarland jeder vierte Betrieb in die Weiterbildung digitaler Kompetenz, was angesichts des Hypes nicht berauschend ist – in Österreich dürfte es ähnlich sein. Dazu kommt: Ohne leistungsfähigen Internetzugang und stabile Mobilfunkverbindung geht gar nichts, doch in dieser Hinsicht besteht seit Jahren Aufholbedarf im ländlichen Raum. Solche Infrastruktur-Aspekte dürften Betriebe mit schmalen Budgets ohnehin kaum tangieren: Eine brauchbare App lässt sich um wenig Geld erwerben, aber große Lösungen gehen ins Geld. Das heißt: Ohne finanzielle Hilfe von offizieller Seite ist für kleinere Höfe eine digitalisierte, automatisierte Zukunft kaum realistisch.

Eine andere Baustelle betrifft neben der Kompatibilität von Geräten verschiedener Hersteller die Datensicherheit. Angst vor Hackerangriffen oder Schadsoftware könnte die Akzeptanz eines Paradigmenwechsel minimieren. Es dürfte etwas dauern, bis IT-Berater und -Verkäufer solche Zweifel beseitigen können. „Die Landwirte sind aus Sicherheitsbedenken sehr zurückhaltend beim Teilen von Informationen“, vermerkt Christophe Brizot, Regionaldirektor des IT-Unternehmens Atos in Frankreich. Ein Phänomen, das aus anderen Wirtschaftsbereichen bestens bekannt ist.

Aufzuhalten ist der digitale Wandel vor der heilen Welt der Wiesen und Äcker dennoch nicht. Andreas Gronauer ist sicher: „Die Digitalisierung wird in jedem Fall voranschreiten.“ Wie die Technologie aber dann konkret für die Bedürfnisse von Betrieben verwendet wird, wird dafür entscheidend sein, ob sie als Fluch oder Segen empfunden wird.