Auch bei den "Digital Natives" gibt es Aufholbedarf.

Maus-Falle: Nicht alle können an der Digitalisierung teilhaben

An der Digitalisierung partizipieren nicht alle Menschen gleich. Derzeit kümmern sich vor allem Freiwilligeninitiativen um die Vermittlung von Medienwissen.

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Abstimmen im Internet, kaufen im Internet, Termine ausmachen im Internet, lesen im Internet, teilnehmen im Internet - und was ist, wenn man keinen Internet-Zugang hat? Ohne Handy, Tablet, Computer bleiben nicht nur viele Annehmlichkeiten des modernen Lebens verwehrt, sondern auch elementare Tätigkeiten werden schwieriger: Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren will, holt sich Fahrscheine im Internet oder nutzt eine App - der traditionelle Weg zum Schalter ist umständlicher und oft teurer. Und Ähnliches gilt beim Umgang mit Ämtern, bei der Suche nach Jobs, bei der Kommunikation mit der Familie.

Die vielgepriesene Digitalisierung unserer Arbeitswelt und der Gesellschaft erreicht längst nicht alle Menschen: "Digital Divide“ heißt diese Ungleichheit beim Zugang zu Informationstechnologie im typischen Neusprech. Valerie Höllinger, Chefin des bfi-Wien, einer Ausbildungseinrichtung von Arbeiterkammer und ÖGB, meint: "Es ist nicht damit getan, zu sagen, wir versorgen alle mit Breitband-Internet und gut ist es." Höllinger sprach bei einer Diskussion zu diesem Thema beim Forum Alpbach, wo heuer generell Ungleichheit im Mittelpunkt stand. In Alpbach diskutierte auch Peter Hermann, Großkunden-Manager von Microsoft Österreich. "Der fehlende Zugang zum Internet hat auf gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Ebene verheerende Folgen: Faktisch bedeutet es eine Abschottung der betroffenen Menschen von Teilen des Arbeits- und Gesellschaftslebens.“

Know-how entscheidet über Wohlstand

Schätzungsweise 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung können an der Digitalisierung nicht teilhaben - neben Einkommen, Alter und Bildung ist auch die Frage, ob jemand Migrationshintergrund hat, dafür entscheidend. Tatsächlich wirken sich fehlende IT-Kenntnisse vor allem auf dem Arbeitsmarkt drastisch aus, für die meisten Jobs ist heute zumindest rudimentäres Know-how erforderlich, beispielsweise das Bedienen von Geräten mit Touchscreen. "In Österreich scheitern immer noch 13,6 Prozent an grundlegenden IT-Anforderungen wie etwa der Bedienung einer Maus“, sagt Höllinger.

Es ist ein Teufelskreis: IT-Kenntnisse sind als Teil einer guten Ausbildung entscheidend auf dem Arbeitsmarkt, Personen mit niedrigeren Qualifikationen bekommen schwerer einen Job, und wenn, dann ist dieser schlechter bezahlt. Was wiederum die Chance senkt, für sich und seine Familie die digitale Kluft zu verringern. Helmut Fallmann, Chef des Linzer IT-Unternehmens Fabasoft: "An der Gleichheit und Ungleichheit beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie entscheidet sich der künftige Wohlstand wie auch künftiges Elend.“

"Es geht um Teilhabe auf vielen gesellschaftlichen Ebenen“, meint David Röthler, der Ministerien und Hochschulen zu Bildungsprozessen und neuen Technologien berät. "Wenn beispielsweise öffentliche Einrichtungen aus Kostengründen diejenigen ohne Internet aussparen, ist das bedenklich.“ Wer aber nicht teilhaben kann an Information und Diskussion, wird "abgeschnitten von politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten“. Mit kostenlosem WLAN sei es jedenfalls nicht getan, meint Röthler. "Es geht nicht nur um technische Verfügbarkeit, sondern um die technische Kompetenz.“ Dabei spiele weniger das Einkommen als vielmehr die Bildung eine Rolle. Bfi-Wien-Chefin Höllinger stimmt zu: "Dem Digital Divide muss mit aktiven und vor allem zielgruppengerechten Ausbildungsprogrammen entgegengesteuert werden, damit künftig alle Alters- und Gesellschaftsschichten das Internet nutzen können.“ Für David Röthler kommt es auf "niederschwellige Ausbildungsangebote“ an. "Es geht nicht um den VHS-Kurs für Word, sondern um informelle Hilfe bei technischen Problemen.“

Auch Jüngeren fehlt oft Wissen

Ein gutes Beispiel, was in der Erwachsenenbildung getan werden kann, ist die polnische Initiative "Digital Lighthouse Keepers“: Dabei touren Freiwillige durch das Land und bringen älteren Personen die Vorteile des Internets in den eigenen vier Wänden näher; bisher wurden rund 200.000 Menschen damit erreicht. In Österreich kümmert sich beispielsweise die Initiative werdedigital.at um die Förderung von Medienkompetenz, dort soll Wissen über das Internet und Informationstechnologie vermittelt werden. Interessanterweise bieten gerade neue Geräte mehr Chancen, auch ältere Personen an die Digitalisierung anzubinden, wie eine Studie der New Michigan State University in den USA gezeigt hat: Die Verwendung von Tablets erleichtere die Nutzung des Internet, weil sie einfacher zu bedienen sind als PC mit Maus - und außerdem überall genutzt werden können. Technikängste älterer Menschen könnten damit leichter abgebaut werden.

Aber auch die Jungen sind nicht immer so firm, wie gedacht: Ronald Bieber, Generalsekretär der Österreichischen Computergesellschaft, verweist auf den Unterschied zwischen Freizeit und Beruf: "Jugendliche gelten als besonders sattelfest im Umgang mit Computern und Mobilgeräten. Das gilt aber nur für den privaten Einsatz, etwa von WhatsApp. Geht es um berufliche Anwendungen, fehlt oft das Wissen.“ Hier sei es nötig, mit entsprechenden Ausbildungsangeboten anzusetzen, damit wirklich alle Jugendlichen die gleichen Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt haben. Valerie Höllinger pflichtet ihm bei: "Man darf nicht den Fehler machen, alle Digital Natives über einen Kamm zu scheren.“

Tatsächlich zeigte eine Untersuchung über die IT-Fähigkeiten der Österreicher im Vorjahr, dass nur sieben Prozent der 15- bis 29-Jährigen sehr gute Computerkenntnisse besitzen. Speziell an den Schulen müsste noch einiges getan werden, meint Bieber. Dabei sollte vor allem bei der Lehrerausbildung angesetzt werden. Höllinger ergänzt: "Der auf Freiwilligkeit basierende IT-Unterricht in der Pflichtschule ist eine gute Grundlage, sollte aber interdisziplinär in den Regelunterricht einfließen, um die systemkritische Medienkompetenz zu vermitteln.“ Peter Herrmann von Microsoft: "Was innovative Ausbildungsformen wie das digitale Schulbuch heute weitergeben, ist für die Wissensarbeiter von morgen ein unerlässlicher Teil des Berufslebens.“

Der Europäische Computerführerschein (ECDL, International Computer Driving Licence) ist ein Beispiel, was man auf breiter Basis tun kann: Diese Grundschulung in Sachen IT-Know-how wird seit 1997 durchgeführt, bisher gibt es 400.000 Absolventen in Österreich. "Damit sind wir die Nummer drei in Europa“, sagt Ronald Bieber, dessen OCG den ECDL durchführt. Vor zwei Jahren wurde die Ausbildung überarbeitet und hat neue Schwerpunkte, etwa in Richtung IT-Sicherheit. Ein anderes Projekt namens "PC-Start“ soll im Speziellen die ältere Generation für Computer begeistern.

Digital Divide vergrößert sich

Indes ist die digitale Ungleichheit nicht nur innerhalb von Staaten zu beobachten, sondern ein Trend der Weltwirtschaft: In einem Bericht konstatierte das Weltwirtschaftsforum vor Kurzem, Entwicklungs- und Schwellenländer hätten derzeit nicht die notwendige Infrastruktur, um vollen Nutzen aus der Informationstechnologie zu ziehen. Der Abstand zwischen den führenden Industrieländern und armen Ländern in Sachen Digitalisierung habe sich weiter vergrößert. Die Folge: Weniger entwickelte Länder laufen Gefahr, immer stärker zurückzufallen. Unter anderem sei es nun wichtig, mehr Menschen auf der Welt Zugang zum Internet zu verschaffen - derzeit sind es rund 39 Prozent. Sonst werde die "digitale Spaltung“ weiter zunehmen, wie es im Bericht des Weltwirtschaftsforums lapidar heißt.

*Erklärung, weshalb in erster Aufstellung die Zahlen anders sind als in Nummer 2 und 3: andere Methodik, z. B. "regelmäßige Nutzung“ versus "in vergangenen drei Monaten“.