Co-Gründer Hugo Giralt lüftet die Zauberformel für generalistisches Denken.
Einmal Zukunft und zurück

Silicon Valley: Einmal Zukunft und zurück

Europa schielt nach dem kalifornischen Silicon Valley, um von dort Erfolgsrezepte und Lösungen für die Welt von morgen zu kopieren. Doch ist das überhaupt möglich? Michaela Ernst unternahm eine Tour durch das Tal der Gründer, Visionäre und Weltverbesserer.

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Seit wenigen Monaten ist es so weit – Österreich hat seinen „Silicon Alps“-Cluster, sein „Silicon Austria“-Programm. Ende Juli präsentierte Bundeskanzler Christian Kern das ambitionierte Vorhaben, das mit einer Förderung von 280 Millionen Euro Österreich einen Fixplatz unter den Global Players der Mikroelektronik sichern soll. Auch die Deutschen propagieren stolz den „Silicon Allee Campus“ in Berlin und das „Isar Valley“ in München. Und die Franzosen sehen in ihrem Forschungszentrum Paris-Saclay gar ein „Silicon Valley à la française“. Quer durch Europa lässt sich diese Liste fortsetzen, fast immer mit einem „Silicon“ oder einem „Valley“ im Titel. Weil auch dem Alten Kontinent daran liegt, in dieser Zeit des Umbruchs eine starke Story nach kalifornischem Vorbild zu schreiben.

Tatsächlich lässt sich vieles vom Silicon-Valley-Konzept ortsunabhängig transferieren: Etwa die Erkenntnis, dass Forschung und deren Anwendbarkeit möglichst nahe zusammenrücken müssen, um den Boden für leistungsfähige Innovation aufzubereiten. Auch der rege Austausch zwischen Universitäten, Wirtschaft und Staat zählt zu den Erfolgsrezepten – diese Allianz schenkt den einen die erforderlichen Finanzmittel, den anderen Zukunftskompetenz. Nicht anders entstand schließlich das Silicon Valley: Anfang des 20. Jahrhunderts baute der Ingenieur Cyril Elwell in Palo Alto eine drahtlose Radiostation auf, die dank der Finanzmittel des damaligen Vorsitzenden der Stanford Universität rasch zur „Federal Telegraph Company“ wuchs. Die Innovation zog zahlreiche weitere Ingenieure an, womit Elektrotechnik zu einer der wichtigsten Disziplinen in Stanford wurde.

Doch eines kann man nicht so leicht verpflanzen: das Mindset. Es entspringt einer jahrzehntelang gewachsenen Kultur – eine Mischung aus amerikanischen Werten, jugendlicher Dynamik und gelebter Internationalität. „Die Art, wie mit neuen Ideen und Vorschlägen umgegangen wird, wie Menschen sich gegenseitig helfen, ohne dafür direkt etwas zu erwarten, und natürlich die ,Alles-ist-machbar‘-Mentalität sind Katalysatoren für die Innovationsmaschine“, schreibt Mario Herger in seinem Buch „Das Silicon Valley Mindset“ – der österreichische Berater lebt seit 2001 dort.

Im Rahmen einer fünftägigen „Inspiration-Tour“ durch Universitäten und Forschungseinrichtungen, führende Technologieunternehmen und die Start-up-Szene versuchte ich mir ein Bild von dem Mekka für Innovation zu machen und kehrte mit den folgenden sieben Lehren zurück:

1. Wandlung ist eine Haltungsfrage. Gestalte erst die Kultur deines Unternehmens, dann das Digitale. Haltung ist der Held, das Können kommt danach.

Wurden auch Sie von Modzilla-Firefox zu einer kleinen Dollarspende aufgefordert? Wenn ja und Sie haben nichts getan, dann überlegen Sie es sich beim nächsten Mal. Denn der Internet-Browser, der als Leitmotiv einen kleinen, schlauen Rotfuchs hat, ist eine Non-Profit-Organisation, die für ein freies Internet eintritt. „Alle unsere Codes sind unverschlüsselt, das heißt für jedermann zugänglich, somit sind wir einer dauerhaften Form des Wettbewerbs ausgesetzt“, erklärt Modzilla-Softwareentwickler Asa Dotzler bei seinem Vortrag über das Unternehmen. Dem europäischen Denkmuster zufolge geht an dieser Stelle die Alarmsirene los: So eine Offenheit bietet doch enorm viel Angriffsfläche! Die Geschichte von Firefox erzählt das Gegenteil: „Jeder IT-Sicherheitsexperte kann unsere Codes sehen, die meisten kommen mit Tipps, wie man das System weiter verbessern kann. Auf diese Art ist es uns gelungen, eine weltumspannende Community zu gründen.“ In derselben Zeit, in der Firefox immer mehr engagierte Anhänger bekam, gerieten mit Lizenzgebühren behaftete Internet-Browser in derartige Konkurrenz, dass sie bald nur mehr mit Updates beschäftigt waren. Eine Lage, der sich Firefox erst gar nicht aussetzen wollte: „Unser Ziel war es, nicht Marktführer zu sein, sondern Ideengeber zu bleiben. Wenn uns jemand kopiert, ist das nur der Ansporn, noch besser zu werden.“

2.Wir leben nicht in PowerPoint-Präsentationen, sondern in Prototypen. Ein Prototyp ersetzt tausend Meetings.

Chris Brown erzählt von Bilderkennung für Banken, Solarsystemen für Weltraumforschung und Schienensensorik für Bahnunternehmen. Vor allem aber spricht er davon, wie man es schafft, für die unterschiedlichsten Branchen digitale Lösungen zu erfinden, ohne selbst aus dem jeweiligen Fachbereich zu stammen. Brown ist operativer Manager (COO) beim Softwareentwickler „intelygenz“ und stellt uns die Arbeitsweise beim Austüfteln von Artificial-Intelligence-Systemen vor. Er sagt: „Unsere Mitarbeiter haben einmal mit Solarenergie zu tun, dann wieder mit Telekommunikation.“ Und erklärt, wie die thematische Vielfalt zu beherrschen ist: „Wir entwickeln Tests, und erst dann schreiben wir die Codes.“ Auch das Design-Studio „Propelland“ verlangt von seinen Mitarbeitern generalistisches Denken. Co-Gründer Hugo Giralt präsentiert ein paar Produkte aus dem Portfolio – die FIFA Powerade Wasserflasche, ein Sensoriksystem für Audi oder ein internes Kommunikationssystem für den Versicherer AXA. Derzeit wird an einem Getränkekühlschrank für Coca-Cola getüftelt, der zugleich auch Designkörper sein soll, sodass man ihn sogar im Wohnzimmer aufstellen kann. Dieser Bogen sei vor allem deshalb zu schaffen, weil „wir nicht in PowerPoint-Präsentationen leben, sondern in Prototypen. Und jeder Prototype ersetzt 1000 Kundengespräche“, so Giralt.

3. Wenn schon Brainstorming, dann stelle die Frage: Wie kann man es noch schlechter machen? Oder was würdest du tun, wenn du die Superpower hättest?

„Als wir 2014 unsere Wearables lancierten, nahmen wir uns vor, bis 2018 Marktleader zu werden“, erzählt der Deutsche Frederik Hermann, Leiter von Marketing und Sales bei Huami. „Wir sind es aber jetzt schon“ – noch vor Mitbewerbern wie Fitbit, Apple, Samsung und Garmin. Zum Durchbruch verhalfen die Activity-Tracker-Modelle „Mi-Band“ und „Amazfit“, die Schlafqualität, Herzschlag, Fitnessaktivität und noch einige andere Gesundheitsparameter messen. Ausschlaggebend für den rasanten Aufstieg seien, so Hermann, vier Faktoren gewesen, die im Grunde auf jedes Unternehmen passen: Erstens ein Team, das alle Entwicklungsschritte mitgeht. Zweitens nachhaltiges Denken in Bezug auf die Finanzierung: „Viele verlieren den Kopf, wenn sie zum ersten Mal zu Geld kommen.“ Drittens der Blick in die Zukunft und „wie nähere ich mich ihr an?“. Und schließlich viertens ein gutes Marketing: „Eine unserer Visionen ist zum Beispiel, dass Krankenversicherungsraten auf Basis der Daten unseres Armbands für die User günstiger werden.“

4. Suche dir die richtigen Partner. Am Anfang einer Idee sind das nicht die Verkäufer.

Justin Lokitz, Strategieexperte beim Design-Thinking-Unternehmen Better Business Models Inc., deprimiert uns fürs Erste gleich einmal. Er behauptet: „80 Prozent aller geschäftlichen Strategien gehen daneben – weil man seine Kunden, sein eigenes Business-Modell, seine Vision nicht versteht.“ Nur wer sich Klarheit über diese Punkte verschafft, hat Aussicht auf einen innovativen Moment. Wie sehr diese Geistesblitze dann doch gleichermaßen einfach wie komplex sind, illustriert Lokitz an zwei berühmten Beispielen: Die Anfangsschwierigkeiten von Tesla etwa seien auf schwache Markenpflege und wenig ambitionierte Karosserieentwürfe zurückzuführen gewesen. Bei Nespresso hingegen habe man richtigerweise von Beginn an den Fokus darauf zentriert, einen Partner zu finden, der ergänzend wirkt und nicht aus dem eigenen Kerngeschäft kommt. So ist man auf einen Erzeuger von Kaffeemaschinen gestoßen. „Im Allgemeinen findet man die besten Key-Partner in einem branchenfremden Feld, das jedoch die eigenen Möglichkeiten erweitert“, ist Lokitz überzeugt.

5. Dein Ego interessiert hier niemanden. Wichtig ist das kritische Denken.

De Kai ist das, was man einen Guru nennt. Einstiges Wunderkind, das mit vier Jahren zu komponieren begann, mit zwölf erste analoge Synthesizer baute und in Blitzzeit seine Studien mit Auszeichnung absolvierte. Heute unterrichtet er an der Hong Kong University of Sciency and Technology (HKUST) und auf der UC Berkely und zählt zu den weltweiten Pionieren bei der Entwicklung selbstlernender Sprachübersetzungs-Software. Sein Betrachtungsfeld reicht allerdings weit über die Wort-Algorithmik hinaus, der Vokabular-Einsatz auf Social-Media-Kanälen gibt ihm vor allem zu denken. „Wir haben nur Like-Buttons, also Funktionen, die Bestätigung vermitteln. Oder wir kommunizieren die totale Ablehnung. Es gibt aber keine Knöpfe, die Differenziertheit ausdrücken, wenn man einmal nicht einer Meinung ist“, gibt er zu bedenken – und warnt: „Dadurch verlieren wir auch an Offenheit.“ Sollten sich die Gepflogenheiten fortsetzen, ist er überzeugt: „Artificial intelligence, wie wir sie jetzt benützen, fördert die menschliche Verblödung. Wir sind nur mehr dazu da, uns gegenseitig zu bestärken oder fertigzumachen.“ Der Raum für Zwischentöne verschwinde. „Wir automatisieren somit die Gedanken.“

6.Die schlechtesten drei Ausreden, wenn man gescheitert ist, lauten: Ich bräuchte mehr Leute, mehr Geld, mehr Zeit. Scheitern ist erlaubt. Man muss sich fragen: Was hätte ich besser machen können?

Obwohl das Cogswell College die zweitälteste Universität Kaliforniens ist, zählt es zu den jüngsten Einrichtungen seiner Art: Studenten lernen hier Game Design, Film- und Computeranimation oder Audio- und Software-Engineering – und zwar stets am konkreten Objekt. „Alle acht Wochen kommt ein neues Projekt ins Haus“, erzählt Cogswell-Professor Julius Dobos. Auftraggeber sind Werbeagenturen, Marketer, aber auch bekannte Unternehmen wie Panasonic, TED-Talks oder Holly-wood-Produzenten. Manchmal müssen die Studenten gegeneinander pitchen, damit die beste Idee ins Rennen kommt. „Die Hälfte der Lehrer, die hier unterrichten, sind keine Unterrichtenden im klassischen Sinn, sondern kommen aus der Industrie“, so Dobos. Und das College selbst begreift sich mit seiner Methode ja auch irgendwie als Produktionsbetrieb. Die Mittel, über die es dabei verfügt, sind interessanterweise nicht die besten, die Studios nicht auf dem neuesten Stand: „Wir wollen die Studenten animieren, dass sie sich etwas einfallen lassen“, lacht Dobos. Schließlich müsste man im echten Leben auch danach trachten, Dinge in die Gänge zu bringen „und Scheitern ist auf dem Weg dorthin durchaus erlaubt!“.

7. Schaue in die Zukunft. Antizipiere mögliche Probleme und überlege, was die Lösungen sein könnten.

Jody Medich leitet die Design-Abteilung der Singularity University (SU), einem der interessantesten Zukunftslabore der Welt. Untergebracht auf dem Moffet Federal Airfield, auf jenem NASA-Gelände, wo in den 1960er-Jahren die Weltraummission geplant wurde, diskutieren und forschen heute dort Technologiebegeisterte an „Entwicklungen und Lösungen, die unser Leben besser und effizienter machen“, wie der Technologie-Visionär und SU-Mitbegründer Ray Kurzweil in Interviews gern betont. Medichs Hauptinteresse liegt derzeit im Einsatz von Virtual Reality bei der Erforschung von Krankheiten und Behinderungen. Wir treffen sie in einer Galerie in Oakland, wo wir die „Generalprobe“ eines „Talk“ hören, den sie wenige Tage später bei der „TEDx BlackRockCity“-Konferenz in der Wüste von Nevada hält. Sie erzählt von dem kälteklirrenden „Snow World“-Virtual Reality-Spiel, das anstelle von Morphium gegen Schmerzen bei schweren Hautverbrennungen eingesetzt wird. Und sie zeigt den Filmausschnitt einer behinderten Frau, die dank eines Chipimplantats, das auf die Gedanken der Frau reagiert, ein Kaffeegefäß zu ihren Lippen führen kann. Sie erzählt von speziell „gechipten“ Parkinson- und Alzheimer-Patienten, deren Krankheitssymptome dank Sensortechnik zumindest für bestimmte Zeitspannen behoben werden können, außerdem von einem Roboterhandschuh, in den ein Fabrikarbeiter seinen Arm hineinsteckt, damit dieser für ihn schwere Hebearbeiten übernimmt. Lauter Modelle, die in Testphasen stecken und die – diesen Stehsatz bekommt man bei einer Silicon-Valley-Reise oft zu hören – aus der Welt „einen besseren Ort“ machen sollen. „Als ich ein Kind war“, leitet Jody Medich ihren Vortrag ein, „träumte ich davon, ein Superhero zu werden.“