Spurwechsel: Automobilindustrie erlebt stärksten Wandel in ihrer Geschichte

Die Automobilindustrie erlebt stärksten Wandel in ihrer Geschichte.

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Die Übernahme von Opel durch den französischen Konzern PSA (Peugeot, Citroen) lief überraschend rasch und problemlos ab, innerhalb weniger Jahre soll nun die ehemalige Tochter von General Motors profitabel werden. In der Praxis wird es weniger Gerangel um finanzielle Details oder Patente geben, sondern es könnten Probleme mit dem großen Thema Digitalisierung auftauchen: Eine Automarke besteht heute schließlich nicht nur aus Karosserien, Marketingkonzepten und Vertriebswegen, sondern auch aus Datenmaterial und vernetzten Diensten. Was wird PSA nun mit dem Online-Dienst von Opel namens "OnStar" machen, darf man die gesammelten Daten überhaupt verwenden, wie passt das zu den eigenen digitalen Services?

"Daten sind das neue Öl"

"Daten sind das neue Öl", meinte Brian Krzanich, Chef des US-Halbleiterherstellers Intel im Herbst bei der LA Motor Show. Eine Erkenntnis, der sich langsam, aber sicher die gesamte Automobilbranche stellen muss. Sie steht vor der größten Revolution in ihrer Geschichte: Neue Anbieter drängen auf den Markt, die gewohnten Vertriebsnetze reißen, die Kunden haben absonderliche Wünsche, die Hersteller schwanken zwischen Elektromobilität und Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren. Das Schwierige an der Situation: Es ist nicht ein einzelner Trend oder eine Technologie, die zu diesen Veränderungen führt, sondern das Zusammentreffen verschiedener Faktoren. Da wäre zunächst das Aufkommen der Elektroautos, die langsam, aber stetig an Bedeutung gewinnen. In Österreich spielen sie zwar -wie in den meisten anderen Ländern - derzeit noch eine untergeordnete Rolle: Gerade einmal 0,2 Prozent der derzeit hierzulande fahrenden Pkw werden ausschließlich mit Strom angetrieben. Doch der Trend ist unverkennbar: Im Vorjahr wurden schon mehr als 3800 neue E-Autos zugelassen. Wohin das führen könnte, zeigt Norwegen: Dort sind bereits rund ein Drittel der Fahrzeuge von dieser Art. Das liegt vor allem an den großzügigen Förderungen, die ausgerechnet das an Ölvorkommen reiche Norwegen den Käufern bietet, unter anderem den Verzicht auf die Umsatzsteuer. Immerhin war Österreich im Vorjahr bei den Neuzulassungen der Elektro-Pkw innerhalb der EU die Nummer eins.

Vernetzte Autos

Der zweite große Trend ist die Vernetzung der Autos selbst und der Wunsch der Kunden nach digitalen Services. Was im Wohnzimmer selbstverständlich ist, wird nun auch im Auto erwartet: Musik aus dem Internet herunterladen, Mobilgeräte wie Smartphones verbinden, Notfalldienste rund um die Uhr nutzen, aktuelle Nachrichten lesen und vieles mehr. Statt mit Zahlen zu Hubraum, Verbrauch und Motorisierung zu hantieren, sehen sich Autohersteller plötzlich vor der Aufgabe, potenziellen Kunden etwas von der bequemen Nutzung solcher Zusatzdienste zu erzählen. Nicht nur der Pkw selbst, auch der Kauf wird in Zukunft ganz anders aussehen: Schätzungen zufolge wird schon in wenigen Jahren jedes zweite Auto über das Internet gekauft, teilweise sogar über Mobilgeräte. Drittens wirkt sich die Digitalisierung auf die Produktion der Pkw aus, so wie in anderen Industriezweigen werden unter dem Schlagwort Industrie 4.0 schlankere, raschere Herstellungsmethoden praktiziert. Hier ist die Automobilindustrie im Vergleich zu anderen Sparten schon weit gekommen, die Frage ist nun aber: Wissen die Hersteller überhaupt, was sie in Zukunft produzieren wollen?

Tesla federführend

Schuld daran, dass Elektromobilität und digitale Services so rasch zu den bestimmenden Themen wurden, trägt Tesla: Das kalifornische Unternehmen von Elon Musk hat auf überraschende Weise das Interesse an Elektroautos angekurbelt. Statt auf günstige, aber oftmals langweilige und begrenzt nützliche Modelle zu setzen, wurde mit dem "Model S" ein sauteures, aber gut aussehendes und fahrtüchtiges Luxusauto erschaffen. Während andere Hersteller noch in schönen Visionen von der Zukunft der Elektromobilität schwärmten, waren die ersten Teslas bereits auf den Straßen unterwegs. Während sich die Bedeutung für den Gesamtmarkt in Grenzen hält (bisher wurden rund 158.000 Stück des Model S weltweit verkauft), ist es vor allem die Ausrüstung mit digitalen Diensten, die der Branche der nächsten Schock bescherte: Statt auf irgendwelchen Rädern oder Knöpfen spielen zu müssen, nutzen Tesla-Fahrer einfach das riesige Display, um zu navigieren, Musik abzuspielen, Kalendereinträge zu korrigieren, das Dachfenster zu öffnen oder die Reichweite zu erfragen; Updates werden automatisch über das Internet heruntergeladen und ermöglichen weitere Services, die eben erst entwickelt wurden. Dagegen erinnert die Inneneinrichtung anderer Fahrzeuge an das Design und die Technik von Wohnzimmern der 1970er-Jahre.

Tesla ist aber auch beim Thema autonomes Fahren federführend, selbst wenn es wegen diverser Unfälle immer wieder Rückschläge gibt. Ebenso wie beim Internet-Konzern Google wird mit Hochdruck daran gearbeitet, das Autofahren ohne menschliches Zutun zu ermöglichen. Zwar sind die rechtlichen Hürden für eine tatsächliche Umsetzung auf breiter Basis noch groß, aber in Versuchsprojekten in abgegrenzten Gebieten kann bereits ausprobiert werden, welche Vorteile das selbstständig fahrende Auto haben wird.

Die rasante Entwicklung lernender Systeme unter den Schlagworten künstliche Intelligenz und Machine Learning könnte es möglich machen, dass wir früher als vermutet die Hände vom Lenkrad lassen können - und dann wird es noch wichtiger sein, dass das Auto mehr einem Aufenthaltsraum gleicht statt einem öden, überfrachteten Cockpit. Vor diesem Hintergrund bemühen sich die etablierten Hersteller nun um Zusatzangebote für ihre Käufer und um die rasche technologische Entwicklung in Sachen Digitalisierung:

  • Der bereits erwähnte Online- und Notfalldienst OnStar von Opel soll unter anderem beim neuen Modell Crossland X -ein sogenannter "Stadt-SUV" - ein wichtiges Kaufargument sein.
  • BMW und Deutsche Telekom ermöglichen seit vorigem Sommer unter dem Schlagwort "Hotspot Drive" drahtloses Internet im Auto: Über die im Fahrzeug eingebaute SIM-Karte können mehrere Geräte mit dem Internet verbunden werden. Bei Fahrten ins Ausland kann vorher festgelegt werden, wie viel einem das Online-Vergnügen wert ist.
  • Rasches Internet ist vielen Fahrern (oder ihren Passagieren) inzwischen mindestens so wichtig wie rasches Vorwärtskommen: Ab nächstem Jahr soll das in Ford-Modellen durch die Internet-Technologie LTE ermöglicht werden, die in Zusammenarbeit mit Vodafone installiert wird. Das Auto soll sich dann auch via App von daheim aus kontrollieren lassen: Reifendruck und Ölstand können ebenso gecheckt werden wie die Tankfüllung.
  • Ein Sonderfall, aber typisch für die Entwicklung ist das "Project Hero" von Land Rover für Hilfseinsätze des Roten Kreuzes: Dabei wird ein Discovery-Modell mit einer Drohne ausgestattet, die während der Fahrt vom Dach des Geländewagens startet und den Helfern die Umgebung aus der Vogelperspektive zeigt.
  • Renault hat dieser Tage in Paris ein weiteres Entwicklungszentrum eröffnet, in dem zu den Themen Elektromobilität, autonomes Fahren und digitale Dienste geforscht wird. Zwei solcher "Open Innovation Labs" gibt es bereits, eines im Silicon Valley und eines in Tel Aviv.

Für die Hersteller sind zusätzliche Services nicht nur ein Verkaufsargument, weil vor allem jüngere Zielgruppen eine Vernetzung bereits voraussetzen. Es bietet auch die Chance, zusätzliche Umsätze zu schaffen: So arbeitet beispielsweise BMW mit dem Musik-Dienst Napster zusammen, um Fahrern den Zugriff auf dessen Song-Bibliothek zu bieten: Dadurch darf man unterwegs Musik hören, ohne eine CD einzulegen, Radiosender wie Ö3 zu ertragen oder das Handy zu verbinden. Allerdings setzt das die Buchung eines Zusatzpaketes für "Online-Entertainment" voraus. Aber nicht nur diese direkten Umsätze, auch indirekt lässt sich über das Auto als fahrbare Datenzentrale Geld machen: Die gesammelten Daten geben Rückschluss über das Verhalten der Autofahrer und ermöglichen maßgeschneiderte Angebote -nicht nur den Herstellern selbst, sondern auch anderen Firmen wie Versicherungen, Hotellerie und Handel.

Neben dem Geld sind noch andere Faktoren von Bedeutung: Staus und sogar Unfälle könnten sich vermeiden lassen, wenn die Autos nicht nur über Verkehrszentralen, sondern auch untereinander verbunden sind und miteinander kommunizieren. Denn eine Gefahr ist bei all der Freude über neue Möglichkeiten unübersehbar: Je mehr technische Spielereien im Fahrzeuginneren vorhanden sind, desto mehr steigt die Gefahr der Ablenkung. Schon heute ist diese Ablenkung für knapp ein Drittel aller tödlichen Unfälle in Österreich verantwortlich: Musik abspielen, mit dem Navi spielen, telefonieren - all das lenkt den Blick von der Straße. Dass Autofahren während der Fahrt zur Nebenbeschäftigung wird, ist aber bisher nicht mehr als eine Vision. Bis vollständige Digitalisierung und das autonome Auto Realität werden, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf das Wesentliche zu konzentrieren: lenken, Gas geben, bremsen.

Intelligenz im Reifen

Ein Reifen, der denken und sich verändern kann? Zumindest träumt Hersteller Goodyear davon und hat vor Kurzem ein Konzept namens „Eagle 360 Urban“ präsentiert: Der kugelförmige Reifen, hergestellt mittels 3D-Druck, ist mit Sensoren ausgestattet, mit denen Informationen zur Fahrbahn aufgenommen und dann in einer Art Gehirn analysiert und verarbeitet werden. Die Außenhaut des Superreifens aus elastischen Polymeren soll sich dann den Verhältnissen anpassen können, zum Beispiel bei einer nassen Fahrbahn Vertiefungen bilden.

Vernetzte Logistik

Nicht nur im Pkw, auch im Lastwagen spielt die Digitalisierung in Zukunft die Hauptrolle: Über die Vernetzung der Laster lassen sich Leerfahrten vermeiden, Ladeflächen besser ausnutzen und Aufenthaltsort der Ladungen minutiös bestimmen. Lkw könnten sich in naher Zukunft auf Autobahnen zu einer Art Konvoi zusammenschließen, in dem sie in einer festgesetzten Geschwindigkeit und unter Ausnutzung des Windschattens effizienter und sicherer unterwegs sein sollen als heute. Ständig autonom fahrende Lkw sind zwar noch in weiter Ferne, aber in bestimmten Gebieten können die Fahrer schon bald die Hände vom Lenkrad lassen. In der Praxis wird sich zeigen, ob damit tatsächlich Umweltbelastung und Unfallrisiko gesenkt werden können.

Zahlen

3826 Elektroautos wurden im Vorjahr in Österreich neu zugelassen, das war eine Zunahme von 128 Prozent gegenüber 2015. 9000 Elektroautos sind derzeit insgesamt in Österreich unterwegs, der Anteil an allen Pkw ist mit 0,2 Prozent noch überschaubar. 4000 Euro beträgt die Ankaufprämie für Elektroautos, die seit 1. März in Österreich privaten Käufern angeboten wird: Wer nach dem 1. Jänner dieses Jahres einen Pkw mit Elektro- oder Brennstoffzellenantriebe gekauft hat, kann diese Prämie einfordern. Für Hybridfahrzeuge gibt es 1500 Euro, für E-Motorräder und -Mopeds 750 Euro. Der Antrag kann online gestellt werden: umweltfoerderung.at.