Star Wars in der Scheune: Digitalisierung am Bauernhof

Drohnen über dem Acker, Traktoren mit Satellitenkontakt: Jetzt erreicht die Digitalisierung auch den Bauernhof. Dort wird Farming 4.0 aber noch mit einiger Skepsis betrachtet.

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Thomas Rupp sitzt in einer rollenden Komfortzone mit besten Verbindungen ins All. Sein Fahrzeug hält auf dem Acker penibel den geplanten Kurs und dirigiert gleichzeitig die angehängte Maschine. Saatgut wird verteilt und landet exakt dosiert an den gewünschten Stellen. Der Landwirt kann sich einstweilen auf den jeweils laufenden Vorgang störungsfrei konzentrieren. Denn die Steuerung des PS-Koloss funktioniert ohne sein Zutun: Der Traktor benötigt bei Dienstfahrten keinen Menschen hinter dem Lenkrad.

Was nach einer futuristisch gestylten Computersimulation für trendige Agrarmessen klingt, ist im burgenländischen Bruckneudorf gelebte Realität. Rupp verwendet für seinen Familienbetrieb am Heidehof einen intelligenten Traktor mit satellitengesteuerten Lenksystemen. Das Vehikel erweist sich dadurch als äußerst kompetent: Es kennt alle Grenzen des Grundstücks mit insgesamt 170 Hektar Ackerfläche, fährt wie auf Schienen, kann perfekt wenden und erledigt Aufgaben wie das Verteilen von Pflanzenschutzmittel akribisch genau.

Allein durch die Einsparungen betreffend Zeit, Kraftstoff sowie Saatgut hat sich meine Investition gerechnet

"Durch die gestiegene Produktivität bei den Maschinen verbessert sich die Arbeit draußen am Feld", vermerkt der Landwirt, der für sein System rund 15.000 Euro aufgewendet hat. Zweifel an dieser Entscheidung sind Fehlanzeige: "Allein durch die Einsparungen betreffend Zeit, Kraftstoff sowie Saatgut hat sich meine Investition gerechnet. Es bedeutet eine Herausforderung für die moderne Landwirtschaft, solche neuen Technologien effizient einsetzen zu können."

Die Entwicklung, die fast überall in der Gesellschaft zu radikalen Veränderungen führt, erreicht nun auch die Tore der Landwirte: Romantische Klischees vom Bauernalltag, wo beseelte Agrarmitarbeiter umringt von Tieren in den Sonnenuntergang schreiten, werden zunehmend durch das digitale Vorrücken ausgehebelt. Experten haben für die Entwicklung schon das passende Etikett gefunden: Wenn Melkroboter Daten über die Gesundheit von Kühen sammeln und Roboter Unkraut verhindern, verwandeln sich Stall, Stube und Acker zu "Farming 4.0".

Was auf den ersten Blick wie Star Wars in der Scheune wirkt, preisen Digital- Gurus nach bewährtem Hausbrauch als Schlaraffenland. Dort soll der Berufsalltag durch innovative Technik eine neue Dimension erreichen: Abläufe werden beschleunigt, die Effizienz nach oben katapultiert und das Budget geschont. "Wenn ein Landwirt 30 Prozent sparen kann, da er bei jedem Quadratmeter genau weiß, wie viel Düngemittel für einen maximalen Ertrag nötig ist, ist das wertvoll. Mit den steigenden Anforderungen an die Landwirtschaft wird auch der Grad an Technisierung wachsen", verkündet Maximilian-Bernhard von Löbbecke.

Er ist Geschäftsführer von "365Farm-Net", jenem Start-up, dessen Komplettlösung für E-Hofmanagement rund 5000 internationale Kunden verwenden. Die zentrale digitale Koordination des Erwerbslebens soll laut von Löbbecke den Schweißfaktor begrenzen: "Der Landwirt muss nicht mehr morgens mit dem Fahrrad von einem Lager zum nächsten fahren und prüfen, wie viel Ware da ist oder wie feucht sein Silo ist. Das wird ihm mitgeteilt. Oder er erhält eine Warnung, dass Kuh Nummer 37 morgen krank im Stall stehen wird. Durch den Einsatz von Sensoren kann ein Programm solche Ereignisse rechtzeitig berechnen."

Wenig prophetische Gabe ist hingegen erforderlich, um jenes Werkzeug zu identifizieren, das Profis auf einer Schlüsselposition 4.0 erwarten: das Mobiltelefon. So macht etwa die Farm-Management-Software "trecker.com" deutlich, welche Funktion dem Handy zumindest auf dem Papier zugedacht ist. Via Smartphone kann der Landwirt Daten wie Arbeitszeit oder Betriebsmittel gleich auf dem Feld erfassen und der Online-Plattform übermitteln. Durch Ortung via GPS weiß die Lösung automatisch, wann welche Arbeit auf welchem Ackerland durchgeführt wurde.

So bleibt keineswegs nur das Geschehen vor Ort unter jener Kontrolle, die Fehler oder Fehlplanungen vermeiden soll, die Kosten von betrieblichen Aktivitäten kommen gleichermaßen ans Licht - begleitet vom Versprechen des Herstellers, dass der organisatorische Aufwand sinkt und das Personal deshalb seine Kernaufgaben viel besser erledigen kann. "Niemand muss Maßnahmen auf Zetteln dokumentieren und händisch in seine Kartei einpflegen", sendet trecker.com-Geschäftsführer Benedikt Voigt seine Frohbotschaft an Bauern mit latenter Bürokratie-Allergie.

Gute Gefühle könnte die Philosophie hinter dem "Precision Agriculture" auch bei Konsumenten auslösen, die von fragwürdigen Praktiken genervt sind, denn dann kann der Bauer, dessen glückliche Bio-Hühner in Wahrheit aus Massentierhaltung stammen, Abnehmer kaum noch täuschen. Durch die massive Menge an Daten, die von den Maschinen gesammelt wird, werden Überprüfungen des Umfeldes, in dem Tiere und Pflanzen gedeihen, viel leichter. Für seriöse Landwirte ergibt sich wiederum eine zusätzliche Marketing-Chance, immer kritischere Konsumenten mit glaubhaften Informationen rund um Produkte zu nähren, sei es über eigene Websites oder QR-Codes auf Verpackungen.

Man muss wissen, dass viele Landwirte nicht einmal ein Smartphone besitzen

Die ansehnliche Vorteilspalette von Farming 4.0 sollte eigentlich einen Ansturm auf Hardware und Software bewirken. Doch die aktuelle Lage dürfte nicht nur IT-Anbieter enttäuschen, die von überquellenden Kassen träumen. Wenig Freude werden auch jene verspüren, die von Digital Farming aufgrund der optimierbaren Produktion eine bessere Versorgung der Welt mit leistbaren Lebensmitteln erwarten. Doch statt des großen Booms scheint bei den Landwirten derzeit noch überwiegend das große Abwarten angesagt zu sein. "Farming 4.0 kommt sicher, aber die Akzeptanz für digitale Systeme wächst einstweilen nur langsam", unterstreicht Jochen Kohler, Experte des Beratungsunternehmens Capgemini, der auch konkrete Ursachen für den Reformstau kennt: "Viele Lösungen gehen am Plug-and-Play-Prinzip vorbei und sind zu komplex. Das überfordert eine Zielgruppe, die ohnehin nicht besonders versiert im Umgang mit Technologie ist. Man muss wissen, dass viele Landwirte nicht einmal ein Smartphone besitzen."

Doch selbst das iPhone neben dem Kachelofen wäre kein Garant für Beschleunigung. Alleine wegen struktureller Defizite: Mobilfunkverbindungen und Webzugänge gelten im ländlichen Raum seit jeher als Wackelkandidaten, geändert hat sich wenig. Was nicht nur Fragen nach dem reibungslosen Betrieb von Anwendungen aufwirft, sondern den Dauerbrenner Security ins Spiel bringt. Wenn es an der Online-Basis kriselt, wie sollen Schutzmechanismen installiert werden, die Datenmissbrauch wirksam verhindern oder Hacker beim virtuellen Angriff auf den Hof stoppen.

Ein weiteres Hindernis für den digitalen Durchstart, ist, dass den meisten Landwirten schlichtweg das Geld für den Einstieg in neue Zeiten fehlt. Jochen Kohler: "Die Anschaffung von Technologie können sich kleinere Höfe kaum leisten. Dazu kommt der Mangel an einheitlicher Beratung, was beim potenziellen Abnehmer naturgemäß Unsicherheiten auslöst, da er nicht wissen kann, welches System für seinen Betrieb am passendsten wäre. Hier fehlt eine übergreifende Plattform mit Details zu Produkten."

Mehr Fachwissen könnte gleichzeitig gewisse Vorurteile abfedern. Die Landwirtschaft gilt erfahrungsgemäß als konservativer Boden, wo Veränderungen ähnlich viel Anklang finden wie wochenlange Dürreperioden. Deshalb steht der Wertewandel in Richtung Farming 4.0 vorerst unter eher skeptischer Beobachtung - auch deshalb, weil so mancher Landwirt kaum Mehrwert erkennt, wenn eine Maschine ortet, dass es um Tiere schlecht bestellt ist; aufmerksame Hüter des Stalls erkennen dies bei entsprechender Routine auch ohne Sensoren.

Die Landwirtschaft steht durch sinkende Verkaufspreise und wachsende globale Konkurrenz schon seit Jahren unter einem extremem Druck

Das Resultat einer Umfrage des deutschen Digitalverbandes Bitkom unter Landwirten spricht jedenfalls eine deutliche Sprache: Rund 80 Prozent der Teilnehmer vertreten die Ansicht, dass viele ihrer Kollegen zögerlich agieren, was den Einsatz von digitalen Technologien angeht. Trotz des allgegenwärtigen Online-Hypes ist im Nachbarland erst jeder fünfte Betrieb auf besagten Zug aufgesprungen. Luft nach oben ist also vorhanden in jener Industrie, die bestimmte Fakten nicht ewig verdrängen wird können. Heikle Entwicklungen machen zumindest das Nachdenken über Technik zur Pflicht. Wie eine Beschwörungsformel klingt hier die Analyse von Bitkom-Präsident Bernhard Rohleder: "Die Landwirtschaft steht durch sinkende Verkaufspreise und wachsende globale Konkurrenz schon seit Jahren unter einem extremem Druck. Digitalisierung kann jedoch an vielen Stellen eine benötigte Entspannung bringen."

Solche Botschaften gehen immer wieder ins Leere oder werden gern als überzogene Hysterie abgetan -was sich möglicherweise als fataler Fehler darstellen könnte. Bitkom wertet jedenfalls die Offenheit gegenüber neuen Technologien als ein künftiges Kriterium, das zunehmend über Erfolg oder Misserfolg entscheiden wird. "Gewinner werden nur jene sein, die nötige Veränderungen ebenso frühzeitig wie konsequent in die Tat umsetzen", ist Bernhard Rohleder überzeugt.

Experten sind sich allerdings darin einig , dass der Agrarsektor wohl kaum zum Vorzeige-Digitalparadies avancieren dürfte. Bei der analogen Monokultur würde es aber auch nicht bleiben, signalisiert Roland Berger. Laut jener Unternehmensberatung wird nämlich der globale Markt für intelligente Agrar-Applikationen bis 2020 jährlich um durchschnittlich zwölf Prozent wachsen. Bei Geräten soll der Wert nur mehr rund vier Prozent betragen.

Der oft zitierte Silberstreifen am Horizont ist also durchaus vorhanden. Damit die Zielgruppe ihre Zurückhaltung weiter ablegt, läuft gleichzeitig die Suche nach der berühmten Killerapplikation, die selbst den letzten Zweifler von der Datenautobahn überzeugt. Hoffnungsträger sollen laut den Vordenkern der Digitalsphäre schon im Landeanflug sein: Drohnen, die mittels Kamera einen ungewohnten Blick auf Felder oder Wälder werfen können - von ganz weit oben.

Drohnen könnten künftig als wichtiger Bestandteil der Präzisionslandwirtschaft fungieren

Solche Flugobjekte, die derzeit auch im Online-Shopping als Zusteller massiv im Gespräch sind, ermöglichen nicht nur die Überprüfung von Hof, Silos oder Lagerhallen aus luftiger Höhe. Analyse und Kontrolle von Vorgängen betrifft ebenfalls die Pflanzenwelt. Infrarotaufnahmen können ungleichmäßige Entwicklung in der Vegetation aufdecken und Handlungsbedarf melden. Bei Nährstoffmängeln oder einer Bedrohung durch Unkraut entsteht eine Erkenntnisgrundlage für möglichst zeitnahe Reaktionen. "Drohnen könnten künftig als wichtiger Bestandteil der Präzisionslandwirtschaft fungieren. Es wird auf diesem Weg einfacher, durch exakte Informationen über Pflanzen gezielt auf deren Bedürfnisse zu reagieren. Insgesamt lassen sich durch diese Daten Ressourcen schonen", erklärt Christoph Metzker, Bereichsleiter für Betriebsmittel der Raiffeisen Ware Austria, die in ihren Lagerhäusern der Kundschaft solche einschlägigen Flugdienste offeriert.

Abheben sollen möglichst bald auch jene Umsätze, die Anbieter mit solchen Services oder Hardware lukrieren möchten. Die Strategen in den internationalen Chefetagen beziehen bereits Position für den Wettbewerb, signalisieren Offensiv-Bemühungen von Bayer. Der Konzern hat mit der Übernahme von proPlant, einem Spezialisten für Diagnose-und Warndienste, der künftig unter Bayer Digital Farming firmiert, sein Standing auf dem Markt ausgebaut. Das Vertrauen in reichhaltige Ernte dürfte unerschütterlich sein: Geplant sind laut den Verantwortlichen bald noch weitere Investments.

Vom Sinn und Zweck allfälliger tiefer Griffe in die Tasche zeigt man sich jedenfalls zutiefst überzeugt. "Wir erweitern damit unsere Technologie-Plattform, auf deren Basis neue Lösungen für eine ebenso nachhaltige wie effiziente Agrarproduktion entstehen. Digitalisierung kann Landwirten zeitnahe und spezifische Grundlagen für Entscheidungen liefern", erklärt Liam Condon, Vorstandsmitglied von Bayer.

Autonome Feldroboter werden ein großes Thema in den kommenden drei bis fünf Jahren

Solche Aufgaben könnten bald auch Musterschüler der IT-Szene erledigen, die als kommende Überflieger mit Umsatzgarantie gelten. "Autonome Feldroboter werden ein großes Thema in den kommenden drei bis fünf Jahren", betont Christoph Metzker -zu jener Spezies zählt "Franc", entwickelt von der BLT Wieselburg an der Höheren Bundeslehr-und Forschungsanstalt Francisco Josephinum zusammen mit der TU Wien und der HTL Waidhofen/ Ybbs. Dieser Elektrohelfer soll Pflegemaßnahmen vorwiegend im Biolandbau automatisch abwickeln. An genügend Vitalität dürfte der Prototyp dabei keineswegs scheitern. Er fährt eigenständig und ohne humane Unterstützung über die in Auftrag gegebenen Felder. Ausgestattet mit Kameras, die den Bestand scannen und anfallende Daten verarbeiten. Damit der Bauer rasch bis ins kleinste Detail weiß, ob unerwartete Schädlinge angreifen oder ob sein Feld die reine Anbau-Harmonie versprüht. Vielleicht interessiert sich ja bald sogar Google für die selbstlenkenden Agrarkollegen.