LERNFÄHIGKEIT: Das Team des Start-ups Onlim hat einen Chatbot für  einen Energieversorger entwickelt.

Plaudermaschinen: Wien als Hotspot der Chatbot-Entwickler

Die großen Erwartungen an Chatbots haben sich nicht ganz erfüllt. Doch den Anlaufschwierigkeiten zum Trotz haben die digitalen Plaudertaschen eine große Zukunft – und Wien gilt als Hotspot der Chatbot-Entwickler.

Drucken

Schriftgröße

"Hallo, danke, dass Du mir eine Nachricht schickst. Sende mir Deinen Standort und ich verrate Dir die nettesten Hipster-Hotspots in Deiner Nähe!“ Das schreibt kein Mensch, sondern „Mica, the Hipster Cat Bot“. Es handelt sich um einen Chatbot, der von der Wiener Softwareentwicklerin Barbara Ondrisek programmiert wurde. Ein Chatbot ist ein Dialogsystem, das über Text oder Sprache mit Menschen kommuniziert. Mica tritt auf Facebook als Cartoonkatze mit Sonnenbrille auf und chattet überraschend souverän, macht Lokalvorschläge in der Nähe und gibt Tipps, mit welchen Stichworten man bei der Suche weiterkommt: „Versuch’s doch mit ‚Beer in Wien‘“, rät sie. Ihre Währung ist der Standort. Standort gegen Lokaltipp – so funktioniert das. Dazwischen gibt es unaufgefordert Katzeninfos, sogar einen aktuellen Katzenbuchtipp hat sie parat. Auf das Thema Katzenallergie reagiert Mica allerdings sensibel und verabschiedet sich höflich. Ihr Repertoire ist erschöpft.

Seit Facebook im Frühjahr 2016 die Programmierschnittstelle auf dem Messenger öffnete und Gründer Mark Zuckerberg Chatbots zu den neuen Apps erklärte, brach in der Gründerszene ein Hype aus, der sich nicht so ganz erfüllt hat und auf den nach ersten Lernergebnissen nun Realismus folgt. „Es war vieles over-promised“, sagt Maximilian Unger vom Wiener Chatbot-Entwickler TheVentury rückblickend. In der schnelllebigen Welt neuer Technologien sind das gerade einmal 20 Monate.

Wiener Chatbot-Szene

Wien steht in dem Ruf, einer der weltweiten Hotspots von Chatbots zu sein. Die Wiener Szene besetzt das Thema vielfältig und nicht wie so oft monothematisch rund um einen großen Technologieanbieter. „Hier gibt es eine Melange an guten Leuten mit unterschiedlicher Expertise“, sagt Thomas Schranz, Initiator des Inkubator-Programms lemmings.io, das auch regelmäßig Hackathons veranstaltet. „Dabei geht es vor allem darum, herauszufinden, was man mit Künstlicher Intelligenz machen kann, und auch darum, hinter den Hype zu schauen“, sagt Schranz. Losgelöst von jedwedem Geschäftsanwendungsfall bekommen die Teilnehmer eine Aufgabe gestellt und können ab dann ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Da widmet man sich eben ein Wochenende lang der Zombie-Apokalypse und baut an einem Zombiedetektor. Dieses Format zieht auch Menschen aus anderen Disziplinen an. So kam etwa Martina Schöggl von der Universität für angewandte Kunst zu den Chatbots. Sie hat seither mehrere entwickelt, zuletzt einen für eine Ausstellung im MAK (siehe Beispiele rechts). „Ich interessiere mich für digitale Kultur, das Internet und Automatisierungen. Insofern war es die logische Konsequenz, mit Künstlicher Intelligenz im Ausstellungsraum zu experimentieren, zumal Smartphones im Museum ohnehin omnipräsent sind.“ Mit dem Chatbot haben Besucher die Möglichkeit, ihren Interessen entsprechend und mit ihren eigenen Geräten den Ausstellungsbesuch zu gestalten und später auf die Informationen zurückzugreifen.

Ein Name in der Wiener Chatbot-Szene, an dem man nicht vorbeikommt, ist David Pichsenmeister von orat.io. Das Unternehmen (Bernhard Hauser ist Co-Gründer) hat sich nicht nur einen guten Ruf als Veranstalter der Wiener Chatbotkonferenzen 2016 und 2017 erworben, es hat bereits 2015 eine Messenger-Plattform gebaut. Facebook hatte damals gerade begonnen, an seiner Plattform für den Messenger zu arbeiten und wurde auf der Suche nach externen Anbietern von Automatisierungslösungen als Tester auf orat.io aufmerksam.

Eine Bremse für den Vertrieb und letztlich das Geschäftsmodell rund um Chatbots ist indes die Tatsache, dass sie schwer zu finden sind. Anders als Apps, die über Appstores erhältlich sind, gibt es keinen Botstore. Rund 200.000 Chatbots sollen über den Facebook-Messenger laufen, doch wie stark sie tatsächlich genutzt werden und ob sich damit auch Geld verdienen lässt, bleibt unklar. Die Businessmodelle kreisen noch stark um Nutzerzahlen. „Es wird nun darum gehen, echte Business Cases zu schaffen“, sagt Maximilian Unger von TheVentury, das mit seinem Chatbot-Accelerator Elevate auch für Start-up-Nachwuchs sorgt. Nachhaltiger erscheinen vorerst Geschäftsmodelle von Technologieunternehmen, die eine Plattform betreiben, über die die Automatisierung von Chatbots bzw. das automatisierte Beantworten von Nachrichten läuft. Dafür wird ein externer Service-Anbieter benötigt, wie etwa die Plattform von orat.io. oder Onlim – dieses Tiroler Start-up baut nicht nur maßgeschneiderte Bots für Unternehmen, sondern betreibt auch eine multikanalfähige Plattform, für deren Nutzung eine Managementgebühr anfällt. Chatbots kommunizieren nicht nur über den Messenger, sondern über eine Vielzahl von Kanälen wie Telegram, Slack, Kik, WeChat, Viber sowie Sprachassistenten à la Alexa. Und sie können auch auf Unternehmenswebsites integriert werden.

„Künstliche Intelligenz ist nicht der Kern“

Eingangs herrschten überzogene Erwartungen an die Lernfähigkeit von Chatbots. „Künstliche Intelligenz ist nicht der Kern“, sagt Unger. Noch sind sie eher smarte Suchmaschinen mit Konversationstalent. Er empfiehlt deshalb klar definierte Anwendungsfälle: „Ein Bot der Wiener Linien bietet Verbindungsinformationen, muss aber keine Wetterprognose parat haben.“ Denn fächerübergreifendes Lernen ist nicht die Stärke des Chatbots. „Ist das Thema eng abgegrenzt, lernt er schneller“, betont Marc Isop von Onlim. Das Start-up hat zuletzt den BotTina für Wien Energie entwickelt. Mit je mehr Sprachinhalten der Chatbot zu einem Thema gefüttert wird und lernt, diese mit Informationen zu verknüpfen, desto besser wird er.

Was macht also der Mensch mit dem Bot und umgekehrt? Die Kommunikation mit dem Chatbot wird mitunter zur Herausforderung für das soziale Wesen Mensch. „Gegenständen, die in natürlicher Sprache mit uns kommunizieren, schreiben wir eine gewisse Grundintelligenz zu. Der Logik folgend: Kann es sprechen, so muss es intelligent sein“, sagt David Pichsenmeister. „Emotion oder Ironie versteht der Bot nicht“, ergänzt Unger. „Im Ausstellungskontext beobachte ich, dass die Interaktion mit Bots meist noch kurz ist“, meint Martina Schöggl. Sobald sich das Gespräch wiederholt, ist es den Nutzern zu langweilig. Schaue man aber auf die KI-Entwicklungen großer Technologieanbieter wie Alexa oder Siri, gewinne das Thema an Bedeutung. In der Welt der Kundenservice-Chatbots zeigt sich andererseits, dass Menschen mitunter erstaunlich viel Zeit mit der Maschinenkonversation verbringen. Um Enttäuschungen gering zu halten, empfehlen Experten deshalb, Chatbots deutlich zu kennzeichnen. Aktuell verstehen Chatbots viele Dinge noch nicht, dennoch steckt in der Automatisierung der Kundenkommunikation zweifellos Potenzial. So werden damit klassische Callcenter entlastet, weil der Chatbot die üblichen Einstiegsfragen schnell beantworten kann und der Mitarbeiter Zeit gewinnt, sich den komplexeren Anfragen zu widmen. Mehrere österreichische Unternehmen mit einer großen Zahl an Endkunden haben Chatbots bereits entdeckt: Wien Energie, Uniqa, A1, Austrian Airlines. Zunächst lockt das Kostensenkungspotenzial die Auftraggeber. Wird der Bot so programmiert, kann er auch im Vertrieb mithelfen und die Kunden auf neue Angebote hinweisen. Marketing über Chatbots könnte das nächste große Ding nach Newslettern werden. „Marken treten über Chatbots mit Kunden direkt in Kontakt“, sagt Unger. Der Chatbot eines britischen Luxusmodelabels etwa lädt den Interessierten persönlich ein, über die neue Frühjahrskollektion am Laufenden gehalten zu werden – und auch darüber, ab wann sie erhältlich ist. Dazwischen bespielt er das Image subtil und versendet eigens zusammengestellte Playlists zum Download – quasi als Soundtrack der Markenwelt.