Kellerpartie: Wenn Männer im zweiten Berufsleben zu Winzern werden
Von Manfred Klimek
Die Rebstöcke schneiden andere. Nur nicht der Chef - der Dicke mit den langen, ungepflegten Haaren. Dem Dicken gehört Château de Tigné, ein Weingut in der französischen Provinz Anjou. Am Ende jedes Jahres landen hier viele verschiedene Weine in den Fässern, die zwölf bis 14 Monate später in den Vinotheken stehen. Keine Flasche bleibt zurück, denn Château de Tigné ist stets ausverkauft.
Das liegt am prominenten Besitzer, dem breitschultrigen Schauspieler Gérard Depardieu, der für seine Kreationen eifrig die Werbetrommel rührt. Eines jedoch kann man mit Gewissheit sagen: Depardieu versteht so gut wie nichts von Wein.
So gesehen ist es ein Wunder, dass auf Tigné und den anderen drei großen Weingütern Depardieus überhaupt genießbarer Wein abgefüllt wird. Wenn der egozentrische Darsteller auf sein Weinwissen abgeprüft wird, flüchtet er in Beliebigkeiten und Floskeln. Spontanvergärung und biologischer Säureabbau bleiben ihm fremde Worte aus einer fremden Welt. Doch das ficht den Leinwandstar nicht an, er geriert sich als großer Weinmacher.
Günther Jauch hingegen weiß, was Spontanvergärung bedeutet. Sein Önologe Andreas Barth beherrscht dieses naturnahe Verfahren wie nur wenige andere Weinmacher an der Mosel. Der Journalist und Fernsehmoderator Jauch hat vor vier Jahren das renommierte Weingut Othegraven aus familiären Gründen übernommen. Ohne seine Hilfe wäre der Besitz wohl in schlechte Hände gelangt und zerschlagen worden. Jauch ist das Gegenteil von Depardieu: Das Blenden und Angeben sind ihm fremd, und er kann zudem recht detailliert über die Herstellung seiner Weine referieren. Das nötigt inzwischen selbst skeptischen Winzerkollegen Respekt ab.
Zwei grundverschiedene Weinmacher. Zwei grundverschiedene Weinstile. Zwei grundverschiedene Gründe, mit dem Weinbau anzufangen. War es bei Depardieu laut seiner eigenen Aussage der Drang, ein französisches Kulturgut zu gestalten, so hat Jauch aus fast zwingenden Gründen zu seinem Zweitberuf gefunden. Doch gezwungen oder freiwillig: Immer noch wollen viele reiche Männer und Promis ab Mitte 40 in die Landwirtschaft investieren und Wein machen. Warum?
Kellergötter
Früher blieb der Weinbau-Adel unter sich. Tausende kleine Winzer lieferten ihre schon fertigen Weine an die meist in Familienbesitz befindlichen Güter und Kellereien. Dort wurden die Rebsäfte unter fachkundiger Aufsicht verschnitten und auf die Flaschen gebracht. Mit dem Zerfall alter Strukturen und dem raschen Aufstieg individueller Klein- und Mittelwinzer explodierte jene Vielfalt im Weinbau, die uns heute eine Unzahl verschiedener Weinstile beschert. War ein Weinbauer vor 40 Jahren noch eine eher einfältige Gestalt, so findet man heute unter gelernten und ungelernten Önologen richtiggehende Agrar-Intellektuelle, eine Avantgarde der naturnahen Landwirtschaft, Kellergötter, die ein berauschendes Getränk keltern, das von selbst ernannten Wichtigtuern in Verkostungen analysiert wird, als handle es sich um den Zaubertrank des Asterix-Druiden Miraculix.
Natürlich ist so etwas anziehend: einen exzellenten Wein zu machen, der noch dazu gut bewertet wird und in den besten Restaurants auf der Karte steht. So etwas macht stets einen schlanken Fuß. Und dennoch gibt es substanziellere Gründe, die Wohlhabende und Prominente in den Weinbau einsteigen lassen. Der wichtigste: sicheres Investment.
Das britische Wirtschaftsmagazin "Economist schrieb vor bald 20 Jahren die legendäre Empfehlung, das am Finanzmarkt aufgestellte Geld im Weinbau zu erden - die romantische Landwirtschaft verspreche ungeahnte Erträge. Das ließen sich nicht nur Konzerne wie der französische Versicherer Axa oder das Luxushaus Louis Vuitton zwei Mal sagen, auch viele andere Investoren, die keine weiteren Parkplätze für ihr großes oder etwas kleineres Geld fanden, wandten sich dem Weinmachen zu. Die Erfolgreichen ahnten gleich, dass sie sich alle romantischen Träume abschminken können. Unterm Baum zu sitzen und in der südlichen Abendsonne eine Flasche zu leeren, ist nicht des Winzers Alltagsleben.
Die Erfolgreichen sind solche wie etwa der ehemalige Popkünstler Günther Schönberger, die ihr Investment wirklich als erfüllende Lebensaufgabe gestalten. Der frühere Saxofonist der Millionenseller-Kultband EAV steht mit seinem Sohn Jakob auch bei Kälte und Regen im Weinberg und trägt die Trauben für ein paar der besten biologischen Weine Österreichs in den eigenen Keller. Hier paarten sich einst Engagement und das Nachdenken in der Lebensmitte mit der Sehnsucht, im verbleibenden Rest seiner Zeit auch Nachhaltiges zu schaffen.
Diese Sehnsucht spürt auch Roman Niewodniczanski. Seine Familie regiert die Getränkekonzerne Bitburger und Gerolsteiner. Der Sohn hatte jedoch keine Lust, Massengetränke abzufüllen und erwarb das alte Weingut Van Volxem an der Saar. Hier versucht er nun, in der Region ein weiteres relevantes und internationales Spitzenweingut zu etablieren. Niewodniczanski ist ein Rasender in Sachen Wein. Für seine teils radikal neuen Abfüllungen sammelt er jedes Jahr hohe Bewertungen und internationale Auszeichnungen. Doch trotz des Erfolgs ist Van Volxem noch nicht über dem Berg - ein Winzer ohne ausreichendes Kapital hätte Niewodniczanskis Traum nicht verwirklichen können.
Wie wichtig relevantes Engagement in Sachen Wein sein kann, bewies schon vor langer Zeit der Filmregisseur Francis Ford Coppola, der 1978 im kalifornischen Napa Valley Land, Haus und Keller erwarb. Als die enormen Produktionskosten seines Films "Apocalypse Now seine Produktionsfirma in den Abgrund zu reißen drohten, nahm die Bank das Weingut in Zahlung - der Wein hat Coppola den Arsch gerettet.
Das gute Investment und die betörende Kellerromantik können schnell verfliegen, wenn zwei schlechte Weinjahre hintereinander die Ernten minimieren. So ein Schicksal kann nur den britischen Sänger und Promiwinzer Sting kaltlassen. Er verschenkt die Weine seines toskanischen Weinguts ausschließlich an Freunde und gönnt sich selber ein paar Flaschen. Da hat einer alles richtig verstanden.