Der Mann, der zu viel weiß

Meteorologe Michael E. Mann und sein Kampf gegen die Öl- und Kohlelobby

Klima & Nachhaltigkeit. Ein Meteorologe und sein Kampf gegen die Öl- und Kohlelobby

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Von Heike Wipperfürth

Michael E. Mann, Leiter, des Earth System Science Centers der Pennsylvania State Universität, pfeift auf Diplomatie und Verniedlichungsvokabular, wenn es um seine Sache geht. Der Chef des mächtigsten Erdwissenschaftsinstituts Amerikas vermittelt den Eindruck, nichts, aber auch gar nichts könne ihn davon abhalten, gegen die Klima-Skepsis massiv aufzutreten. Er ist ein polarisierender Kämpfer für den Klimaschutz und bleibt ein unermüdlicher und hartnäckiger Arbeiter, wenn es darum geht, die Welt vor der großen Katastrophe zu bewahren. "Die Klimawandelzweifler gehen mit uns Forschern um wie Raubtiere in der Serengeti, die ihre Beute erlegen“, wettert er gegen seine Gegner. Und rechtfertigt damit seine Unnachgiebigkeit, die auch vor dem Willen der mächtigen Öl- und Kohlelobby Amerikas nicht Halt macht.

Der Mann, der zu viel weiß
Dass der kleine rundliche Herr im Kampf gegen die Erderwärmung mittlerweile in der ersten Reihe steht, hätten viele noch im vorigen Jahr nicht für möglich gehalten. Fast hätte ein Skandal seine Karriere als Wissenschafter ruiniert. Doch der 48-Jährige gab nicht auf, bis Untersuchungen bestätigten, dass er nichts falsch gemacht hatte.

Zum Eklat kam es, als im Jahr 2009 eine Gruppe von Hackern mehr als 1000 E-Mails der berühmtesten Klimaforscher der Welt aus dem Server der Klimaforschungsabteilung der britischen Universität von East Anglia knackten - darunter befanden sich auch viele von Michael E. Mann. In seinen Mails war unter anderem zu lesen, dass er "Tricks“ benutzt habe, was seine Kritiker als Täuschungsversuch interpretieren, mit dem Ziel, Forschungsergebnisse zu manipulieren. Ein herber Rückschlag für den ehrgeizigen Forscher. Und ein Skandal, der als Klimagate durch die Medien ging und sich immer weiter ausbreitete, bis im Frühjahr 2010 parlamentarische Ausschüsse in Großbritannien und den USA Mann und seine Kollegen von allen Vorwürfen freisprachen. Auch die Pennsylvania State Universität, an die Mann 2005 von der Universität von Virginia wechselte, und die National Science Foundation schlossen sich nach langen Untersuchungen diesem Urteil an: Mann habe mit dem Wort "Trick“ lediglich die Lösung eines komplizierten statistischen Problems beschrieben, in dem es darum ging, mehrere Dateien zusammenzufügen.

Kampfbereitschaft
Umweltschützern gefällt so viel Kampfbereitschaft. "Er hat sich immer wieder gegen die Politik gestellt und dabei seinen Ruf mit der Integrität der Klimawissenschaft verbunden. Und er hat jedes Mal gewonnen“, freut sich etwa Larry Schweiger, Leiter der National Wildlife Federation, einer der größten Tierschutzorganisationen der Welt.

Mann ist es gewohnt, komplizierte Aufgaben zu lösen. Schon 1999 war er Co-Autor einer Studie, die das berühmte Hockeyschläger-Diagramm enthielt und einen ganz besonderen Einblick in die Erdatmosphäre der vergangenen 1000 Jahre vermittelte.

Weil Temperaturmessungen mit Thermometern erst seit 150 Jahren existieren, mussten die Forscher weltweit Baumrinden, Korallen und Sedimente vermessen, bis sie eine erstaunliche Entdeckung machten: Die Weltklimakurve verlief bis ins 19. Jahrhundert einigermaßen gerade. Danach aber, als immer mehr fossile Brennstoffe benutzt wurden, stieg sie steil nach oben, was sich grafisch in der Form eines Hockeyschlägers manifestierte - und die Schuld des Menschen am Klimawandel auf plakative Weise verdeutlichte.

Diese Erkenntnis führte dazu, dass sich auch der Weltklimarat für das Diagramm zu interessieren begann und es in seinem 2001 veröffentlichten Bericht - in einer speziellen Zusammenfassung für Politiker - abbildete. Schließlich war der Rat 1988 vom UN-Umweltprogramm gegründet worden, um die Klimaerwärmung zu bekämpfen. Sechs Jahre nach der Veröffentlichung des Hockeyschläger-Diagramms wurde der Rat, für den Michael E. Mann als Sachverständiger tätig war, für seine Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Ein großer Erfolg, auf den Mann bis heute sehr stolz ist.

Doch mit der steigenden Anerkennung wuchs naturgemäß auch die Seite der Skeptiker. Selbst der "Freispruch“ Manns in der Klimagate-Affäre, brachte seine Kritiker nicht zum Schweigen. Nicht einmal zwei Studien, die das berühmte Diagramm widerlegen sollten und dem Ausschuss für Energie und Handel im US-Repräsentantenhaus vorgelegt wurden, verhalfen der Anti-Mann-Fraktion zum erhofften Erfolg. Im Gegenteil - die durch den Konflikt ausgelösten Debatten, die immer weitere Beweismittel einforderten, konsolidierten die wissenschaftliche Erkenntnis, dass der Mensch am Klimawandel ganz erheblich beteiligt sei.

Das brachte die Gegner des Klimatologen nur noch mehr auf die Palme. Anstatt die Situation zur Kenntnis zu nehmen, starteten sie weitere Vorstöße gegen Mann. Einer seiner furiosesten Angreifer ist Ken Cuccinelli, der erzkonservative Generalstaatsanwalt von Virginia. Zwei Jahre lang versuchte der eifrige Advokat, die Universität von Virginia via Gericht zur Herausgabe der E-Mails von Mann zu zwingen. Cuccinelli wollte den Forscher wegen Betrugs bei seiner Klimaarbeit dingfest machen - bis das höchste Gericht des US-Bundesstaates ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Nach herrschender Rechtssprechung dürfe er die Schriften nicht haben, hieß es in dem Urteil. Eine Entscheidung, die von den Wissenschaftern der Union of Concerned Scientists mit großer Freude begrüßt, von Klima-Skeptikern aber heftig kritisiert wurde. Kurz darauf meldete sich das Competitive Enterprise Institute, ein erzkonservativer Thinktank in Washington, mit einer neuen Attacke gegen Mann zu Wort. Es warf dem Forscher Datenmanipulation vor und verglich ihn gar mit dem Kriminellen Jerry Sandusky, dem Ex-Footballtrainer der Penn State Universität, der wegen sexuellem Missbrauch von Buben für schuldig gesprochen wurde.

Als die konservative Publikation National Review gegen Mann ähnliche Vorwürfe erhob, platzte diesem schließlich der Kragen: Er drehte den Spieß um und verklagte seine Kontrahenten. Sein Vorwurf: falsche Aussagen und Verleumdung. Dass die Angeklagten seine Klage für völlig unbegründet halten, liegt in der Natur der Sache. Weil das Gericht deren Antrag, die Klage abzuweisen, jedoch bereits zurückgewiesen hat, könnte es demnächst zur Tatsachenermittlung und der Vorlage von neuerlichen Beweismitteln kommen.

Auch mit seinem Widersacher Ken Cuccinelli musste sich Mann erst kürzlich wieder auseinandersetzen. Dieser hatte sich für die Republikaner für den Governeurposten in Virginia beworben, weil ihm aber hohe Popularitätswerte abhanden gekommen waren, verlor er den Posten an einen Demokraten. Was unter anderem daran lag, dass Mann in dessen Wahlkampf mitgewirkt hatte: Der Professor war mit dem ehemaligen demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton aufgetreten und wetterte in einem Wahlkampfvideo gegen die Öko-Skepsis und den mächtigen Blockierer aus diesem Lager. "Ken Cuccinelli hat Steuergelder verschwendet und die Universität von Virginia dazu gezwungen, 600.000 Dollar auszugeben, um sich zu verteidigen, obwohl es besser gewesen wäre, wenn er Virginia geholfen hätte, sich auf die Erderwärmung vorzubereiten“, posaunte der mittlerweile blendend vernetzte Klimatologe.

Sogar Barack Obama, der nach Virginia reiste, um den demokratischen Kandidaten im Wahlkampf zu unterstützen, machte klar, dass Wissenschafter wie Michael E. Mann nicht derart an den Pranger gestellt werden dürfen. "Es schafft doch keine Arbeitsplätze, wenn man Wissenschaftern an den Kragen geht“, redete der US-Präsident den Zuhörern ins Gewissen.

Rückendeckung
Auch von weiterer Seite erhält Mann inzwischen Rückendeckung. So kürte ihn das US-Nachrichtenmagazin Bloomberg Markets vor wenigen Monaten zu einem der 50 einflussreichsten Amerikaner. Nicht nur, weil das Hockeyschläger-Diagramm die Klimaerwärmung verdeutlicht habe, sondern auch, weil er in seinem Blog auf die Argumente der Klimazweifler eingeht, so die Begründung.

Inzwischen hat Mann, der am 28. Dezember 1965 geboren wurde, seine früher so deutlich gezeigte Scheu vor der Öffentlichkeit abgelegt. Seine eigenen Erfahrungen stellt er bei Interviews und Vorträgen gern in den Vordergrund, was diesen ein besonders lebhaftes Kolorit verleiht: Seit der Veröffentlichung seines Buches "Der Hockeyschläger und die Klimakriege“ im Vorjahr, in dem er über große Strecken seine eigene Geschichte erzählt, eilt er von einer Lesung zur anderen. Er versucht mit allen Mitteln, die Klimatologie aus dem akademischen Elfenbeinturm herauszuholen und an die breite Öffentlichkeit zu bringen.

Deshalb hat er vor einigen Jahren gemeinsam mit ein paar Kollegen den Blog RealClimate.org gegründet. Darin ist viel über die neuesten Studien zu lesen. So ist etwa aus Harvard zu erfahren, dass in den USA mit großer Wahrscheinlichkeit 50 bis 70 Prozent mehr Methan - ein Treibhausgas wie Kohlendioxid - in die Atmosphäre entweichen, als bisher angenommen. Und von kanadischen Wissenschaftern wird vermeldet, dass der globale Temperaturanstieg der vergangenen 15 Jahre wesentlich höher sein könnte, als bisher bekannt. Vielleicht tragen all diese Initiativen doch dazu bei, dass Klimaforscher hinkünftig ernster genommen werden als bisher und den Zweiflern nicht mehr wie "Beute in der Serengeti“ ausgesetzt sind. Das wäre ein großer Erfolg für Michael E. Mann.