Auf die Kurden kommt es an

Auf die Kurden kommt es an

Bei den Bürgermeisterwahlen in Istanbul droht Recep Tayyip Erdoğan eine weitere Niederlage – wenn er nicht seine Erzfeinde für sich gewinnt.

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Hat Recep Tayyip Erdoğan Istanbul bereits verloren gegeben? Hat sich der türkische Staatspräsident wenige Tage vor der von ihm erzwungenen Wiederholung der Bürgermeisterwahl am 23. Juni damit abgefunden, dass seine Partei, die AKP, die 16-Millionen-Metropole nach einem Vierteljahrhundert an die Opposition verliert?

Anders als vor der Wahl im März, die mit einer knappen Niederlage des AKP-Kandidaten in Istanbul endete, schwingt der unermüdliche Wahlkämpfer Erdoğan diesmal nicht das große Wort – ein Zeichen dafür, dass er mit einer zweiten Niederlage rechnet und sich rechtzeitig davon distanzieren will.

„Unterstützer des Terrorismus“

Gänzlich scheint die AKP den Kampf um Istanbul aber noch nicht aufgegeben zu haben. So hat sie das Steuer der Wahlkampagne herumgerissen. Sie buhlt nun um die Stimmen der Kurden, die immerhin zehn Prozent des Elektorats ausmachen. Sie werden den Ausschlag geben.

Der ehemalige Ministerpräsident Binali Yıldırım, nunmehr AKP-Bürgermeisterkandidat, spricht in seinen Reden nun öfter von „Kurdistan“. Hätte jemand aus der Opposition so gesprochen, wäre er bis vor Kurzem noch als „Unterstützer des Terrorismus“ angeklagt worden. Und erst vor zwei Monaten erklärte Erdoğan kategorisch, dass es „Kurdistan“ in der Türkei nicht gebe. Wer dieses Wort in den Mund nehme, sollte das Land verlassen und „rüber in den Nordirak“ gehen.

Friedensgespräche mit der PKK?

Zudem wird dieser Tage in den Regimemedien verbreitet, dass nach den Istanbulwahlen Friedensgespräche mit der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK aufgenommen werden könnten. Offenbar um dieser Verheißung Glaubwürdigkeit zu verleihen, wurden die Haftbedingungen für Abdullah Öcalan, den seit 20 Jahren einsitzenden Chef der PKK, erleichtert.

Doch die Signale sind widersprüchlich. Während Erdoğan und Yıldırım offenbar auf Kuschelkurs zu den Kurden gehen, bleiben andere AKP-Politiker, wie etwa der Innenminister Süleyman Soylu, bei der strikt antikurdischen Rhetorik. Gleichzeitig befehligt Verteidigungsminister Hulusi Akar gerade eine massive Militäroffensive gegen PKK-Kämpfer im Nordirak.

Anfang des Endes?

Die Stimmen der Istanbuler Kurden sind tatsächlich entscheidend. Die prokurdische Linkspartei HDP hat bereits bei den Kommunalwahlen im März in Istanbul auf einen eigenen Kandidaten verzichtet und eine Wahlempfehlung für Ekrem İmamoğlu von der großen sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP ausgesprochen – keineswegs eine Selbstverständlichkeit: Die CHP war immer türkisch-nationalistisch orientiert und behandelte die Kurden in der Vergangenheit eher schlecht. Gegen den islamischen Autokraten Erdoğan hat die HDP diese säkulare Allianz geschlossen. Auch bei der Wahlwiederholung ist sie nun bei ihrer Unterstützung für İmamoğlu geblieben.

Der kommende Sonntag wird zeigen, ob es Erdoğan doch noch gelingt, konservative kurdische Wähler auf seine Seite zu ziehen. Andernfalls hätte er nicht nur Istanbul verloren – die Niederlage könnte noch viel mehr bedeuten: den Beginn des Endes seiner Herrschaft.

Georg Hoffmann-Ostenhof