Historiker Timothy Snyder: „Trump schaut zu Putin auf“

Historiker Timothy Snyder: „Trump schaut zu Putin auf“

Yale-Historiker Timothy Snyder über Ähnlichkeiten zwischen Trump und Putin und warum wir öfters fremde Menschen treffen sollten.

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Timothy Snyder, einer der renommiertesten Historiker und schärfsten Kritiker Donald Trumps, forscht derzeit am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM). Am 27. September eröffnet er das Vienna Humanities Festival im Wiener Rathaus mit der Vorstellung seines aktuellen Buchs "Der Weg in die Unfreiheit - Russland, Europa und Amerika", das dieser Tage im Verlag C.H. Beck erscheint.

profil hat mit dem Historiker der Yale Universität über sein neues Buch, Ähnlichkeiten zwischen Donald Trump und Wladimir Putin und warum wir öfters fremde Menschen treffen sollten gesprochen.

Interview: Stephan Wabl

profil: In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, dass es Wladimir Putins Ziel sei, die Europäische Union zu zerstören. Wie kommen Sie zu diesem Befund? Timothy Snyder: Russland ist ein kleptokratischer Staat, dessen Elite sich aufgrund ihrer Macht bereichert. Der Wohlstand ist in Russland in der Hand sehr weniger Menschen konzentriert. Um diese Privilegien zu behalten, wird der Rechtsstaat ausgehebelt. Die Strategie von Wladimir Putin und den Oligarchen ist, seinen Bürgern zu vermitteln: Ja, wir sind korrupt. Aber jeder ist korrupt. Die Europäische Union ist korrupt. Die USA sind auch korrupt. Es gibt daher gar keine Alternative zu unserem System und die russischen Bürger sollen froh sein, in so einem starken Land zu leben. Die Europäische Union zeigt aber, dass es Alternativen gibt, der Rechtsstaat für alle gilt, die Medien unabhängig sein können und es einen gewissen sozialen Ausgleich gibt. Daher hat Putin ein Interesse daran, die EU zu spalten und letztendlich zu zerstören.

profil: Wie zeigt sich das in Russlands Politik gegenüber der EU? Snyder: Putin unterstützt unterschiedliche Akteure, die Störfeuer legen und die EU schwächen wollen. Zum Beispiel die Brexit-Anhänger, extrem rechte oder manchmal auch extrem linke Parteien, separatistische Strömungen wie in Schottland oder wie im Fall Trump einzelne Politiker, die für Unruhe und Spaltung sorgen. Dazu kommt noch das Internet, das dazu verwendet wird, um Mistrauen gegenüber der EU und traditionellen politischen Parteien zu schüren.

profil: Sie haben von Oligarchen gesprochen. Der Begriff ist mittlerweile völlig normal geworden. Medien schreiben von politischen Treffen mit Oligarchen oder von Fußballklubs, die im Besitz von Oligarchen sind. Snyder: Ja, das ist problematisch. Der Westen sollte nicht dem falschen Glauben verfallen, dass für ihn eine Entwicklung wie in Russland undenkbar sei. Vor allem Großbritannien und die USA sind jene beiden Länder mit den größten sozialen Unterschieden. Es sind aber auch jene Länder im Westen, die gegenwärtig von den größten politischen Turbulenzen gebeutelt werden. Eine Oligarchie hat mit Demokratie nichts zu tun. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, dass einige wenige Menschen sehr viel Macht und Geld haben und sich nicht um rechtliche Spielregeln kümmern.

Trump und Putin stehen beide für einen Kapitalismus ohne Regeln.

profil: In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich auch damit, was Donald Trump und Wladimir Putin gemeinsam haben. Snyder: Trump und Putin stehen beide für einen Kapitalismus ohne Regeln. Bei Putin kommt noch hinzu, dass in Russland der Rechtsstaat sehr schwach ist. Das Recht geht von den Wohlhabenden aus. In den USA ist das manchmal auch der Fall, aber nicht so stark ausgeprägt wie in Russland. Trump wäre es aber sehr recht, tun und lassen, Geschäfte machen zu können, ohne sich um gültiges Recht kümmern zu müssen. Putin kann das. Trump nicht. Das ist auch der Grund, warum Trump zu Putin aufschaut. Trump ist ein sehr unhöflicher Mensch, aber zu Putin war er in aller Öffentlichkeit ausgesprochen freundlich. Er hat Putin fast behandelt, als wäre er sein Boss.

profil: Wie beurteilen Sie Trumps und Putins Umgang mit der Pressefreiheit? Stichwort fake news. Snyder: Das ist ein weiterer Punkt, den beide gemeinsam haben: der bewusste Versuch, die Wahrheit zu diskreditieren. Aber ein demokratisches System lebt davon, dass man sich mit Fakten auseinandersetzt und der Wahrheit annähert. Fakten wie: Wer hat wie viel Geld mit welchen Geschäften gemacht, wer hat Gesetze gebrochen, wer hat für wen gestimmt oder wie viele Stimmen hat ein Kandidat bekommen? Trump und Putin jedoch lügen regelmäßig und versuchen das Konzept der Wahrheit zu zerstören. Das ist bösartig, denn es bringt uns Bürger in eine sehr defensive Rolle gegenüber den Mächtigen und Wohlhabenden. Denn alles was wir sagen können, ist: Was ihr tut und sagt ist nicht fair. Aber wenn Fakten durch so genannte „alternative facts“ abgeschafft werden, gibt es keine Grundlage mehr, um sich zu wehren.

Für welche EU der Zukunft wollen wir kämpfen?

profil: Sehen Sie einen Ausweg aus dieser defensiven Haltung? Snyder: Einerseits müssen wir dafür kämpfen, dass manche Grundprinzipien unumstößlich sind: demokratische Institutionen, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Medien und ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit. Vor allem junge Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben haben. In den USA haben viele Junge momentan zu Recht das Gefühl, dass sie geringere Chancen haben als ihre Eltern. Das schafft Frustration und ist gefährlich für die Demokratie. Auf der anderen Seite müssen wir ein positives Narrativ der Zukunft erzählen. Welches Europa, welches Amerika stellen wir uns vor? Europa definiert sich momentan dadurch, dass man den Zweiten Weltkrieg durch die EU überwunden hat. Aber dieser Krieg ist lange her. Europa sollte sich die Frage stellen: Für welche EU der Zukunft wollen wir kämpfen?

profil: Die USA scheinen diesbezüglich ebenfalls ratlos zu sein. Snyder: In den USA haben wir diese große Idee der Freiheit. Ja, wir sind frei. Aber was wollen wir mit dieser Freiheit schaffen? Auf der einen Seite haben wir die ganze moderne Technologie. Auf der anderen Seite haben wir sehr viel Wohlstand und Freizeit. Aber wie wollen wir unsere Technologie, unseren Wohlstand und unsere Freizeit für ein gutes Leben einsetzen? Darüber gibt es kaum eine Diskussion. Unsere aktuelle Situation hat durchaus Parallelen mit der Zeit der 1920er und 1930er Jahre. Damals wurde es schrittweise legitim, sich um Regeln nicht zu kümmern und Gewalt für die eigenen Interessen einzusetzen. Jene Menschen, die das nicht akzeptieren wollten, kamen immer mehr in die Defensive. Der Ausgang ist bekannt.

profil: Ist die Zeit der großen Ideen vorbei? Snyder: Damit beschäftige ich mich in meinem Buch. Denn aktuell herrschen zwei Vorstellungen von geschichtlicher Entwicklung vor, die uns nicht weiterhelfen. Die eine nenne ich die „Politik der Unausweichlichkeit“. Dahinter steckt die Vorstellung, dass der Fortschritt automatisch voranschreitet. Wir brauchen nur überall den freien Markt etablieren und alles wird gut. Auf der anderen Seite gibt es die „Politik der Ewigkeit“, die oft als Reaktion auf eine Krise wie die Anschläge des 11. September, die Finanzkrise oder die Flüchtlingskrise folgt. Hier wechselt das Narrativ von „alles wird gut“ zu „alles wird und bleibt schlecht“. Man sieht sich als Opfer, die anderen haben sich gegen uns verschworen und es gibt keine Zukunft mehr. In diesem Zustand befinden wir uns gerade und die Politik nutzt und befeuert diese Stimmung der Unsicherheit und des Untergangs. Beide Konzepte sind jedoch falsch. Denn sie entbinden uns von unserer eigenen Verantwortung, dass wir selbst aktiv werden und unsere Gesellschaft gestalten können. Diese Verantwortung können wir nicht abgeben.

profil: In diesem Zusammenhang plädieren Sie auch dafür, weniger Zeit mit dem Internet zu verbringen. Snyder: Das Problem mit dem Internet ist, dass es ein schwarzes Loch ist in dem du rasch verschwinden kannst. Wenn du fünf Stunden online warst, bist du müde. Du hast aber nicht wirklich etwas geschaffen. Das erzeugt auch ein Gefühl der Isolation. Ich halte es für wichtig, dass wir hinausgehen und Menschen treffen – auch fremde Menschen an fremden Orten. Denn dadurch entstehen Diskussionen von Angesicht zu Angesicht, die im Internet nicht möglich sind. Aber darum geht es in einer Demokratie: sich in einem öffentlichen Raum auszutauschen, zu diskutieren, den anderen kennen zu lernen und Kompromisse zu schließen. Wir sollten nicht nur Dinge konsumieren – jeder vor seinem Bildschirm – sondern etwas schaffen und kreativ werden. Dadurch erlangen wir auch Zufriedenheit und einen Platz der Zugehörigkeit. Denn aktuell wirken wir eher verloren.

Der Weg in die Unfreiheit - Eröffnung des Vienna Humanities Festival 27. September 2018, 19:00 Uhr, Festsaal Wiener Rathaus

Zur Person Timothy Snyder ist Professor an der Universität Yale und Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien. Als Historiker auf Osteuropäische Geschichte spezialisiert, sorgte er unter anderem mit Büchern wie "Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin“ (2013), "Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen könnte“ (2015) und „Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ für hitzige Debatten. Sein aktuelles Buch "Der Weg in die Unfreiheit - Russland, Europa und Amerika." Das gleichnamige Buch erscheint dieser Tage im Verlag C.H. Beck.