Vote for Sanders!

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Georg Hoffmann-Ostenhof meint, Amerika ist reif für einen Sozialisten.

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Welche Politik braucht Amerika nach der Ära des Donald Trump? Die einfachste Antwort auf diese Frage entspricht der weitverbreiteten Sehnsucht, nach der disruptiven Verrücktheit möge sich wieder Normalität einstellen und der zivilisierte Gang der Geschichte seinen Lauf fortsetzen. Bloß wird es so nicht gespielt. Denn die Normalität, zu der viele zurückkehren wollen, war just jene, die das Monster gebar, das man jetzt zu besiegen hofft.

Es wäre also verfehlt, das Business-as-usual der Vor-Trump-Zeit wiederaufzunehmen. Aber genau dieses Versprechen verkörpert Joe Biden, der seit Monaten die Schar der demokratischen „Thronprätendenten“ anführt. Der einstige Vize Barack Obamas und Favorit des demokratischen Parteiestablishments wirkt fast wie ein Relikt aus alten Zeiten. Bloß, gut waren die nicht, und zivilisiert auch nicht.

Amerika brauche eine andere Politik

Selbst der vielgepriesene Obama, eine Lichtgestalt der amerikanischen Politik, konnte die amerikanische Gesellschaft nicht aus der Misere der himmelschreienden Ungleichheit, der niedergehenden Mittelschichten, der bröckelnden Infrastruktur und der sinkenden Lebenserwartung führen. Und so kam Trump.

Amerika brauche eine andere Politik. Eine politische Revolution. Das ist das Programm von Bernie Sanders. Noch vor drei Monaten, als er einen Herzinfarkt erlitt, hat niemand mehr mit ihm gerechnet. Zur Jahreswende aber wurde klar: Der 78-jährige bekennende Sozialist ist wieder voll da. Und wie es heute aussieht, wird es bei den im Februar beginnenden Primaries zu einem Zweikampf zwischen dem moderaten Biden und dem progressiven Sanders kommen.

Sanders der Mainstream-Sozialdemokrat

Bernies Radikalismus ist die realistische Antwort auf die Herausforderungen, denen sich die USA gegenübersehen, eine Antwort, die so radikal nun auch nicht ist. Denkt man einmal die Revolutions-Rhetorik seiner Kampagne weg, schlägt Bernie nicht mehr und nicht weniger als die Einführung von Sozialstaatlichkeit europäischer Prägung vor – nicht einen venezolanischen, sondern einen skandinavischen Sozialismus. In Europa wäre er ein Mainstream-Sozialdemokrat.

Für Amerika bedeutete Sanders im Weißen Haus natürlich einen Bruch, vergleichbar mit dem New Deal des Franklin D. Roosevelt in den 1930er-Jahren. Aber genau solch einer grundlegenden Wende bedürfen die USA nun wieder.

Einen Sozialisten würden die Amerikaner nie und nimmer wählen, so tönt es nun allerorten. Tritt Bernie an, sei Trump eine zweite Amtszeit sicher, wird selbst von vielen gewarnt, die mit ihm sympathisieren. Er sei einfach unwählbar.

Natürlich könnte er gegen Trump den Kürzeren ziehen. Aber die besseren Chancen als sein demokratischer Hauptkonkurrent hat er allemal: Sanders kann begeistern, vor allem die Jugend. Biden aber wird eher laue Sympathie entgegengebracht. Und die Mobilisierung der wahlfaulen demokratischen Basis ist diesmal wichtiger, als „Independents“ zu sich herüberzuziehen.

Zudem lässt sich die These von Bernies Unwählbarkeit empirisch nicht wirklich erhärten:

- Umfragen von 2016 ergaben: Er hätte gegen Trump zumindest nicht schlechter abgeschnitten als Hillary Clinton, wenn er nicht sogar gewonnen hätte. Und er besitzt heute im amerikanischen Elektorat die höchsten Sympathiewerte aller potenziellen Trump-Herausforderer. Würde heute gewählt, hätte er mehr Stimmen als der amtierende Präsident. Im Übrigen: Vor vier Jahren war Hillary der Inbegriff der Wählbarkeit und Trump die fleischgewordene Unwählbarkeit. Das Ergebnis ist bekannt.

- Fast alle Programmpunkte von Bernie Sanders – vom kostenlosen Zugang zu den staatlichen Unis, der öffentlichen Krankenkasse und dem New Green Deal bis zur Steuererhöhung für die Reichen und Superreichen sowie Gesetzen zur Zügelung von Big Business – all das findet bei den Amerikanern mehrheitliche Unterstützung.

- Die amerikanische Gesellschaft und nicht nur die Demokratische Partei sind – trotz oder auch wegen Trump – heute liberaler und linker wie seit den 1960erJahren nicht mehr. Das sagen die Meinungsforscher.

- Und das Wort Sozialismus hat deutlich an Schrecken verloren: Vier von zehn Amerikanern (!) ziehen Sozialismus dem Kapitalismus vor – was immer unter den Begriffen auch verstanden wird.

Kann Bernie Präsident?

Aber kann Bernie Präsident? Er mag hitzköpfig erscheinen. Aber man sollte nicht vergessen: Er saß fast drei Jahrzehnte lang im Senat, in dem er seinen linken Idealismus mit einem hohen Maß an Pragmatismus und Kompromissfähigkeit zu kombinieren verstand.

Der Sozialist Bernie Sanders hat realistische Chancen, in einem Jahr in das Weiße Haus einzuziehen. Ein Game Changer, nicht nur für die USA. Der alte Mann stünde für das Neue, das die Welt so dringend braucht.

Georg Hoffmann-Ostenhof