Toxische Beziehungen: „Dann kann sich der Strick bald enger drehen“

Toxische Beziehungen: „Dann kann sich der Strick bald enger drehen“

Die deutsche Psychologin Bärbel Wardetzki, Spezialistin für destruktive Beziehungsmodelle, über geschlechtsspezifische Unterschiede und veraltete Opfer-Täter-Klischees.

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profil: In den sozialen Medien findet man eine wachsende Anzahl von Selbsthilfegruppen, die das Leiden in toxischen Beziehungen zum Thema haben. Wie effizient kann eine solche Selbsthilfe sein? Wardetzki: Ich bin kaum in sozialen Medien, aber ich denke, dass das häufig die erste Anlaufstelle ist. Natürlich muss man sich auch fragen, was dort für Inhalte transportiert werden. Ganz schnell wird da in Täter- und Opfer-Kategorien eingeteilt. In der Regel sind die bösen Männer die Täter und die armen Frauen die Opfer. Diese Einteilung finde ich falsch. Denn in dem Moment, wo ich mich selbst zum Opfer stemple, nehme ich mir alle Kraft zur Veränderung.

profil: Der Großteil der Leidensgeschichten, die in diesen Foren erzählt werden, stammt von Frauen. Ist das Verharren in toxischen Beziehungen ein weibliches Spezifikum? Wardetzki: Natürlich gibt es auch Männer, die in destruktiven Beziehungen mit zum Beispiel narzisstisch grandiosen Frauen stehen und entsprechend leiden. Aber ich habe den Eindruck, dass Männer sich schneller aus solchen Beziehungen und diesem Leid befreien sowie die Dinge auch sachlicher angehen. Ich denke auch, dass Frauen sich rascher in die Position des Opfers begeben. Sie sind ja auch oft in einer solchen Beziehung in ihrem Selbstwert so zerstört, dass sie kaum noch Kraft haben, irgendwelche Handlungen zu setzen, und sie sehen im Verursacher ihres Leides den Täter. Aber natürlich wird über Männer, die in destruktiven Beziehungen leiden, viel weniger gesprochen.

Wir leben in einer Zeit, in der Narzissmus zur Lebensform geworden wird.

profil: Es ist ja ein statistisch belegbares Faktum, dass Männer sich viel schwerer damit tun, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oder auch nur ihr Leiden zu artikulieren. Wardetzki: Das ist sicher richtig. profil: Wenn wir die Ratgeberliteratur und die Selbsthilfegruppen beobachten, dominiert das Thema Narzissmus klar. Beobachten Sie das auch in Ihrem Praxisalltag? Wardetzki: Wir leben in einer Zeit, in der Narzissmus zur Lebensform geworden wird. Das ist nichts mehr, was nur im psychopathologischen Bereich behandelt wird. Da braucht man ja nur ins Netz zu gucken, das zu einer riesigen Selbstdarstellungsmaschinerie geworden ist. Die narzisstische Lebensform steht im Fokus, das kann durchaus auch ansteckend sein.

profil: In Ihrem Buch „Und das soll Liebe sein?“ erklären Sie schon im Vorwort, dass das ein Buch für Frauen sei, die in narzisstischen Ausbeutungsbeziehungen stehen. Warum klammern Sie die Männer aus? Wardetzki: Es war nun einmal die authentische Geschichte der Sonja, die in diesem Buch erzählt wurde, genauso gut, hätte sie auch Max heißen können. Aber die Geschichte einer solchen Ausbeutung aus der Perspektive des Mannes zu erzählen, überlasse ich lieber Männern. Frauen sind meiner Meinung nach jedoch häufiger betroffen. Es gibt ja auch Frauen, die völlig fit in ihrem Beruf sind, aber in ihrer Partnerschaft regredieren und völlig abhängig und unselbstständig werden. Die sind dann nicht in der Lage, ihr emanzipatorisches Selbstbewusstsein im Beruf in den privaten Bereich zu übertragen. Man ist da manchmal richtig fassungslos und fragt sich: Wie kann das nur sein? profil: Unter welche Diagnose fällt dieser Typus? Wardetzki: Der Schweizer Psychoanalytiker Jürg Willi hat dafür schon in den 1970er-Jahren den Begriff Komplementärnarzissmus geprägt.

Irgendwann hat die Komplementärnarzisstin die Nase voll.

profil: Wie hat man sich dieses Phänomen umgelegt auf eine Beziehungsdynamik vorzustellen? Wardetzki: Komplementärnarzissten wollen ein idealisiertes Selbst bei anderen entlehnen, die sie für grandios halten. Ich verstehe unter Komplementärnarzissmus den weiblichen Narzissmus. Die Narzissten selbst bestimmen die Beziehung, geben den Ton an, überhöhen sich. Die Komplementärnarzisstinnen sind zwar auch narzisstisch strukturiert, fallen aber in dieser Eigenschaft nicht auf. Sie fühlen sich oft klein, emotional minderwertig, kompensieren eventuell durch Leistung im Job. Durch den tollen Partner stehen sie auch im Licht, bekommen ein Stückchen von dessen Grandiosität ab. Dadurch fühlen sie sich dann auch erhöht. Der Narzisst hingegen kann sein eigenes Minderwertigkeitsgefühl auf den anderen projizieren. Insofern passt das perfekt zusammen. profil: Haben solche Beziehungsmodelle langfristig eine Überlebenschance? Wardetzki: Irgendwann hat die Komplementärnarzisstin die Nase voll und will nicht mehr nur bewundern, sondern auch bewundert werden. Wenn zur narzisstischen Struktur des Partners dann auch noch sozio- oder psychopathische Gewalttätigkeit kommt, gelangt die Komplementärnarzisstin irgendwann an den Punkt, an dem sie nicht mehr weiter will, weil das Leiden zu groß ist. Da bricht die Beziehung dann meist auseinander.

Da würde doch jede Frau, die eine gute Bindungsfähigkeit hat und einen anderen Umgang in Beziehungen gewohnt ist, sofort sagen: Dankeschön und auf Wiedersehen.

profil: Sind in solchen Beziehungen die Rollen fest zementiert oder können die auch aufbrechen? Wardetzki: Das kann sich auch ändern und muss nicht durchgängig sein. Das Prinzip bei einer narzisstischen Thematik basiert immer auf Über- und Unterwerfung. Da können narzisstische Männer, die von ihren Frauen rausgeworfen worden sind, wie Frank in meinem Buch, dann weinend und bettelnd vor der Tür sitzen und auch kurzfristig in die Minderwertigkeit gehen. profil: Wie stark ist die Prägung durch die Kindheit bei Menschen, die immer wieder in die destruktiven Beziehungsmuster tappen? Wardetzki: Das muss der Hintergrund sein. Sonst kann man sich auch nicht erklären, warum beispielsweise eine Frau bei einem Mann bleibt, bei dem schon in den ersten Wochen bemerkbar wird, dass er übermäßig aggressiv reagiert, wenn etwas nicht nach seinem Plan läuft. Da würde doch jede Frau, die eine gute Bindungsfähigkeit hat und einen anderen Umgang in Beziehungen gewohnt ist, sofort sagen: „Dankeschön und auf Wiedersehen. Das kannst du mit jemand anderem machen.“ Um in solchen Beziehungen zu verharren, gehört schon eine Erfahrung dazu, dass Beziehung etwas mit Zurückweisung und nicht mit dauerhafter Zuwendung zu tun hat.

profil: Ist da die Mutter der stärkste Faktor? Wardetzki: Ich würde sagen die Familie. Viele kommen ja aus Familien, in denen eine narzisstische Thematik vorhanden war. Da haben sie dann Modelle und Beziehungsmuster im Kopf, die eben nicht tragend und unterstützend sind. profil: Sie sprechen auch vom Kind als Selbstobjekt der Mutter als Vorschub für eine spätere narzisstische Struktur. Was heißt das genau? Wardetzki: Die Mutter sieht das Kind als Teil von sich. Das Kind wird überhöht, als Trophäe betrachtet oder aber auch einer Entwertung ausgesetzt. Ein solches Kind hat das ständige Gefühl: Ich kann es nie richtig machen, ich kann nie genügen. Wenn man mit so einer Grundhaltung in eine Beziehung mit einem Partner, der in einer Überhöhung lebt, reingeht, dann kann sich der Strick um den Hals bald enger drehen.

Bei uns in Deutschland ist der Anteil an häuslicher Gewalt unter Migranten nicht höher als bei Deutschen.

profil: In einer multikulturellen Zuwanderungsgesellschaft sind wir auch manchmal mit einem Geschlechterverhältnis konfrontiert, das toxische Konsequenzen haben könnte. Waedetzki: Das sehe ich nicht so. Bei uns in Deutschland ist der Anteil an häuslicher Gewalt unter Migranten nicht höher als bei Deutschen. profil: Dennoch ist es ein Faktum, dass die Stellung der Frau in manchen Kulturen nicht dem westlichen Wertesystem entspricht. Wardetzki: Wir müssen uns öffnen für andere Kulturen und uns gemeinsam den anderen Wertesystemen stellen. Das macht Integration aus. Ansonsten bleiben die Migranten in Gruppen isoliert unter sich, wo sie ihre eigenen Wertesysteme aufrechterhalten können. So eine Haltung ist ja so logisch wie nachvollziehbar. Müssten wir nach Syrien auswandern, würden wir es nicht anders machen.

profil: Aus Ihrer Praxiserfahrung: Was sind denn die ersten Alarmzeichen, dass man sich in einer toxischen Beziehung befindet? Wardetzki: Ganz einfach: Dass man sich nicht wohlfühlt. Wobei ich den Begriff „toxisch“ eigentlich nicht mag, weil er das Bild suggeriert, dass einer mit der Giftspritze kommt und den anderen infiziert. Hier geht es aber um zwei Menschen, die beide leiden, in Not sind und sich dabei nichts Gutes tun. Wenn Frauen zu mir kommen, dann ist das Wichtigste, dass sie einmal zu sich kommen, herausfinden, was sie tatsächlich wollen, wie sie sich abgrenzen. Gesetzt den Fall, dass sie sich tatsächlich trennen wollen, helfe ich ihnen dann dabei, sich aus der Beziehung zu lösen. profil: Kann eine zerstörerische Beziehung nicht auch einer Suchtdynamik unterliegen? Wardetzki: Das kann sein, da muss man natürlich dann im Einzelfall gucken. Häufig sind solche Menschen ja gar nicht von ihrem Partner abhängig, sondern von einer Beziehung. Da geht es nicht um den anderen Menschen, sondern um die Angst, allein zu leben.

Zur Person

Bärbel Wardetzki, 68, ist Diplompsychologin, Psychotherapeutin sowie Supervisorin und hat ihre Praxis in München. Sie verfasste zahlreiche Sachbücher, die die Themen ausbeuterische Beziehungssysteme, Narzissmus, Sucht und Kränkungen zum Thema haben. Zuletzt erschien „Loslassen und dranbleiben“, wo sie sich mit Mut und Veränderungen auseinandersetzte (bei Kösel). In ihren Büchern „Und das soll Liebe sein?“ oder „Eitle Liebe“ widmete sich Wardetzki narzisstischen Beziehungskonstrukten.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort