DJ Koze

"Knock Knock": DJ Koze legt das Popalbum des Jahres vor

Mit dem Nimbus des Verwandlungskünstlers und coolen Spaßvogels wurde DJ Koze zu einem Superstar der elektronischen Musik. Auf seinem neuen Album zelebriert er die unverfälschte Kraft der Ernsthaftigkeit.

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Wer unbefangen in die friedvoll-magische Welt von DJ Koze eintauchen möchte, gibt auf YouTube "I Haven 't Been Everywhere But It 's On My List" ein und lässt sich vier schwerelose Minuten lang treiben. Man sieht: eine traumhaft schöne Insellandschaft in allen Farben, die das psychedelische Spektrum hergibt; seltsame Inschriften auf zerklüfteten Felsen; Elefanten, Ziegen, Schmetterlinge, Tintenfische, Delphine; einen drolligen 3D-Velociraptor, eine Gestalt in Pavianmaske - und immer wieder einen verdächtig beschwingten älteren Herrn, der auf einem Elektromobil die Strandpromenade entlang tuckert und ebenso falsch wie fröhlich vor sich hin singt: "Melodía de tu amor - oh-oh-oh." Und irgendwann, nach etwa eineinhalb Minuten, schält sich eine in jeder Hinsicht unverschämte Musik aus dem pittoresken Ambiente heraus: unverschämt relaxt, unverschämt funky, unverschämt simpel und raffiniert zugleich.

Die Musik stammt von DJ Koze, der damit seiner HipHop-Vergangenheit elegant Reverenz erweist. Er belässt es jedoch nicht bei einer nostalgischen Old-School-Etüde, sondern bringt in knapp drei Minuten die Essenz und Gegenwärtigkeit eines Genres auf den Punkt, mit jener tiefenentspannten Beiläufigkeit, die den wahren Kenner vom schnöden Streber unterscheidet.

"I Haven't Been Everywhere But It's On My List" steht am Anfang eines Mixes, den Koze 2015 zur renommierten "DJ-Kicks"-Serie beisteuerte. Es war die 50. Ausgabe, also eine amtlich runde Sache, was der Jubiläumsgast mit der ihm eigenen Unberechenbarkeit quittierte: Er unterlief die an das Erfolgsformat geknüpften Erwartungen konsequent und legte einen lyrisch-introvertierten Mix vor, der alle Connaisseur-Sehnsüchte befriedigte, nur nicht unbedingt jene der tanzwütigen Clubmeute.

Lässig mäandernde House-Sets

Zu diesem Zeitpunkt war Koze längst nicht mehr irgendwer, sondern ein gefeierter, hochbezahlter Star der internationalen DJ-Szene, legendär für seine eklektischen, lässig mäandernden House-Sets mit unvermittelten Tempowechseln und augenzwinkernden Stilbrüchen. Ein solitärer Freigeist in einem gnadenlos auf Verwechselbarkeit getrimmten Gewerbe.

"Ich mag das Formellose", sagt Koze: "Die geilsten Effekte erzielt man, wenn man die Formeln und Formate hinter sich lässt. Wirklich gute Musik ist immer frei." Diese Nonchalance zeichnete DJ Koze, 1972 im norddeutschen Flensburg als Stefan Kozalla geboren, immer schon aus; sie war gewissermaßen das Handgepäck, mit dem er seine lange, für alle Destinationen, Scheide-, Schleich-und Heimwege offene Reise antrat. Sein Künstlername ist durchaus Teil des beziehungsreichen Kontrastprogramms: Man kann ihn aussprechen wie das englische Wort "cosy"; manche bestehen jedoch - im Sinne eines In-your-Face-Purismus - auf der streng deutschen Lautung mit extrahartem Z. Und was würde Koze sagen?"Is Mir Egal" vermutlich, um den Titel eines seiner Remixe zu zitieren.

Seinen Ruf als Spaß- und Paradiesvogel hat sich Koze redlich, wenn auch ohne karrieristisches Kalkül erarbeitet. In den 1990er-Jahren mischte er mit dem HipHop-Projekt Fischmob die Hamburger Szene auf. Mit International Pony, der verschrobenen Version einer Boygroup, lotete er die Grenzen massentauglicher Popmusik aus. Unter dem Pseudonym Adolf Noise ließ er dadaistische Poesie und sperrige Elektronik ungebremst aufeinanderprallen.

Dem selbstgefälligen Ernst der Undergroundszene setzte er gern das Stilmittel der Ironie entgegen, was sich vordergründig in Titeln wie "Jazzmusik & Alkohol","Ey, Aller (Allernativmix)", "Wo Die Rammelwolle Fliegt","The Geklöppel Continues","Snauzi Peitsch" oder "Djungle Froot" niederschlug, vor allem aber in der unbändigen Lust, die Klischees und Stereotypen des Pop aufzubrechen und daraus einen ebenso subversiven wie verblüffend eingängigen Mehrwert zu generieren.

Avancierte Unterhaltungselektronik

Im Unterschied zu vielen namhaften Kollegen begnügte Koze sich nie damit, seinen Marktwert als DJ bestmöglich zu melken, sondern legte Wert auf einen kontinuierlichen Output, einerseits als gefragter Remixer, andererseits als Produzent sui generis. 2005 veröffentlichte er das erste Soloalbum, "Kosi Comes Around". 2009 gründete er sein eigenes Label, Pampa Records, das mit Artists wie Ada, Robag Wruhme, Sophia Kennedy, Isolée, Lawrence oder Nils Frahm das Magnetfeld zwischen elaboriertem House und filigranem Techno ausmisst.

Mit "Amygdala" etablierte sich DJ Koze 2013 endgültig als auteur im Einzugsbereich der avancierten Unterhaltungselektronik. Am Freitag dieser Woche erscheint sein drittes Soloalbum, "Knock Knock". Ein Album, ernsthaft? Gibt es im Zeitalter von algorithmisierten Playlists, frei verfügbar auf Streaming- Diensten wie Spotify, YouTube und Apple Music, etwas Sperrigeres, Aufwendigeres, Altmodischeres? DJ Koze kümmert das herzlich wenig. "Ich bin stoisch wie eine Bergziege", sagt er: "Mir sind die neuen Arten, Musik zu konsumieren, durchaus bewusst, aber ich ignoriere dieses ADHS-Diktat einfach. Ich leiste mir den Luxus, mich lange mit etwas zu beschäftigen, ein Œuvre zu hinterlassen und dann wieder abzutauchen." Aktuellen Clubtrends fühlt er sich keinesfalls verpflichtet; er hat das Album gleichsam als "Familienaufstellung meiner musikalischen Sozialisation" angelegt: "Jeder Track steht stellvertretend für eine Epoche." Was die hochgesteckten Erwartungen nach dem Kritikerund Publikumserfolg von "Amygdala" betrifft, so vertraut Koze frei nach Oscar Wilde seinem betont einfachen Geschmack: "Es geht darum, sich in Schwingung zu versetzen, sich mit den feinsten Zutaten und besten Zeugnissen kultureller Art zu umgeben. Ich muss mich in erster Linie selbst zufriedenstellen, was mit fortschreitendem Alter immer schwieriger wird."

"Knock Knock" ist ein Album von berückender Musikalität, epischer Spannweite und traumtänzerischer Tiefenschärfe. Hier gibt einer den Ton an, der vollends mit sich und seiner Vision im Reinen ist und keine smarten Fingerübungen mehr abliefern muss, um sich des Zuspruchs einer szenekundigen Hautevolee zu vergewissern. "Confessions On A Dancefloor" sucht man bei DJ Koze anno 2018 vergeblich: Die Tanzfläche wird nur selten bespielt - und wenn, wie auf der Post-Disco-Hymne "Pick Up", mit einem hypnotischen Groove, der weniger die Ekstase als die Melancholie feiert. "Knock Knock" ist nicht zuletzt auch ein Hochamt der Stimmen. Es gibt ein Wiederhören mit Speech, dem Chefrapper von Arrested Development, sphärischen Folk mit José González, fein abgespeckten R&B mit Sophia Kennedy, zurückgelehnten Pop-House mit Mano Le Tough, eine herzzerreißende Ambient-Ballade mit Kurt Wagner von Lambchop und zwei Gastauftritte der ewig coolen Róisín Murphy. (Auch Gladys Knight und Hildegard Knef lassen nebenbei schön grüßen.) Die Sounds sind flirrend, die Arrangements vielschichtig verspielt und die Beats so erlesen taktvoll, wie nur jemand sie hinkriegt, der laut Koze als DJ von Berufs wegen "seismografisch geschult" ist.

Nach den 16 Tracks von "Knock Knock" kann man sich erschöpft, aber dankbar und beglückt zurücklehnen : Man hat 78 Minuten Musikgeschichte(n) gehört. DJ Koze ist nicht weniger gelungen als die zeitgenössische Reinkarnation eines Soul- Albums. Es evoziert Erinnerungen, Bilder, Stimmungen, Gefühle - mit modernen Produktionsmitteln, unverbrauchten Stimmen und kristallinen Songs, die keine Refrains brauchen, um sich in der Amygdala festzusetzen.

Und wo bleibt die Ironie? Sie bleibt außen vor, weil ihr Ablaufdatum überschritten ist. Mit 46 Jahren hat DJ Koze keine Berührungsängste mehr gegenüber der Ernsthaftigkeit. Seine Konzentration gilt nicht länger dem "endlosen Taktieren auf der Metaebene", sondern ausschließlich der Musik, "die ich jetzt gern machen möchte -alles andere wäre Material-und Lebenszeitverschwendung".

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, erwachsen zu werden. DJ Koze hat sich für die gelassene, unverkrampfte, demütige Variante entschieden. Sie klingt verdammt gut.

DJ Koze über ...

... das Ja zur Emotion

Ironie dient als Schutz davor, verletzt zu werden, wenn man seine Gefühle eins zu eins ausdrückt. Man verbarrikadiert sich hinter einem Ironiepanzer und wähnt sich damit unangreifbar. Je älter ich werde, umso mehr liegt mir daran, Dinge so in die Welt zu stellen, wie ich sie wirklich meine. Alles andere ist Quatsch. Dafür ist Musik auch zu wichtig. Ich habe keine Zeit mehr für Ironie. Ich will etwas machen, was Menschlichkeit in sich trägt.

... den Zauber von Vocals

Gesang berührt mich sehr selten. Oft betrachte ich ihn nur als Element eines Songs, sozusagen als Farbtupfer. Wenn Gesang mich aber einmal berührt, denke ich, das ist das Größte. Ich mag das Nicht-Virtuose, Nicht-Hysterische beim Singen. Es gibt deshalb keine Refrains auf meinem Album. Ein Refrain ist der Versuch, alle ins Boot zu holen: Und jetzt alle zusammen! Das widerstrebt mir. Ich biete etwas für all jene, die nicht zusammen sein wollen. Sie kriegen Lieder ohne Refrains und müssen deshalb auch nicht mitgrölen.

... ein gelungenes DJ-Set

Früher ging es mir darum, dass die Hütte brennt. Heute lasse ich es nur noch an ein paar Stellen knallen. Das ist viel organischer. Man kann nicht die ganze Zeit die Orgasmuskeule schwingen. Mir ist es am liebsten, wenn die Leute mit einem leicht verwirrten Gefühl nach Hause gehen: Sie haben es es sich irgendwie anders vorgestellt, aber dann war es doch sehr schön, und alles hat Sinn gemacht.

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